Kommentar: Der HSV braucht Visionen und Geduld
Die Aussichten des HSV auf eine baldige Rückkehr ins Fußball-Oberhaus sind alles andere als rosig. Denn noch immer fehlen dem Club, der nun das dritte Jahr nacheinander in der Zweiten Liga spielen muss, eine nachhaltige Philosophie und das richtige Führungspersonal.
Ein Kommentar von Sebastian Ragoß
Vor der Saison hatten die Hanseaten die komplette sportliche Führung und einen Großteil der Mannschaft ausgetauscht. Doch einen Kulturwandel hat dies beim Ex-Bundesliga-Dino nicht bewirkt. Noch immer stehen beim HSV Aufwand und Ertrag in krassem Missverhältnis. Und noch immer zeichnet sich der Club durch eine bemerkenswert uninspirierte Transferpolitik aus, die reihenweise Profis mit langer Verletzungshistorie nach Hamburg gebracht hat. Mittlerweile hat der HSV einen Kader, in dem kein Spieler mehr mit überdurchschnittlichem Marktwert steht.
Es fehlt eine Gesamtstrategie
Nach wie vor braucht der HSV jedoch mehr als alles andere eine Gesamtstrategie und Führungspersonal, das gemeinsam und unprätentiös am Erfolg arbeitet. Fast schon vergessen ist, dass zu Beginn der Corona-Krise ein öffentlich ausgetragener Machtkampf zur Absetzung von Vorstandsboss Bernd Hoffmann führte. Ein Nachfolger ist noch nicht gefunden. Eine typische Entscheidung wäre, Aufsichtsratschef Marcell Jansen zum AG-Vorsitzenden zu befördern.
Jansen gilt als Protegé von Investor Klaus-Michael Kühne. Der Milliardär war zuletzt auffallend zurückhaltend. Dies kann sich aber jederzeit ändern. Ein Interview von Kühne, in dem er offen Kritik an handelnden Personen äußert, könnte nicht zum ersten Mal personelle Rochaden in Gang setzen. Zu sicher sollten sich deshalb auch Sportvorstand Jonas Boldt und Trainer Dieter Hecking nicht sein, obwohl beide grundsätzlich auch die kommende Saison gern verantworten würden.
Corona-Krise trifft HSV finanziell hart
Die Aufgaben sind - für wen auch immer - riesig: Die Corona-Krise trifft den finanziell ohnehin angeschlagenen HSV hart.
Weitere Einsparungen werden nötig sein, zumal relevante Transfereinnahmen kaum zu erzielen sind und auch Kühne wohl nicht mehr seine Schatulle öffnen wird. Zudem scheint bei vielen Fans ein Entfremdungsprozess eingesetzt zu haben; auch wenn Boldt jüngst die verblüffende Einschätzung "wir bekommen unglaublich viel Anerkennung, nicht nur aus dem Hamburger Raum, sondern aus ganz Deutschland" zu Protokoll gab.
Tatsächlich muss sich der HSV Anerkennung erst wieder erarbeiten, in einem langen Prozess, der Geduld und Visionen erfordert. Neu ist diese Erkenntnis wahrlich nicht. Doch in die Praxis umgesetzt hat sie eben auch noch niemand beim Hamburger SV.
