Derby: St. Pauli und HSV zwischen Lust und Frust
Der FC St. Pauli krönt sich dank einer starken Leistung zum Derbysieger 2022 und beendet - ausgerechnet in einem der wichtigsten Spiele des Jahres - seinen Negativlauf. Dem HSV drohen dagegen nach dem historischen Debakel unruhige Wochen.
Wer am Freitagabend um 20.24 Uhr in der Hamburger "Schanze" unterwegs war, dem dürfte der ohrenbetäubende Erleichterungsschrei vom Hamburger Millerntor nicht entgangen sein. Schiedsrichter Deniz Aytekin hatte soeben das 108. Stadtderby abgepfiffen und damit den Startschuss geliefert für eine braun-weiße Party-Nacht. St.-Pauli-Coach Timo Schultz ballte die Fäuste, schrie den Frust der vergangenen Wochen hinaus und verschwand kurz darauf in einer Feiertraube.
Schultz setzt in Defensive entscheidenen Impuls
"Das ist ein toller Tag für den FC St. Pauli", jubelte Schultz nach dem Schlusspfiff, "der Schlüssel zum Sieg war unsere Verteidigung." Der Trainer hatte mit seiner Umstellung von einer Viererkette auf ein 5-3-2-System taktisch den entscheidenden Impuls gesetzt. Allerdings gab an diesem Tag nicht nur die Defensive den Ausschlag. Vielmehr war es auch die lang vermisste Effizienz vor dem gegnerischen Tor, die sein Team pünktlich zum Derby ausgepackt hatte. Drei Tore in einem Spiel waren den Kiezkickern zuletzt Mitte August beim 3:0-Heimerfolg gegen Magdeburg gelungen.
Vierte HSV-Niederlage in Folge am Millerntor
Während die St.-Pauli-Spieler freudentrunken vor der Südtribüne auf und ab sprangen, schlichen die HSV-Spieler geknickt in die eigene Fankurve. Alles hatte für den Derbysieg des bisherigen Tabellenführers gesprochen. Doch stattdessen setzte es die vierte Auswärtsniederlage in Folge beim ungeliebten Stadtnachbarn.
"Es tut richtig weh und macht gar keinen Bock, hier zu verlieren", stellte HSV-Spieler Jonas Meffert genervt fest. Saisonübergreifend acht Siege in der Fremde hatte das Team von Trainer Tim Walter zuvor geschafft - Liga-Bestwert. Nun gab es einen anderen (ungewollten) Rekord: Mit dem 0:3 kassierten die Rothosen die höchste Derby-Niederlage seit dem 1:4 vom 14. Februar 1960 in der Oberliga Nord.
Schonlau-Aus der "Schlüsselmoment"
So unterschiedlich die Gemütslagen nach Abpfiff, so einhellig waren die Meinungen über den Knackpunkt der Partie - die frühe Rote Karte für HSV-Kapitän Sebastian Schonlau nach 28 Minuten. "Die entscheidende Szene war natürlich die Rote Karte", sagte Walter. Schultz stimmte zu: "Der Platzverweis für Schonlau hatte großen Einfluss."
Der (berechtigte) Platzverweis darf allerdings für die HSV-Verantwortlichen nicht zur alleinigen Erklärung einer insgesamt schwachen Leistung herhalten. Denn schon vor dem Schonlau-Aus hatte sich der HSV schwergetan, eigene Chancen zu kreieren und den Kiezkickern das sonst so dominante Ballbesitz-Spiel aufzuzwingen.
Aufschwung vs. Abschwung?
Für St. Pauli könnte die "Stadtmeisterschaft" nach sieben Spielen ohne Sieg möglicherweise den Weg aus der Krise weisen. "Wir hoffen, dass uns dieser Sieg jetzt Auftrieb für die weitere Saison gibt", sagte Kapitän Jackson Irvine, der gerade seinen Vertrag vorzeitig verlängert hat: "Wenn wir zeigen, was wir können, gehören wir zu den Top-Teams der Liga."
Beim Stadtnachbarn dauert die Katerstimmung dagegen vielleicht an. Denn bereits beim 1:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern fehlten die spielerische Leichtigkeit und die gewohnte Dominanz. "Wir wissen, was wir diese Saison schon geleistet haben. Wir wissen, was wir für eine Qualität haben und wir lassen uns von sowas nicht unterkriegen. Wir ziehen unser Ding durch", gab sich Torwart Daniel Heuer Fernandes kämpferisch.
DFB-Pokal als nächste Hürde
Wohin die Reise geht, könnte schon die kommende Woche zeigen, die für beide Hamburger Mannschaften schwere Aufgaben im DFB-Pokal bereithält. Der HSV gastiert am Dienstag bei Cupverteidiger RB Leipzig, St. Pauli einen Tag später beim Bundesliga-Überraschungsteam SC Freiburg (jeweils 18 Uhr, im NDR Livecenter). "Wir haben am Dienstag wieder etwas vor", kündigte Heuer Fernandes an. "Wir reisen selbstbewusst in den Breisgau", betonte St. Paulis Co-Kapitän Leart Paqarada.
Mindestens ein halbes Jahr lang dürfen sich die Braun-Weißen indes noch über den Derbysieg freuen. Dann steht im April das Gastspiel im Volkspark an. "Ein Mal sehen wir uns noch im Rückspiel", verabschiedete sich HSV-Trainer Walter von seinem Kollegen Schultz. Eine Kampfansage. Aber auch ein Fingerzeig, dass die Aufstiegsambitionen des HSV am Freitag keinen Rückschlag erlitten haben.