Die Bundesliga-Kommission befindet 1962 über die Bundesliga-Zugehörigkeit. © picture alliance / dpa | Richard Kroll

16 aus 46 - Der Streit um die Auswahl der Bundesligavereine

Stand: 26.07.2021 20:42 Uhr

46 Vereine drängten 1963 in die neue Fußball-Bundesliga, nur 16 bekamen vom DFB den Zuschlag. Es entbrannte ein harter Konkurrenzkampf, vor allem zwischen Eintracht Braunschweig und Hannover 96.

von Mirjam Bach

Silvester 1962. DFB-Hausmeister Jocham schaut um Mitternacht ein letztes Mal in den Briefkasten der Villa Zeppelinallee 77 in Frankfurt am Main - die Bewerbungsfrist für die Bundesliga ist beendet. 74 Oberliga-Vereine hatten die Chance, sich um einen Platz in der neuen Eliteklasse zu bemühen. 46 Bewerbungen sind schließlich beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) eingegangen. Der VfL Osnabrück hatte sogar einen Boten in die Zeppelinallee geschickt. Bloß nichts dem Zufall überlassen im Kampf um einen Platz in der Eliteklasse.

Im Oktober 1962 hatte der DFB-Beirat bereits die regionale Aufteilung der 16 Vereine festgelegt: Der Norden bekam drei Startplätze, der Westen und der Süden je fünf, der Südwesten zwei und die Stadt Berlin einen. Doch nach welchen Kriterien sollten die begehrten Lizenzen vergeben werden?

"Eine Zäsur geht einfach nicht ohne Härten ab"

Am 8. Dezember beschloss der Beirat in erster Linie sportliche Kriterien, aber auch wirtschaftliche und technische Voraussetzungen zu berücksichtigen. Der DFB knobelte eine Tabelle aus, in der die vergangenen zwölf Jahre Oberliga-Geschichte berücksichtigt wurden. Die Bewerber mussten einen Jahresumsatz von mindestens 400.000 Mark und ein Stadion mit Flutlichtanlage für mindestens 35.000 Zuschauer nachweisen. Das Problem: Der DFB hielt diese Wertung zunächst geheim - und sich später selbst nicht daran.

"Es wird Proteste an den DFB geben, es werden sich Oberbürgermeister oder Landesregierungen einschalten. Aber all das darf den DFB nicht beirren. Eine Zäsur, wie sie jetzt vorgenommen wird, geht einfach nicht ohne Härten ab." Hermann Neuberger, Vorsitzenden des Saarländischen Fußball-Verbandes

Die schwierige und undankbare Entscheidungsfindung wurde der neu gegründeten Bundesliga-Kommission übertragen. Diese bestand aus dem Vorsitzenden Ludwig Franz (Präsident des 1. FC Nürnberg), Stellvertreter Franz Kremer (Präsident des 1. FC Köln), Walter Baresel (Norddeutscher Fußball-Verband), Dr. Willi Hübner aus Essen und dem Vorsitzenden des Saarländischen Fußball-Verbandes Hermann Neuberger.

Lizenzen für Werder Bremen und den HSV

In ihrer ersten Sitzung am 10./11. Januar 1963 erteilte die Kommission bereits neun Vereinen die Lizenz. Mit dabei: Der Hamburger SV und Werder Bremen aus dem Norden, der 1. FC Köln, Borussia Dortmund und Schalke 04 aus dem Westen, Eintracht Frankfurt und der 1. FC Nürnberg aus dem Süden, der 1. FC Saarbrücken aus dem Südwesten und Hertha BSC aus Berlin.

Hertha statt Tasmania - Böses Blut in Berlin

Schon diese Nominierung sorgte für Wirbel. In Berlin war man empört, weil Hertha Tasmania vorgezogen worden war, obwohl Hertha die wirtschaftlichen Auflagen nicht erfüllt hatte. Der 1. FC Saarbrücken war dem zweimaligen deutschen Meister 1. FC Kaiserslautern vorgezogen worden. Angeblich, weil Saarbrücken als größte Stadt im Südwesten die besseren Autobahnanbindungen hatte. Herrmann Neubergers Sitz im Ausschuss spielte natürlich offiziell keine Rolle - in den Medien dagegen schon. Gleichzeitig verteilte der Bundesligaausschuss 15 Absagen. In der Tagesschau verkündete DFB-Generalsekretär Hans Paßlack, dass unter anderem Gladbach, Oberhausen und Fürth keine Lizenz erhalten werden. Zwei Vereine zogen ihre Bewerbung zurück.

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Osnabrück und die mysteriöse Zwölfjahreswertung

Sieben weitere Lizenzen sollten noch vergeben werden. In der Oberliga Nord waren zwei der drei Startplätze unumstritten an den HSV und Werder Bremen gegangen. Für die restlichen Nordvereine blieb nur noch ein einziger Platz. Rein sportlich hätte sich in der viel diskutierten Zwölfjahreswertung der VfL Osnabrück qualifiziert. Doch es sollte ganz anders kommen. FC-Präsident Kremer hatte schon früh angedeutet, dass diese Rangfolge nicht bindend sei: "Es soll beides bewertet werden. Die Vergangenheit und die Gegenwart. Und wenn es strittige Fälle gibt, wird die Gegenwart eine gewichtigere Rolle spielen."

Holstein Kiel legte Beschwerde ein

Arminia Hannover schied von vornherein aufgrund der geringen Punktzahl aus, der FC St. Pauli war als zweiter Hamburger Verein chancenlos. Holstein Kiel wurde mit folgender Begründung abgelehnt: "Bei gleichem oder nicht wesentlich unterschiedlichem Ergebnis in der Bewertung der sportlichen Leistung (..) weist Eintracht Braunschweig gegenüber Ihrem Verein die besseren wirtschaftlichen Voraussetzungen aus." Holstein-Vorstandsmitglied Pim Feigl konterte: "Die wirtschaftlichen Verhältnisse Holsteins sind absolut gesund und gut." Kiel zahlte die Beschwerdegebühr von 300 Mark und machte von seinem Beschwerderecht Gebrauch.

Auch 19 Saisontore von Udo Lattek reichten dem VfL Osnabrück nicht. Als Siebter in der Abschlusstabelle gingen die Lila-Weißen nach 16 Jahren Erstklassigkeit im Kampf um die Bundesliga leer aus - angeblich ebenfalls aus wirtschaftlichen Gründen. Friedel Schwarze, Präsident des VfL Osnabrück, stand "vor den Trümmern meines Lebenswerkes".

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Zweikampf zwischen Braunschweig und Hannover

1952 hatte Dr. Kurt Hopert den Vorsitz bei der Eintracht übernommen. Der Notar und Rechtsanwalt galt als Visionär und Strippenzieher mit besten Kontakten zum DFB. Unter seiner Führung plädierte Eintracht Braunschweig als einziger Verein im Norden vehement für die Einführung einer zentralen deutschen Spielklasse. Und schon früh hatte Hopert die Kommission durchschaut: "Da der Bundesliga-Ausschuss nach der Nominierung der ersten neun Clubs mit der Bekanntgabe der restlichen sieben Vereine wartete, war mir klar, dass dem Abschneiden in dieser Saison große Bedeutung beigemessen wird."

Wuttich schießt Braunschweig in die Bundesliga

Als Tabellensechster startete Eintracht Braunschweig in die so wichtige Oberliga-Rückrunde 62/63 und begann mit einem Unentschieden gegen den großen HSV die Aufholjagd. Es folgten Siege gegen Altona, Kiel und Arminia Hannover. Vor dem wichtigen Spiel gegen den großen Rivalen Hannover 96 tauchte Hopert in der Kabine auf und appellierte an die Spieler: "Ich öffne euch das Tor zur Bundesliga. Durchgehen müsst ihr allein." In der 65. Minute schoss der Braunschweiger Manfred Wuttich das einzige Tor der Partie - das entscheidende Tor Richtung Bundesliga. Torhüter Hans Jäcker sprach nach der Begegnung vom "bedeutendsten Spiel" seiner Laufbahn. Im Mannschaftsbus wurde gesungen, Jäcker spielte auf der Klampfe, im Schützenhaus wurde gefeiert - die Bundesliga konnte kommen. Doch erst am 6. Mai 1963 sollte der DFB-Vorstand seine Entscheidung bekanntgeben.

Sportliche Vergangenheit sprach für die "Roten"

Auch der Mitbewerber Hannover 96 hatte beste Kontakte zum DFB. Hannovers Vizepräsident Dr. Oestmann saß im DFB-Bundesgericht. Darüber hinaus sahen die wirtschaftlichen Voraussetzungen bei Hannover 96 mit einem Barvermögen von allein 300.000 Mark deutlich besser aus als die des Konkurrenten aus Braunschweig. Hannover 96 hatte mit dem Niedersachsenstadion das größte Stadion in Norddeutschland vorzuweisen. Und auch die sportliche Vergangenheit sprach eindeutig für die "Roten". Hannover war 1954 deutscher Meister geworden und hatte sich zwei Jahre später wieder für die Endrunde zur deutschen Meisterschaft qualifiziert. Nach der deutschen Amateur-Meisterschaft 1960 hatte der Verein aber die Mannschaft verjüngt, ohne allerdings zu ahnen, dass 1962 die Bundesliga beschlossen und die Abschlusstabelle eine derart gewichtige Rolle spielen würde.

"Eintracht ist in der Bundesliga" - Empörung bei 96

Stundenlang saßen am 6. Mai 1963 Eintracht-Geschäftsstellenleiterin Margot Martini und Masseur Heinrich Pieper in Hamburg im Foyer des "Europäischen Hof", als endlich Hopert aus dem Verhandlungssaal stürzte und erklärte: "Eintracht ist in der Bundesliga." Als Erster von sieben Vereinen erfuhren die Braunschweiger offiziell von der Annahme ihrer Bewerbung. "Wir haben unsere Chance auf dem grünen Rasen genutzt. Als wir Dritter wurden, gab es für mich keinen Zweifel mehr", erklärte der Club-Vorsitzende Hopert. Der Drittplatzierte aus der Oberliga Süd wurde seinerzeit allerdings übergangen - das war der FC Bayern München.

"Ihr Antrag auf Eingliederung in die 1. Fußball-Bundesliga wird abgelehnt", stand auf dem Telegramm, das der 96-Vorsitzende Alfred Strothe aus Frankfurt in Empfang nehmen musste. Die Begründung des DFB, Braunschweig, Hannover und Osnabrück seien sportlich gleichwertig zu sehen, und daher auf die Abschlusstabelle von 1963 zu schauen, empörte die Hannoveraner zutiefst. Und so herrscht bis heute eine große Rivalität zwischen beiden Vereinen.

Proteste und Klagen gegen den DFB

Die verschmähten norddeutschen Clubs beantragten beim DFB, die Bundesliga auf 18 oder gar 20 Vereine aufzustocken. St.-Pauli-Präsident Wilhelm Koch monierte, dass vor Beginn der Saison niemand gesagt habe, dass am Ende der Tabellenplatz der Saison 62/63 entscheidende Bedeutung gewinnen könnte. Er schlug vor, dass "alle abgelehnten Bewerber in einer Qualifikationsrunde Platz 17 und 18 ausspielen" sollten. Selbst der Bundesligaausschuss bezeichnete die Nicht-Berücksichtigung der Offenbacher Kickers und der Alemannia Aachen als Härtefälle und empfahl dem DFB-Beirat, die Zahl der Bundesligisten auf 18 zu erhöhen.

"Alle Knochen verflucht" - 13 Clubs legten Protest ein

Insgesamt legten 13 Vereine Protest beim DFB ein, unter anderem Bayern München und Borussia Mönchengladbach. Doch die Beschwerden wurden vom DFB-Vorstand am 31. Mai und 1. Juni 1963 zurückgewiesen. Aachen und Offenbach klagten sogar vor dem Frankfurter Landgericht gegen die Verweigerung der Bundesliga-Lizenz - ohne Erfolg.

16 aus 74 - schon vor der Auswahl hatte Neuberger prophezeit: "Ich bin mir darüber im Klaren, dass die Fünferkommission da oder dort über den Klee gelobt wird, und da oder dort, allen fünf Männern alle Knochen verflucht werden." Er sollte recht behalten.

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 31.07.2011 | 23:15 Uhr

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