Musikergesundheit: Was tun gegen Schulterschmerzen?

Stand: 21.02.2022 16:00 Uhr

Musiker haben berufsbedingt häufig Schulter-Nacken-Schmerzen. Sie sind teils ähnlichen Anforderungen ausgesetzt wie Leistungssportler, brauchen ebenso Aufwärm- und Entspannungsübungen.

Beim täglichen Proben verbringen Musikerinnen und Musiker nicht selten viele Stunden im Sitzen und in Fehlhaltungen. Wer Geige spielt, bekommt oft Schmerzen durch die einseitig linkslastige Haltung mit  Verdrehung in Arm und Schulter: Die linke Hand greift das Instrument, die rechte führt den Bogen und muss die Bewegungsabläufe ständig wiederholen. Eine ungleiche, herausfordernde Belastung für die Muskulatur. Auch andere Streicher kennen den Schulterschmerz, gefürchtet ist er ebenso in der Reihen der Blasinstrumente. Und nicht nur bei Profis, selbst im Amateurbereich.

Beim Orgelspielen zeigen sich teils ähnliche Herausforderungen: Man sitzt auf einer festen Bank und muss mit den Händen bis weit nach vorn in die Tastatur greifen, kommt also in eine Vorneigung des Oberkörpers. Dabei kann man sich über die Beine nicht stabilisieren, denn man spielt mit den Füßen auf den Pedalen - Schwerstarbeit für die Rumpfmuskulatur.

Über verschiedene Studien hinweg zeigen sich hohe Raten spezifischer Erkrankungen bei Musikern. "Meine Erfahrung mit Berufsmusikern ist, dass sie nicht gern Schwäche zeigen. Das  ist eher ein Tabuthema, über das viele gar nicht sprechen mögen. Das ist schade, weil man die meisten Beschwerden gut behandeln kann", sagt Rehabilitationsmediziner und Bewegungs-Doc Christian Sturm.

Psychische Belastung und unnatürliche Haltung wirken zusammen

Eine Studie zur Musikergesundheit aus dem Jahr 2005 kommt zu dem Fazit, dass Musiker ein hohes Risiko für berufsbedingte Erkrankungen haben. Im Probenalltag ist Zeit für einen Ausgleich knapp, organisierte Entspannungsphasen sind im Orchesterbetrieb  selten vorgesehen. Hinzu kommt bei Berufsmusikern oft auch eine besondere psychische Anspannung, denn ständig müssen neue Stücke eingeübt werden, häufig unter hohem Zeit- und Perfektionsdruck. Arbeitszeiten bis in den Abend und teils auch Reisetätgkeit kommen hinzu. Das Gefühl, sich nicht ausruhen zu können, kann muskuläre Verspannungen noch verstärken.

Verspannungen äußern sich als Schmerz und werden chronisch

Beim Instrument hört man "Verspannungen", es klingt verstimmt - beim Muskel fühlt man sie. Die sogenannten Triggerpunkte reagieren schmerzhaft auf Druck. Betroffene Muskeln können wulstartig verdickt sein und fühlen sich verhärtet an. Die Verhärtungen und faszialen Verklebungen reizen Nerven und lösen dadurch oft Schmerzen auch in umliegenden Körperregionen aus: Schulter-Nacken-Verspannungen führen typischerweise häufig zu Kopfschmerzen.

Bildlich ausgedrückt seien Muskeln wie die Saiten einer Geige unter Spannung, erklärt Christian Sturm. Und diese Spannung müsse perfekt abgestimmt sein - nicht zu stark, nicht zu schwach. Kraft und Spannung müssen am Körper genau wie am Instrument miteinander harmonieren. Wenn Muskeln verspannen, können sie sich verkürzen und so das Zusammenspiel im muskulären Halteapparat stören.

Wird nicht rechtzeitig für einen körperlichen Ausgleich gesorgt, etablieren sich die Verhärtungen und Verkürzungen. Der Schmerz kann chronisch werden. Somit kann es nötig sein, zunächst medikamentös die Schmerzen herunterzufahrren, um das Schmerzgedächtnis zu überschreiben - also mit Schmerzmitteln wie Ibuprofen gegenzusteuern -, ehe man die nächsten Schritte überhaupt angehen kann.

Verhärtete, verkürzte Muskeln vorsichtig weich dehnen

Egal wie lange die Verspannungen schon bestehen - der erste Behandlungsschritt sollte die Dehnung der betroffenen Muskulatur sein: jeden Tag, immer nach dem Spielen.

Manuelle Therapie und Akupunktur

Doch Dehnung allein reicht nicht bei hartnäckigen Verspannungen. Manuelle Therapie hilft, die Triggerpunkte zu lösen. Es regt die Durchblutung im Gewebe an und lockert es dadurch.

Auch Dry Needling (deutsch "trockenes Nadeln", eine spezielle Akupunkturtechnik) hat offenbar lösende Wirkung auf den muskulären Hartspann. Es gibt Hinweise darauf, dass die Nadelstiche Entzündungsreize im Muskelgewebe mindern.

Für muskulären Ausgleich sorgen

Ist die verkürzte Muskulatur etwas entspannter und weicher geworden, dann kommt Schritt zwei: Aktivierung und Kräftigung. Auf Dauer ist es wichtig, einen Ausgleich zur einseitigen Belastung beim Musizieren zu schaffen und Bewegung in die Schulter- und Nacken-Partie zu bringen.

Dazu eignet sich besonders der Crosstrainer: große sanfte Bewegungen aktivieren die Muskulatur und steigern gleichzeitig die Ausdauer. Um die Muskulatur nicht erneut überzubelasten, gilt es, langsam einzusteigen: Am Anfang reichen pro Einheit zehn Minuten - Ziel wären dreißig Minuten. Trainiert werden sollte alle zwei Tage, sodass sich die Muskeln zwischendrin immer regenerieren können.

Alternativen zum Crosstrainer wären Nordic Walking mit Stöcken oder Kajakfahren. Auch durch das doppelseitige Paddel wird der Oberkörper symmetrisch gefordert. Und obwohl man sitzt, sind auch die Beine aktiv. Sie müssen das Boot stützen und stabilisieren. Kajakfahren hat einen weiteren Vorteil: Eine Runde auf dem Wasser kann eine meditative Wirkung haben und sehr gut helfen zu entspannen. Generell ist Bewegung im Grünen oder auf dem Wasser ein besonders erholsamer Ausgleich zum stressigen Arbeitstag.

Rumpf- und Schultermuskulatur kräftigen

Weitere Kräftigungsübungen allein mit dem Körpergewicht, mit einem Fitnessband oder leichten Hanteln (auf Reisen eignen sich dafür gefüllte Wasserflaschen) lassen sich ohne viel Aufwand in den Alltag integrieren. Solche Übungen sollte aber besser nur durchführen, wer keine akuten starke Verhärtungen mehr hat. Schmerzpatienten trainieren am besten unter fachkundiger Anleitung.

Gute "Übe-Hygiene": regelmäßig Pausen machen

Eine gute Struktur im Probenalltag trägt dazu bei, hartnäckigen Beschwerden vorzubeugen. Musiker sind wie Spitzensportler: Das Halten und Spielen des Instruments ist eine körperlich starke Herausforderung. Das bedeutet, Musiker sollten sich auch verhalten wie Sportler: Fußballer laufen erst einmal eine Platzrunde und machen Gymnastikübungen, bevor sie trainieren. Ebenso sollte man sich als Musiker vor dem Üben warm machen.

Nicht nur das Instrument einspielen, sondern auch die Muskulatur

Um die Muskulatur aufzuwärmen, reichen schon einfache kreisende Bewegungen der Arme, Schultern und des Kopfes. Das dauert keine fünf Minuten.

Gleich nach der Probe oder dem Konzert sollten dann immer die entsprechenden Dehnübungen auf dem Programm stehen. Es ist wichtig, unmittelbar nach der Belastung zu dehnen, wenn die Muskulatur noch warm ist.

Entspannungsphasen einplanen

Nach dem Proben oder dem Konzert ist Entspannung wichtig. Dabei kann eine Akupressurmatte unterstützen - eine Matte mit Noppen. Sie regt die Durchblutung an, wenn man sich darauflegt, die Muskulatur wird wohlig warm, fast wie nach einer Massage. Andere gute Entspannungstechniken sind Yoga, autogenes Training oder progressive Muskelrelaxation.

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Dieses Thema im Programm:

Die Bewegungs-Docs | 21.02.2022 | 21:00 Uhr

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