Eine Frau gießt kaltes Wasser über ihre Oberschenkel. © Colourbox

Kneipp: Mit kalten Güssen fit gegen Infekte

Stand: 30.06.2022 11:16 Uhr

Die Wassertherapie nach Kneipp aktiviert den Stoffwechsel, stabilisiert den Kreislauf und regt das Immunsystem an. Es genügt, die Güsse an einzelnen Körperstellen regelmäßig durchzuführen.

Einen kalten Wasserstrahl gleichmäßig über das Gesicht laufen lassen, beginnend von rechts über die Stirn nach links und das mehrfach wiederholen - der auch Kneipp'scher Espresso genannte Gesichtsguss macht nicht nur wach, sondern auch den Körper fit gegen Infekte im Winter.

Der Pfarrer Sebastian Kneipp hat die Wassertherapie zur Stärkung des Immunsystems vor mehr als 130 Jahren erfunden. Bei regelmäßiger Anwendung wirkt das mit 16 bis 17 Grad Celsius sehr kühle Wasser als Heilmittel. Es aktiviert den Stoffwechsel, stabilisiert den Kreislauf und regt das Immunsystem an.

Kneipp-Effekt ist wissenschaftlich belegt

Wissenschaftler der Universität Jena haben die Wirksamkeit in einer Studie eindeutig belegt: Die kalten Güsse nach Kneipp sind ein intensiver Reiz für den Körper und stärken so die Abwehrkräfte. Zur Abhärtung genügt es, die Güsse an einzelnen Körperstellen durchzuführen.

Mediziner der Essener Abteilung für Naturheilkunde wendeten bei zwei Probanden die Wassergüsse im Gesicht an und untersuchten deren Immunglobulin vom Typ A (IgA-Status). Diese Abwehrkörper kommen im Speichel sowie in der Schleimhaut von Mund, Nase und Rachen vor. Dort sollen sie Eindringlinge abwehren - wie die Erreger von Schnupfen, Husten und grippalen Infekten.

Die Abwehrkörper heften sich an die Viren und verhindern das Andocken an die Schleimhaut. Sie locken zudem körpereigene Fresszellen an, die die Viren vernichten. Das funktioniert jedoch nur, wenn genügend Abwehrzellen vorhanden sind.

Die Probanden der Studie mussten Stirn und Wangen mit einem dicken, kalten Wasserstrahl langsam umspülen - nach der alten Kneipp-Regel dreimal hintereinander. Nach einer Woche mit Kneipp'schen Gesichtsgüssen morgens und abends sowie einer zusätzlichen Stimulation der Zungendurchblutung mit einer Zahnbürste wurde der IgA-Status der Probanden wieder gemessen. Das Ergebnis: Die IgA-Werte bei beiden Probanden stiegen, sie hatten ganze 25 Prozent mehr Immunglobulin als zuvor.

Schleimhautdurchblutung wird angeregt

Da zur Bekämpfung der meisten viralen Erreger keine Medikamente zu Verfügung stehen, ist eine starke Körperabwehr wichtig, um Infektionen im Nasen- und Rachenraum zu verhindern. Das Positive an den Kneipp-Güssen sei ihre durchblutungssteigernde Wirkung, vermuten die Experten. Zuerst ziehen sich die Blutgefäße durch das kalte Wasser zusammen, dann erweitern sie sich stark - viel mehr Blut strömt hindurch. Je besser Nase, Rachen und Mundschleimhaut durchblutet sind, desto mehr IgA- und Fresszellen werden dort gebildet. Damit die kalten Güsse wirken, müssen sie regelmäßig durchgeführt werden - mindestens dreimal pro Woche.

Auch Wassertreten hilft Infektionen vorzubeugen

Neben den Gesichtsgüssen kann man auch weitere klassische Kneipp-Anwendungen selbst durchführen. Zum Beispiel in einer Kneipp'schen Wassertretanlage. Die kalten Reize an den Beinen fördern die Abwehrkräfte. Dafür taucht man zuerst den rechten, herzfernen Fuß ins Wasser, beginnend mit den Fußspitzen. Nach jedem Schritt zieht man den Fuß wieder ganz aus dem Wasser heraus. Das bewirkt eine Wechselwirkung von warm und kalt.

Mehrere Personen benutzen eine Kneippanlage an einem Bach. © NDR Foto: Lars Gröning
In der Wassertretanlage fördern die kalten Reize an den Beinen die Abwehrkräfte.

Durch den thermischen Reiz ziehen sich die Blutgefäße zusammen, das wirkt schmerzlindernd auf die Nervenenden und steigert die Durchblutung sowie den Abtransport von Schmerzbotenstoffen aus dem Gewebe über die Lymphwege.

Bei regelmäßiger Anwendung lassen sich auf diese Weise auch ein zu niedriger Blutdruck dauerhaft erhöhen und Schmerzen lindern. Nach dem Kälteschock produzieren die Muskeln wieder Wärme, die Gefäße stellen sich weit und das Blut schießt durch die Adern. Das trainiert auch das Immunsystem. Nur richtig auskühlen sollte man dabei nicht, das würde den Organismus wieder schwächen. Drei bis maximal fünf Minuten pro Anwendung reichen.

Kaltes Armbad für Herz und Lunge

Ein Mann hält seine Arme in ein Wasserbecken. © PantherMedia Foto: Westend61Premium (Maria Maar)
Ein kaltes Armband kann jeder einfach selbst durchführen.

Ein Eintauchen der Unterarme in kaltes Wasser gehört ebenfalls zu den von Kneipp empfohlenen Übungen und ist besonders leicht im heimischen Badezimmer durchzuführen: Ausatmen, erst den rechten, dann den linken Arm bis zur Mitte der Oberarme eintauchen, im Kreis bewegen und wieder aus dem Wasser ziehen. Diese Übung sorgt dafür, dass Herz und Lunge gut durchblutet werden.

Die fünf Säulen der Kneipp’schen Lehre

Pfarrer Kneipp hat sich in seinen Lehren nicht auf die Anwendung von kaltem Wasser beschränkt, er war auch ein großer Befürworter des Barfußlaufens und allgemein der körperlichen Bewegung. Insgesamt stützen sich seine Lehren auf fünf Säulen:

  • Wasser
  • Bewegung
  • Ernährung (Vollwert-Mischkost mit viel Gemüse, etwas Obst und wenig Fleisch)
  • Heilpflanzen (z.B. Fenchel bei Magen-Darm-Beschwerden, Lindenblüten bei Bronchitis, Teufelskralle bei Gelenkbeschwerden)
  • Lebensordnung (Achtsamkeit: regelmäßig essen, ausreichend schlafen, soziale Kontakte pflegen, Stress vermeiden, auf die innere Uhr hören)

Er riet zu jeder Art von Bewegung, die den Kreislauf in Schwung bringt. Und die Bewegung sollte so viel wie möglich barfuß erfolgen, um Muskeln, Sehnen und Bänder besser zu trainieren, die Fußreflexzonen zu massieren und die Körperhaltung zu verbessern. Häufiges Barfußlaufen kann helfen, viele Probleme mit Knochen und Gelenken zu vermeiden, darunter Platt-, Senk- und Spreizfüße, sowie Arthrosen in Knie- und Hüftgelenken.

Besser schlafen mit Kneipp

Eine neuere Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) zeigt, dass Kneipp-Güsse auch gegen Schlafstörungen helfen. Die Güsse mit kaltem Wasser verringern die Körpertemperatur und das hilft beim Einschlafen. Deshalb schläft man auch in kühlen Zimmern oder bei offenem Fenster besser. Die Schlafstörungen der Probanden verringerten sich im Schnitt um 30 Prozent.

 

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