Stand: 18.07.2019 11:44 Uhr

Besondere Talente der Menschen mit Downsyndrom

von Katharina Jetter, NDR Info

An der Schwelle zum Erwachsenenleben wollen auch Menschen, die das Downsyndrom haben, ihre Talente und Fähigkeiten einsetzen und weiterentwickeln. Welche Möglichkeiten haben sie? Und wie werden sie gefördert?

Zwei junge Erwachsene, die das Downsyndrom haben, halten sich Arm in Arm fest und lächeln in die Kamera. © KIDS Hamburg
Fabian und Lea sind zwei der jungen Erwachsenen, die in den Jugendclub von KIDS in Hamburg kommen.

Ein Essen unter Freunden. Es wird gegrillt, die Stimmung ist gut. Die zwölf jungen Menschen mit Downsyndrom genießen im offenen Jugendclub von KIDS Hamburg einen Samstagabend im Sommer 2019. Die meisten von ihnen sind berufstätig, am Montag gehen sie wieder zur Arbeit. Emily Vogel ist 22, sie arbeitet bei der Druckerei Alsterpaper. Der 19-jährige Fabian ist im "Musiklabor" in Altona tätig: "Ich bin Musiker - Schlagzeug, Gitarre, E-Gitarre und Bassgitarre." Lisa ist 23, sie arbeitet in einem Kindergarten in einer Küche. Und der 22 Jahre alte Dominik ist Künstler. Er malt, zeichnet und bastelt.

Menschen mit dem Downsyndrom sind so verschieden wie alle anderen Menschen auch. Sie sind unterschiedlich intelligent, künstlerisch oder praktisch veranlagt, Sportskanonen oder Leseratten, schüchtern oder mutig.  Das zeigt sich auch in den Hobbys der Jugendclub-Besucher. Marvin zum Beispiel strickt gerne: "Vor allem Schals und andere Dinge. Ich mache auch Decken und Freundschaftsbänder", erzählt er. Emilys Hobbys sind "Zirkus, Schwimmen, Fahrrad fahren und mit meinem Hund rausgehen", bei Paul sind es das Handballspielen, Lesen, Zocken und Freunde treffen. Sean macht Krafttraining, Tanzschule und Fußballtraining.

Langsamer lernen, weil das Erkennen blockiert ist

Durch gute Förderung können Menschen mit Trisomie 21 viel lernen. Die meisten der jungen Leute, die den Jugendclub besuchen, können lesen, schreiben und rechnen. Sie fahren alleine mit dem Bus und der Bahn durch Hamburg, finden sich in ihrem Alltag zurecht. Diese Fähigkeiten mussten sie allerdings intensiv trainieren.

Der Hamburger Erziehungswissenschaftler André Zimpel leitet die weltweit größte Studie zu der Frage, wie Menschen mit Downsyndrom lernen. Er hat herausgefunden: "Wir können bei allen Menschen mit Trisomie 21 davon ausgehen, dass sie weniger Informationen gleichzeitig verarbeiten können. Wir Neurotypischen können vier Dinge auf einmal erfassen, Menschen mit Trisomie 21 nur zwei. Wenn ich auf den Buchstaben "E" schaue, kann ich die vier Striche, aus denen sich das E zusammensetzt, auf einen Blick erfassen. Hätte ich eine Trisomie 21, dann müsste ich zweimal hinschauen." Das bedeute, dass sie sich in einer Welt zurechtfinden müssten, die auf sie nicht vorbereitet ist: "Wir reden für sie zu lange Wörter, wir schreiben Buchstaben zu kompliziert, unsere Rechenverfahren passen nicht für sie."

Mächtig unterschätzt

Eine junge erwachsene Frau, die das Downsyndrom hat, liegt auf einer Decke auf einer Wiese. © KIDS Hamburg
Charlotte und die anderen jungen Erwachsenen mit Downsyndrom haben oft klare Vorstellungen davon, wie ihr Leben weitergehen soll.

Menschen mit Downsyndrom können sehr viel mehr lernen, wenn ihre Art der Informationsverarbeitung beim Training berücksichtigt wird, erklärt Zimpel: "Wir können gerade in einem Projekt zeigen, dass sie Mathematik sehr wohl verstehen, sehr gut rechnen lernen können. Das spricht für ihre Intelligenz, die sie aber nicht zeigen können, weil ihnen ihre hypotone Muskulatur das Sprechen wahnsinnig erschwert und eben auch emotionale Besonderheiten, dass sie eben auch leicht Aversionen entwickeln gegen etwas." Dadurch entstehe ein Eindruck, der dazu führe, dass man sie mächtig unterschätze.

Außerdem wollen Menschen mit Downsyndrom genauso wie alle anderen selbständig leben. Einige Teilnehmer des Jugendclubs sind schon von zu Hause ausgezogen. Sie leben mit anderen Menschen mit Behinderung in Wohngemeinschaften, dabei werden sie von Betreuern unterstützt. Andere bereiten sich auf den Auszug vor, indem sie einmal in der Woche die Wohnschule besuchen. Dort lernen sie, wie man einen Haushalt führt.

Wünsche und Träume für die Zukunft

Was wünschen sie sich für die Zukunft? Eine abstrakte Frage, von der man lange glaubte, dass sie Menschen mit Downsyndrom gar nicht beantworten können. Emily möchte gerne ausziehen, mit ihrem Freund Paul. "Auf jeden Fall möchte ich vor 30 noch heiraten", sagt sie. Annika wünscht sich, mit einer Meerjungfrau zu schwimmen "und durch die Wellen zu tauchen und mit Delphinen zu schwimmen".

Der 20-jährige Paul wünscht sich, dass er mehr Freunde auch unter Nichtbehinderten hat: "Draußen auf der Straße zum Beispiel habe ich nicht so viele Freunde. Und mit mir redet keiner so wirklich, setzt sich zu mir. Und wenn sie über mich reden, dann beleidigen sie mich. Und das merke ich dann." Er gibt ein Beispiel, wie es besser gehen könnte: "Finn spielt mit mir Handball, der kann nicht so gut reden - wie ich. Und er hat auch einen höheren Grad an Behinderung, aber wir verstehen uns alle gut in der Mannschaft."

Das ist das Downsyndrom

Das Downsyndrom ist keine Krankheit, sondern eine genetisch bedingte Veranlagung. Menschen mit Downsyndrom besitzen in jeder Körperzelle ein Chromosom mehr. Das Chromosom 21 ist dreifach vorhanden, statt üblicherweise zweifach. Das Syndrom wird daher auch als Trisomie 21 bezeichnet.

Erstmals hat der englische Arzt John Langdon-Down die Merkmale 1866 beschrieben: die mandelförmigen Augen, die anfänglich schwache Muskelspannung und die sogenannte Vierfingerfurche. Geistig sind Menschen mit Downsyndrom unterschiedlich weit entwickelt. Die Spanne reicht von Menschen, die in Behindertenwerkstätten arbeiten, bis hin zu Hochschulabsolventen.

Etwa jedes 800. Kind kommt mit dem Downsyndrom zur Welt. In Deutschland sind das pro Jahr etwa 1.200 und in Hamburg circa 20 Kinder. Insgesamt leben in Deutschland etwa 30.000 bis 50.000 Menschen mit dieser Veranlagung. Die Lebenserwartung liegt bei 60 Jahren.

Frauen haben unter anderem die Möglichkeit, zwischen der 11. und 14. Schwangerschaftswoche die Nackenfalte ihres ungeborenen Kindes per Ultraschall untersuchen zu lassen. Außerdem gibt es seit 2012 einen Bluttest, wodurch die Wahrscheinlichkeit für eine Chromosomen-Besonderheit bei ihrem Kind festgestellt wird. Die Forderung, diesen Test als Kassenleistung einzuführen, wird derzeit kontrovers diskutiert. Nach der Diagnose Downsyndrom entscheiden sich in Deutschland neun von zehn Frauen für eine Abtreibung.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Infoprogramm | 19.07.2019 | 07:50 Uhr

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