Verfallene Häuser auf der Halbinsel Wustrow aus der Vogelperspektive.

Das Wustrow-Spiel - rien ne va plus (nichts geht mehr)

Stand: 21.05.2021 06:22 Uhr

Ein hässlicher Zaun teilt Rerik, trennt die Stadt von der Halbinsel Wustrow, seit über 20 Jahren schon. Der Zaun ist Symbol für einen Dauerkonflikt, für die Goldgräberstimmung nach der Wende.

von Martin Möller und Jürgen Opel

Auf der einen Seite steht der gut vernetzte Immobilieninvestor Anno August Jagdfeld und auf der anderen Seite die Stadt Rerik, die Mehrheit der Stadtvertretung und ihr Langzeit-Bürgermeister Wolfgang Gulbis (SPD). In der neuen Folge unseres Podcasts "Dorf Stadt Kreis" spricht Thomas Nadler mit den NDR Journalisten Martin Möller und Jürgen Opel und ihre teils jahrzehntelangen Recherchen. Sie stellen die Hauptbeteiligten vor, beleuchten ihre Interessen, tauchen in die Geschichte ab und wagen einen Blick in die Zukunft der geheimnisvollen Halbinsel.

Ohne Baugenehmigung nichts wert

Das Schild "Lebensgefahr" hängt an einem Baum auf der Halbinsel Wustrow, dahinter stehen verfallende Gebäude. © NDR Foto: Daniel Sprenger
Die Halbinsel Wustrow: In Traumlage mit direktem Ostseeblick tut sich hier ein großer Lost Place auf.

Wustrow ist der Traum eines jeden Investors und das letzte große unbebaute Filetstück an der Mecklenburgischen Ostseeküste. Zwischen Salzhaff und Ostseestrand gelegen bietet das Eiland Ruhe, Natur und viel Geschichte. Um diese Werte zu Geld zu machen, braucht Investor Jagdfeld gültige Bebauungspläne. Erst Anfang des Jahres haben die Reriker Stadtvertreterinnen und -vertreter alle Planungsverfahren gestoppt. Alte und neue Gartenstadt, Hotel, Marina und Golfplatz sind damit bis auf weiteres vom Tisch. Jagdfeld fühlt sich seit 23 Jahren von der Stadt blockiert. Stadtvertreterin Maria Pinkis (SPD) entgegnet: "Die Stadt hat die Planungshoheit. Und wenn sich die Mehrheit der Bürger für Naturschutz oder ähnliches ausspricht und gegen eine Großbebauung, dann sitzen natürlich die Stadtvertreter am längeren Hebel."

Teile und herrsche

Anno August Jagdfeld © NDR Foto: Martin Möller
Investor Anno August Jagdfeld gehört die Halbinsel seit 1998.

Investor Jagdfeld wirbt mit Arbeitsplätzen, höheren Steuereinnahmen, stellt Aufträge für lokale Unternehmen in Aussicht, verspricht Projektanteile für Einheimische zum Selbstkostenpreis. Er würde auch auf die Marina und den Golfplatz verzichten, die Halbinsel nur niedrig bebauen. Jagdfeld beschreibt es so: "Wir können im Grunde über alles sprechen, aber man muss auch zeigen, ob man was Besseres hinkriegt." Der Rheinländer hat eine einflussreiche Unterstützergruppe. Auf seiner Gehaltsliste stehen unter anderem der ehemalige Bürgermeister von Bad Doberan Hartmut Polzin (SPD) und der ehemalige Leiter des Staatlichen Amtes für Landwirtschaft und Umwelt Hans-Joachim Meier. Jagdfelds Strategie: Die Willigen von den Unwilligen im Ort trennen. Auf der letzten Stadtvertretersitzung versuchten seine Getreuen die Entmachtung des Bürgermeisters per Abwahlantrag. Angeführt wurden sie dabei vom Unternehmer Kai Kloss, bei dem Bürgermeister Gulbis mal als Geschäftsführer angestellt war. Die Abwahl scheiterte.

Mecklenburgisch aussitzen

Langzeit-Bürgermeister Gulbis ist für Pressevertreter schwer zu erreichen. Er findet, dass sich Redakteure zu leichtfertig auf die Seite von Jagdfeld schlagen. Nach dem Motto: Wer besitzt und investiert, muss Recht haben. Viele persönliche Anfeindungen haben bei Gulbis tiefes Misstrauen hinterlassen. Freimütig bekennt er: "Es ist besser nichts zu sagen, die Dinge auszusitzen. Ich bin eben ein typischer Mecklenburger." Schon 1994 hat er im Nordmagazin erklärt: "Auf den Verkauf der Halbinsel haben wir leider keinen Einfluss, aber was dort gebaut wird, das entscheiden wir." Seitdem hat sich in viel Rerik verändert. Im Jahr 2020 zählte das kleine Ostseebad knapp 510.000 Übernachtungen - so viele wie noch nie. Auf die zuletzt gezählten 2.160 Einwohner entfallen aktuell rund 1.340 Ferienwohnungen mit rund 3.300 registrierten Gästebetten. Ist da überhaupt noch Luft nach oben?

Die Einheimischen sind selbstbewusst. Viele wünschen sich die Halbinsel als Naherholungsgebiet für eine immer enger bebaute Stadt, das wird die Bürgerinitiative "Wir für Rerik" nicht müde zu wiederholen. Nicht zuletzt wäre ein Ferienresort auf Wustrow auch unliebsame Konkurrenz, jedenfalls für höherpreisige Angebote im Ort. Vom Rückkauf der Halbinsel durch das Land und den Bund ist als Vorschlag die Rede. Investor Jagdfeld hofft auf die nächsten Kommunalwahlen und damit auf eine möglicherweise andere Zusammensetzung der Stadtvertretung, ein neues Stadtoberhaupt. So gibt sich Anno August Jagdfeld gelassen: "Wir sind ein Familienunternehmen. Ich habe fünf Söhne, sieben Enkel - dann machen wir es eben später."

Neustart mit unabhängigen Experten

Der Landkreis Rostock sitzt zwischen den Stühlen. Der zuständige Dezernatsleiter Romuald Bittl (CDU) kommt im Podcast "Dorf Stadt Kreis" zu Wort. Bittl hofft, dass die Halbinsel entwickelt wird, dass möglichst bald was passiert. Allerdings müssten "die Interessen des Investors mit den Belangen der Gemeinde zusammengeführt werden." Bittl stellt klar, dass die Gemeinde das Sagen habe und das sei auch gut so. Er könne sich vorstellen, dass unabhängige Experten ein Nutzungskonzept in öffentlichem Dialog entwickeln, indem sich am Ende möglichst viele Reriker wiederfinden. Dazu müssten aber beide Seiten über ihre Schatten springen. Danach sieht es aber aktuell nicht aus. Zaun und Wachschutz werden Neugierige wohl noch lange von der Halbinsel fernhalten, und Wustrow weiter tief im Dornröschenschlaf bleiben. Rerik-Wustrow-Jadgfeld - das Psychogramm einer komplizierten Beziehung - jetzt im NDR Podcast "Dorf Stadt Kreis - Starke Geschichten aus dem Norden".

Weitere Informationen
Verfallende Häuser auf der Halbinsel Wustrow, dahinter die Ostsee. © NDR Foto: Daniel Sprenger

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 20.05.2021 | 10:00 Uhr

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