Live aus der Elphi: Gilbert & Weilerstein

Ihn hatte das Konzertverbot aufgrund der Corona-Pandemie mitten in seiner Antrittssaison als neuer Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters getroffen: Nach zwei intensiven Projekten im Februar in Hamburg hieß es auch für Alan Gilbert "stay at home". Den Kontakt zu seinen Musikern hielt er von seinem Zuhause in Stockholm dennoch virtuell aufrecht - und jetzt kann auch endlich wieder gemeinsam musiziert werden. Am 19. Juni dirigierte Alan Gilbert nun das "auf Abstand" spielende NDR Elbphilharmonie Orchester endlich wieder im Großen Saal der Elbphilharmonie. Solistin des Abends war die amerikanische Star-Cellistin Alisa Weilerstein.
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NDR Kultur übertrug das Konzert am 19. Juni um 20 Uhr live im Radio. Der Konzertmitschnitt steht ab sofort hier und in der NDR EO App zum Nachhören bereit.
Béla Bartók - zwischen Tradition und Moderne

Auf dem Programm des Abends stehen kleiner besetzte, aber nicht minder großartige Orchesterwerke, die gut mit den Corona-Regeln vereinbar sind. Béla Bartóks Divertimento für Streichorchester entstand 1939 im Auftrag von Paul Sacher als letztes Werk in der ungarischen Heimat des Komponisten, bevor dieser ins Exil in die USA floh. Bartók orientierte sich an der barocken Form des "Concerto grosso", das durch den typischen Wechsel aus solistischen und Tutti-Passagen gekennzeichnet ist. Wer allerdings einen Abklatsch von Vivaldi, Bach und Co. erwartet, hat die Rechnung ohne Bartók gemacht: Rhythmische Akzente, volkstümliche Charaktere und dynamische Kontraste verleihen der Musik einen typisch Bartók’schen, zwischen Tradition und Moderne vermittelnden Anstrich.
Tschaikowskys "Rokoko-Variationen"
Etwas Ähnliches, wenn auch mit der Brille eines fest im 19. Jahrhundert verwurzelten, romantischen Komponisten gesehen, schwebte Peter Tschaikowsky mit seinen "Rokoko-Variationen" für Cello und Orchester vor. "Rokoko" war für ihn nicht nur das Sinnbild für einen reinen, eleganten, geistvollen Musikstil, sondern auch für eine sorgenlose, unproblematische Epoche - ganz im Gegensatz zu den Depressionen, die den Komponisten im Winter 1876 plagten.
Also komponierte Tschaikowsky quasi zur "Seelenreinigung" ein schlichtes Thema - weniger übrigens im Stil des Rokoko als vielmehr als Hommage an sein großes Vorbild Mozart - und ließ demselben mehrere hochvirtuose Variationen folgen. Die konnte damals nur ein Könner wie Wilhelm Fitzenhagen bewältigen, dem das Stück gewidmet ist und der in seiner Ausgabe sogar noch ein paar extra Schwierigkeiten einbaute.
Heute nimmt Alisa Weilerstein, die bereits mit 13 Jahren beim Cleveland Orchestra debütierte und seitdem zu den weltweit gefragtesten Cellistinnen ihrer Generation gehört, die Herausforderung gerne an.
Joseph Haydn: Meister der klassischen Sinfonie

Zum Schluss des Konzerts ist dann noch ein echtes Original aus jener Epoche zu hören, auf die Bartók und Tschaikowsky so sehnsüchtig zurückblickten: Joseph Haydn, der Meister der klassischen Sinfonie. Seine Werke schaffen die perfekte Verbindung aus kompositorischer Intelligenz und emotionalem Ausdruck, halten die ideale Balance zwischen Drama und Komödie.
Für sein erstes Konzert in Hamburg nach der Corona-Pause hat sich Haydn-Fan Alan Gilbert die Sinfonie Nr. 92 ausgesucht, die vielleicht auch anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an den Komponisten 1791 in Oxford aufgeführt wurde. Den Beinamen "Oxford" könnte man getrost aber auch durch "London" ersetzen, denn die Sinfonie war in der britischen Metropole nicht minder erfolgreich als die folgenden 12 "Londoner Sinfonien", mit denen Haydn sein reiches Sinfonieschaffen krönte.
