Nachgefragt: Cellistin Alisa Weilerstein
"Ich bin überglücklich, mit meinen großartigen Kollegen und Freunden jetzt wieder direkt für das wundervolle Hamburger Publikum spielen zu können." Gemeinsam mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester holt Alisa Weilerstein das langersehnte, durch die Corona-Pandemie ausgefallene Konzert mit Tschaikowskys Rokoko-Variationen jetzt nach.
Frau Weilerstein, wenn Sie auf die letzten Monate zurückblicken: Wie haben Sie sich gefühlt, als klar wurde, dass aufgrund der Corona-Pandemie auf unbestimmte Zeit keine Konzerte mehr stattfinden werden?
Alisa Weilerstein: Ich glaube, es brauchte eine Weile, bis die Realität wirklich in meinem vollen Bewusstsein angekommen war. Zunächst erwartete ich ein paar Wochen oder vielleicht zwei Monate ohne Konzerte. Als mir aber der ganze Ernst der Lage bewusst wurde, bekam ich offen gesagt ganz schön Schiss …
Wie haben Sie dann Ihre unerwartete Freizeit verbracht?
Weilerstein: Zuerst habe ich eine ganze Reihe von Videos für die Social Media-Netzwerke gemacht. Ich hatte zum Beispiel ein Projekt namens "36 Days of Bach", bei dem ich buchstäblich durch alle Bach-Suiten für Solo-Cello gegangen bin und jeden Tag einen Satz geposted habe (es sind ja sechs Suiten mit jeweils sechs Sätzen). Das war am Anfang ein enormer Trost für mich und ein Weg, (hoffentlich) mit anderen Menschen zu kommunizieren und auch sie ein wenig aufzubauen.
Später habe ich die Zeit damit verbracht, neues Repertoire zu lernen und sogar an einigen Transkriptionen zu arbeiten, die ich schon lange in Planung hatte, aber aus Zeitgründen nie in Angriff nehmen konnte. Ich habe also schon versucht, die Zeit so kreativ wie möglich zu nutzen. Letztlich habe ich es aber vor allem auch geschafft, wirklich wertvolle Familienzeit mit meinem Mann und meiner Tochter zu genießen.
Die Corona-bedingte Zwangspause haben Sie also nicht nur als negatives Erlebnis empfunden. Gab es irgendetwas, was man Ihrer Meinung nach aus dieser Zeit lernen konnte und kann?
Weilerstein: Auf jeden Fall! Ich weiß, dass ich nicht die einzige bin, die das so empfindet, aber bei mir hat diese Krise das überwältigende Bedürfnis ausgelöst, meine Prioritäten von Grund auf neu zu überdenken und dabei immer im Blick zu haben, was wirklich wichtig im Leben ist.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Weilerstein: In aller Kürze: einen freieren, sichereren und gesünderen Planeten, auf dem Entscheidungen auf der Grundlage von Vernunft und Mitgefühl getroffen werden.
Die Zeit ganz ohne öffentliche Konzerte ist ja nun zum Glück vorbei und wir freuen uns auf Ihre Auftritte in Hamburg. Wie blicken Sie Ihrer Rückkehr zum NDR Elbphilharmonie Orchester in diesen Tagen entgegen? Und mit welchen Erinnerungen denken Sie an Ihr letztes Konzert hier mit Alan Gilbert zurück, das Sie während des Corona-bedingten Aufführungsstopps nur fürs Radio gespielt haben?
Weilerstein: Es fühlt sich fantastisch an, wieder zurück nach Hamburg kommen zu dürfen, und ich freue mich sehr darauf! Das von Ihnen erwähnte letzte Konzert nur fürs Radio war sehr speziell: Das wirklich einzige, was wir vor uns sahen, war eine rote Lampe, die anzeigte, dass wir live auf Sendung waren! Es gibt NICHTS, was die Emotionen und die Energie eines Konzertpublikums im Saal für uns ersetzen könnte.
Als ausübende Künstler sind wir zuerst und vor allem Kommunizierende, und ein lebendiges Verhältnis zu einem persönlich anwesenden Publikum ist von essenzieller Bedeutung. Insofern bin ich überglücklich, mit meinen großartigen Kollegen und Freunden jetzt wieder direkt für das wundervolle Hamburger Publikum spielen zu können.
Sie werden in Hamburg Tschaikowskys Rokoko-Variationen interpretieren. Was verbinden Sie mit diesem Werk?
Weilerstein: Es ist tatsächlich das Stück, mit dem ich im Alter von 13 Jahren mit dem Cleveland Orchestra debütierte – damals auch unter Alan Gilbert! Es ist toll, mit ihm gemeinsam jetzt noch einmal auf dieses Werk zurückzukommen. Ich finde, man kann sich als Cellistin nirgendwo einer Opera-buffa-Sängerin näher fühlen. Das Stück ist so erfindungsreich und macht eine unglaubliche Freude zu spielen.
Die Fragen stellte Julius Heile.