Stand: 08.02.2017 12:00 Uhr

Nachgefragt: Haukur Tómasson

Haukur Tómasson im Porträt © Karólína Thorarensen
"Meine Hoffnung ist, dass das Publikum, wenn es meine Musik hört, etwas ganz Spezielles erfährt, etwas Einzigartiges, Öffnendes, das es sozusagen vom Boden abheben lässt", so der isländische Komponist Haukur Tómasson.

Er gehört zu den profiliertesten Komponisten Islands: Haukur Tómasson. Im Auftrag des NDR und des Los Angeles Philharmonic Orchestra hat er ein Klavierkonzert geschrieben, das im Rahmen des "Into Iceland"-Festivals in der Elbphilharmonie uraufgeführt wird. Im Interview verrät der 56-Jährige, woher seine Inspiration kommt.

Herr Tómasson, die Uraufführung Ihres neuen Klavierkonzerts ist Teil des NDR Festivals "Into Iceland". Wie würden Sie das "musikalische Klima" in Ihrer Heimat beschreiben?

Haukur Tómasson: Das Musikleben in Island ist ziemlich lebendig und facettenreich. In den letzten Jahrzehnten haben unsere Musikschulen hervorragende Arbeit geleistet und viele gute Musiker hervorgebracht. Andererseits studieren isländische Komponisten für gewöhnlich im Ausland und bringen dann wiederum vielfältige Einflüsse mit nach Hause, die das musikalische Spektrum erweitern. Die ganze Atmosphäre ist dabei sehr freundschaftlich geprägt: Viele Musiker arbeiten über alle Genre-Grenzen hinweg miteinander zusammen.

Darüber hinaus hat das Iceland Symphony Orchestra durch das neue Konzerthaus "Harpa" in Reykjavík einen echten Auftrieb bekommen. Ich finde, es wird jedes Jahr besser! Und nicht zuletzt werden junge Komponisten wie Anna Thorvaldsdottir oder Daníel Bjarnason in der ganzen Welt gespielt.

Bei uns in Deutschland wird skandinavische Musik im Allgemeinen - man denke etwa an Sibelius oder Grieg - und isländische Musik im Besonderen oft beinahe nur mit Natur und Landschaft assoziiert. Ist das ein Klischee? Woher ziehen Sie Ihre Inspiration?

Tómasson: Diese Assoziationen scheinen unvermeidlich. Seit meinen ersten Kompositionen als Student in Köln 1983 hat man mit mir über Natur gesprochen und auch gefragt, ob ich wohl irgendwelches Volkslied-Material in meinen Werken verwendete - was damals überhaupt nicht der Fall war. Später allerdings habe ich in der Tat gelegentlich Inspiration oder kompositorische Ideen aus der Natur erhalten. Ich habe sogar ein Stück mit dem Titel "Magma" komponiert, also wird es ziemlich schwierig für mich, jegliche Bezüge zur isländischen Natur zu verleugnen. Aber dieses Stück ist keine Art Sinfonische Dichtung, es ist abstrakter als beispielsweise bei Komponisten wie Jón Leifs, es geht mehr um eine gewisse Energie, die man aus einem Naturphänomen zieht.

Manchmal lasse ich mich auch von bildenden Künsten inspirieren. Beispielsweise habe ich ein Stück geschrieben, bei dem ich mit dem Maler Eggert Pétursson zusammengearbeitet habe; und aktuell arbeite ich an einem Stück, das von der Kunst Yayoi Kusamas inspiriert ist. Aber es gibt noch so viele andere Dinge, die mich inspirieren: Musik, Poesie … und mein letztes Konzert vor dem Klavierkonzert habe ich "Echo Chamber" genannt - ein aus der Akustik stammender Begriff, der aber zur Beschreibung eines ähnlichen Effekts auch in den sozialen Medien verwendet wird.

Und was sollten wir über Ihr neues Klavierkonzert wissen, das nun in der Elbphilharmonie uraufgeführt wird?

Tómasson: Mein zweites Klavierkonzert habe ich hauptsächlich im Jahr 2016 komponiert. Es ist ein 16-minütiges, einsätziges Stück, das in vier Abschnitte gegliedert werden kann. Der erste und der letzte sind miteinander verwandt, aber nicht gleich. Gemeinsam ist ihnen ein sehr viel kleinerer, dünn gewebter Orchestersatz. Der erste Abschnitt aber ist deutlich klarer in Rhythmus und Harmonie, während der letzte ungewöhnliche Spieltechniken präsentiert und ein bisschen wie eine entstellte, verschwindende Reprise daherkommt.

Die beiden mittleren Abschnitte fahren das volle Orchester auf und sind energetischer. Der erste von beiden ist antiphonal gestaltet, während der zweite auf eine Annäherung hinzielt. Manchmal mag es schwierig sein, diesen Ideen zu folgen, weil ich sie auch in kleinerem Maßstab innerhalb jedes Abschnitts aufgreife. Man könnte es vielleicht eine "Matroschka-Puppen-Form" nennen. Insofern hat es wenig mit der "Gattung" des Konzerts zu tun - außer, dass das Klavier deutlich im Vordergrund steht.

Sie haben das Klavierkonzert dem Pianisten Víkingur Ólafsson gewidmet, der auch die Uraufführung spielen wird. Hatten Sie ihn bereits beim Komponieren im Kopf?

Tómasson: Ja. Wir haben schon bei einem früheren Konzert für Klavier und Kammerorchester zusammengearbeitet. Víkingur ist ein sehr nachdenklicher und poetischer, aber auch energetischer Pianist. Darüber hinaus ist er unglaublich flexibel in seiner Interpretation: Bis zum letzten Moment lotet er alle erdenklichen Nuancen in Balance, Ton und Tempo aus. Das macht mich aber überhaupt nicht nervös, weil ihm alles so leicht zu fallen scheint.

Bitte vervollständigen Sie den folgenden Satz: Gute Musik …

Tómasson: … weckt dich auf.

Und zum Schluss: Stellen Sie sich einen Konzertbesucher vor, der noch nie in Island war. Was darf sie oder er dort nicht verpassen?

Tómasson: In Reykjavík sollte man auf jeden Fall ein Konzert in der neuen "Harpa" besuchen. Und man könnte in die Hafengegend spazieren und dort "Þúfa", ein Werk des Künstlers Ólöf Nordal ansehen. Wenn Sie Zeit haben, die Stadt zu verlassen, fahren Sie am besten nach Hvalfjörður rauf und wandern zum Wasserfall Glymur. Und wenn Sie sogar eine Woche oder mehr haben, empfehle ich die Westfjorde, wo die wenigsten Touristen sind. Der Tourismus boomt zurzeit wirklich, und wer die Massen vermeiden will, sollte nicht unbedingt zu den berühmtesten Plätzen fahren.

Das Interview führte Julius Heile

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