Hörspiel
Mittwoch, 01. April 2020, 20:00 bis
21:08 Uhr
Tell Me Something Good, Stockhausen!
1956 revolutionierte Karlheinz Stockhausen mit dem "Gesang der Jünglinge" die elektroakustische Kunst. Inspiriert von seinen Ideen meditiert das Hörspielduo wittmann/zeitblom über einen neuen Schöpfungsmythos. NDR/DLF/BR 2020. ndr.de/radiokunst
Digitale Gesänge von wittmann/zeitblom

The Story goes like this: 1956 versuchte Karlheinz Stockhausen im "Gesang der Jünglinge" Dystopie und Utopie zu vereinen. Eine der vielen Legenden um dieses Kunstwerk könnte lauten, dass der Komponist aus der Schwärze seiner eigenen Kindheit und den Flammen des Holocaust einen Lobgesang auf den Herrn erschaffen wollte und dazu die Unschuld des Knabengesangs mit elektronischer Musik verschmolz. Doch, so betonte der Schöpfer des Kunstwerks selbst, ging es beim "Gesang der Jünglinge“ im Feuerofen nicht um den Inhalt, sondern um das rituelle Moment der Sprache. Sein selbst proklamiertes Ziel war, mit einer 5-Kanal-Klangmaschine die damaligen Mono-Hörgewohnheiten signifikant zu erweitern - und was könnte sich besser dazu eignen, als seine Installation im Kölner Dom zu Ehren Gottes erklingen zu lassen. Visionär, provokant, kalkuliert? Wie dem auch sei. Das Werk wurde seitens der Kirchengemeinde als "zu denaturiert" abgelehnt. Auch diese Erfahrung dürfte Stockhausen 1971 zu einer seiner klügsten Thesen geführt haben: "Change the method! - New methods change the experience. New experiences change man."
Ein halbes Jahrhundert nach seiner legendären Lecture "Four Criteria of Electronic Music" verändert das Hörspielduo wittmann/zeitblom ihre Methodik und treibt inspiriert vom "echten Leben" auf einem Strom der hyperrealen Klangsynthese. Sie übersetzen Stockhausens revolutionäre Ansätze für einen Raumklang in die technischen Möglichkeiten des Jahres 2020, in einen binauralen 3D-Hörraum. Hier spielt die Vermischung von Mensch und analoger Technik jedoch keine Rolle mehr. Ein neues Wesen, "Enhance", steuert uns in 12 Gesängen als AI-Zeremonienmeister durch Beobachtungen aus unserem schizophrenen, medialen, postfaktischen, von disruptiven Technologien und Denkschablonen geprägten Alltag und propagiert die unausweichliche Notwenigkeit des Datazentrismus.
Gibt es angesichts des globalen Traumas auf die von Google erfundene Formel "Tell me something good“ noch eine andere Antwort? Wieviel Spielraum bleibt der Menschheit noch, um sich nicht selbst abzuschaffen? wittmann/zeitblom meditieren über das Ende alter Ordnungen und einen neuen Schöpfungsmythos. Planvoll denaturiert, entmännlicht, entweiblicht, divers, janusköpfig. "Weißt du, wer da spricht? - Never mind! Smart systems, smart love, smart life, smart dust. Just do it.“ Eine Stunde Human Voice Machine generiert aus Texten von Nick Bostrom, László F. Földényi, Rosa Luxemburg, Yuval Noah Harari, einem AI-Poem-Generator, Julius Sturm, Robert Barry, Michel Houellebecq und Karlheinz Stockhausen.
Cast und Credits
Sprecher: Alice Dwyer, Sabin Tambrea, PURE Vox Machine und Christian Wittmann
Gesang: Mika Bajinski und Sinclair Zedecks
Realisation: wittmann/zeitblom
Programmierung: zeitblom
Ton: Boris Wilsdorf
Regieassistenz: Magdalena Schnitzler
Produktion: NDR/DLF/BR 2020 l URSENDUNG l 61 min.
Redaktion: Michael Becker
Zitate in "Tell Me Something Good, Stockhausen!"
