Stand: 08.03.2018 14:58 Uhr

Weltfrauentag: Mit dem Koran für Gleichberechtigung

von Hamida Behr

Ob in Deutschland, Spanien oder in den USA - weltweit gehen Frauen am Internationalen Frauentag auf die Straße und kämpfen für ihre Rechte. Denn Frauen und Männer sind immer noch nicht gleichberechtigt. Auch nicht in den Religionsgemeinschaften. Die Hamburger Islamwissenschaftlerin Hamida Behr setzt sich für einen differenzierten Blick auf das Frauenbild im Islam ein.

Hamida Behr © Hamida Behr, Josephine Schwab Foto: Josephine Schwab
Hamida Behr arbeitet an der Universität Hamburg

In muslimischen Gemeinschaften gibt es tatsächlich eine Reihe von Anforderungen an Frauen: Sie sollen zurückhaltend sein, ihre Reize bedecken, nicht verführen. Das Bedecken der Haare durch ein Kopftuch gehört dabei auch oft  dazu: So erkenne man eine muslimische Frau. Es scheint fast eine sechste Säule der Religion geworden zu sein. Eine ganz gewöhnliche Anforderung an Frauen, genauso wie das Gebet oder das Fasten. Die Bekleidung von Frauen so in den Fokus zu rücken, ist allerdings ein Phänomen der Moderne.

Und es gibt auch Gelehrte, die Frauen keine Bekleidungsvorschriften machen und sie nicht zu Statistinnen der muslimischen Gemeinschaften degradieren. Zu ihnen gehört der ägyptisch-amerikanische Scharia-Gelehrte Abou El Fadl. Er versteht die Quellen des Islam und das Verhalten des Propheten Mohammed als Frauen stärkend. Und er stellt die Verse des Koran in den Vordergrund, die Frauen würdigen. Frauen sind laut Koran demnach genau wie Männer mit Verstand begabt, tragen Verantwortung und treffen Entscheidungen.

Über die Autorin

Hamida Sarah Behr studierte Erziehungswissenschaften und Islamwissenschaft an der Universität Hamburg, ebenso Arabisch in Khartum, Sudan. In ihrer Magisterarbeit hat sie sich mit Koranauslegung und Rechtsprechung zu Frauen auseinandergesetzt. Heute unterrichtet sie an der Universität Hamburg angehende Religionslehrer in Islamischer und Interreligiöser Pädagogik.
Zuletzt erschienen:
"Koranauslegung und Rechtsprechung zu Frauen: Positionen von Abou El Fadl und Abu Zaid im deutschen Kontext", Waxmann Verlag 2018, 111 Seiten, 26,90 Euro

Khadidscha und Aischa - zwei wichtige Vorbilder

Dafür gibt es auch historische Beispiele, wie Mohammeds Frauen Khadidscha und Aischa. Sie waren wichtige wirtschaftliche und politische Akteurinnen. In Saudi-Arabien sind diese historischen Frauen verpönt. Das Grab von Khadidscha, der Frau, die als erste an Mohammeds göttlichen Auftrag glaubte und ihn unterstützte, ist heute hinter vielen Mauern nicht mehr zu erkennen. Nur noch wenige Pilger finden den Weg dorthin.

Doch wie ergeht es heute muslimischen Frauen in Deutschland? Weltweit ist ein puritanistisches Religionsverständnis verbreitet. Dies beeinflusst auch viele Gemeinschaften in Deutschland. Auch in den zahlreichen türkisch geprägten Gemeinden steht die Orientierung an Regeln und Gesetzen im Vordergrund. Nach Auffassung der Wahhabiten müssen Frauen die Tugend der Gemeinschaft schützen und sind mit ihrer züchtigen Kleidung das Aushängeschild dafür.

Zwischen Tradition und Aufbruch

Entscheiden sich deutsche Musliminnen für ein Kopftuch, müssen sie jedoch Diskriminierungen im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt ertragen. Die Auseinandersetzung mit den Vorstellungen, was eine muslimische Frau ausmacht, sei es von muslimischer Seite oder aus der Mehrheitsgesellschaft, können für die Betroffenen mitunter recht zermürbend sein. Sie werden dabei auf ihre Konfession, auf ihr Muslim-sein reduziert, und müssen sich für das Frauenbild in ihrer Religion rechtfertigen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass auch in vielen muslimischen Gemeinschaften in Deutschland patriarchale Strukturen vorhanden sind. Aber das ist nicht in Stein gemeißelt. Ein Beispiel ist die Raumnutzung in Moscheen: Gibt es einen Raum für alle, gibt es eine Trennung durch einen Vorhang oder gibt es getrennte Räume? Darüber wird in muslimischen Gemeinschaften diskutiert und es werden unterschiedliche Lösungen gefunden.

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Große Vielfalt an Lebensformen und Einstellungen zum Glauben

Viele Frauen sind jedoch gar nicht in eine Gemeinschaft eingebunden. Einige sind 'Kulturmusliminnen', sie schätzen Aspekte der muslimischen Lebensweise, feiern muslimische Feste, sind aber nicht gläubig. Andere sind gläubig, aber praktizieren keine islamischen Riten. Die Bandbreite von Lebensformen und von Einstellungen zum Islam ist enorm. Dies wird auch durch unsere freie, individualistische Gesellschaft in Deutschland ermöglicht, in der eine Frau ihren eigenen Weg gehen kann. Man kann also die Situation für Musliminnen in Deutschland nicht verallgemeinern. Muslimische Frauen sind so unterschiedlich wie Frauen aller anderen Religionen. Sicher ist aber: Ein freies, selbstbestimmtes Leben als Frau steht nicht im Widerspruch zum Islam.

Weitere Informationen

Immer mehr muslimische Frauen engagieren sich für ihre Rechte, auf ganz unterschiedliche Art und Weise: Im "Aktionsbündnis muslimischer Frauen" etwa, einer bundesweiten Vereinigung von muslimischen Frauen unterschiedlicher nationaler Herkunft und Strömungen innerhalb des Islam. In Projekten, wie zum Beispiel der Website nafisa.de; oder in überregionalen Organisationen, wie dem DITIB Landesfrauenverband Niedersachsen und Bremen. Aber auch in den Gewerkschaften, inkulturellen Initiativen und Parteien.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 09.03.2018 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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