Türkischsprachiger Besuchsdienst für Demenzkranke
Es ist eine Krankheit, die den Betroffenen ihr Sicherheitsgefühl raubt, ihre Orientierung, ihr Vertrauen in sich und andere. Demenz macht Angst. Allein in Hamburg müssen rund 25.000 Menschen damit leben, dass ihr Gehirn nachlässt und das Gedächtnis schwindet. Die Verbindung zur Gegenwart ist zuerst beeinträchtigt, die zur Vergangenheit bleibt länger erhalten.
Zurück zur Muttersprache
Für alle, denen Deutschland die zweite Heimat ist, bedeutet das, dass sie sich im Geiste immer öfter im Land ihrer Kindheit aufhalten und zur Muttersprache zurückkehren. So geht es über 1.000 Hamburger Demenzkranken, die in der Türkei geboren wurden. Sie brauchen türkischsprachige Betreuung und Pflege, die es außerhalb der Familie bisher nicht gab.
In diesem Jahr nahm Gönüllü, ein türkischsprachiger Besuchsdienst, seine Arbeit auf. Die Diplom-Pädagogin Rükiye Kuscu sucht Ehrenamtliche für Gönüllü und organisiert Informationsveranstaltungen, unter anderem in Moscheen. "Bei einem Vortrag in einer Gemeinde," erzählt Rükiye Kuscu, "hatte ich mit älteren Menschen einen runden Tisch gemacht und über das Thema Demenz gesprochen, und da kam die Frage auf: Wer pflegt mich denn später? Ich habe gesehen, dass viele diese Ängste haben: Wir haben ja unsere Eltern gepflegt, aber pflegen uns unsere Kinder? Und dass da viel Bedarf ist, sehr viel Bedarf."
Ein Anfang ist gemacht - aber es Bedarf der Aufklärung
Gönüllü ist die erste Antwort auf diesen Bedarf. Die evangelische Diakonie mit dem Projekt SeniorPartner, die Hamburger Brücke und die Türkische Gemeinde Hamburg haben im April eine Kooperation vereinbart, um Familien zu unterstützen, die Demenzkranke pflegen. Noch müssen die Initiatoren allerdings einige Bedenken ausräumen. "Zum großen Teil ist es in der türkischen Community so, dass die Angehörigen schon aus Scham zu keiner Institution gehen und lieber sagen: Ich schaff das schon selber," so Kuscu. "Und da ist auch der Druck von außen: Du hast deine Eltern nicht gepflegt. Da kommt jetzt eine Freiwillige! Wir möchten dagegen beraten, informieren und sagen: Es ist nicht schlimm, wenn eine Institution zu Hilfe geholt wird."
Ein paar Stunden pflegefreie Zeit
Die Hilfe, die Gönüllü bieten will, sind ein paar Stunden pflegefreie Zeit. Und die sei wichtig, sagt Jasminka Pireci. Bei der Hamburger Brücke leitet sie einmal wöchentlich die Betreuungsgruppe für Demenzkranke. Während dieser drei Stunden können sich die Angehörigen um das kümmern, wozu sie sonst nicht kommen. "Die pflegenden Angehörigen verbringen 24 Stunden mit den Menschen, die sind absolut überfordert," erklärt Jasminka Pireci, "und brauchen auch bisschen Zeit für sich oder Luft zum Atmen." Auch eine türkischsprachige Betreuungsgruppe ist in Planung.
Altvertrautes gibt Geborgenheit
Um Demenzkranken ein Gefühl von Geborgenheit zu geben, kommt es aber nicht nur auf die Worte an, sondern auch auf altvertraute Gesten, Melodien und Rituale. Das von früher Bekannte gilt es bei Gönüllü in den gemeinsamen Besuchsstunden zu erkunden.
Wer sich als Ehrenamtlicher mit Demenzkranken beschäftigt, wird manchmal das Gefühl haben, auf Zeitreise zu gehen. Das jedoch nicht unvorbereitet. Jeder, der sich engagieren möchte, wird geschult und auf seine Einsätze vorbereitet. Rükiye Kuscu erklärt: "Es ist keine Pflege im klassischen Sinne, sondern einfach spazierengehen, Lieder vorsingen, kochen, alte Fotoalben angucken und vielleicht ein Memory spielen, das ist den beiden selbst überlassen. Und es gibt auch eine Aufwandsentschädigung von fünf Euro."
Ein kostenloses Angebot
Für die Familien, die den türkischsprachigen Besuchsdienst in Anspruch nehmen wollen, ist das Angebot von Gönüllü übrigens kostenlos. Gefördert wird es von der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, die Pflegekasse übernimmt die Kosten für den Besuch.