Stand: 31.05.2016 18:46 Uhr

Ramadan: Zeit der Selbstreflexion

von Bülent Ucar

Der Ramadan ist für viele Muslime die wichtigste Zeit im Jahr. Einen Monat lang dürfen sie tagsüber nicht essen und trinken. Wichtiger jedoch noch als das Fasten: sich auf das Wesentliche zu besinnen und sich als Mensch weiterzuentwickeln.

Über den Autor

Bülent Uçar, geboren 1977 in Oberhausen, ist Professor für Islamische Religionspädagogik und Direktor des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück. Er studierte Islamwissenschaften und Rechtswissenschaften an den Universitäten Bochum und Bonn. Nach seiner Promotion arbeitete Ucar zunächst im Landesinstitut für Schule in Soest und im Kultusministerium in Düsseldorf. 2007 wurde er an die Universität Osnabrück berufen.

Ich schaue zurück in die Tage meiner Kindheit: Anfang der 1980er-Jahre, eine Zechensiedlung im Ruhrgebiet, ich ein selbstbewusster Grundschüler und meine Eltern verboten mir das Fasten. Ich wollte aber erwachsen sein! Das, was meine Eltern und die etwas älteren Freunde in der Siedlung konnten, konnte ich auch. Und doch fiel es mir schwer: Die Tage waren lang, die Nächte kurz. Trotzdem: Einige wenige Tage konnte ich ohne das Wissen meiner Eltern fasten. Abends gingen wir am Wochenende manchmal in die Moschee zum Tarawih-Gebet, tagsüber spielten wir fast täglich nach der Schule wie verrückt unter der brennenden Sonne Fußball. Zeitgleich war WM in Mexiko, Argentinien wurde Weltmeister. Das Endspiel gegen Deutschland werde ich nie vergessen. Wunderschöne Erinnerungen, die ich mir möglicherweise auch nachträglich schönrede? Ich weiß es nicht, meine Erinnerung daran ist jedenfalls wunderschön, und das Wissen darüber ist in diesem Moment für mich definitiv und konkret. An das Hungern erinnere ich mich nicht, aber häufig stand ich kurz vor dem Verdursten nach dem Kicken. Es waren, wie gesagt, heiße Sommertage. Die Häme meines damaligen - auf neudeutsch: islamkritischen - Türkischlehrers, doch auf die Toilette zu gehen und dort zu essen, Allah sehe mich dort ja nicht, stärkte eher noch meinen Willen, durchzuhalten.

Das Ziel: ein besserer Mensch werden

Menschen während des Fastenbrechens © Daniel Abdin
Die Al-Nour-Gemeinde in Hamburg engagiert sich für Flüchtlinge. Wie viele andere Moscheegemeinden im Norden, wird die Al-Nour-Gemeinde auch dieses Jahr wieder Flüchtlinge zum Fastenbrechen einladen.

Seit fast 30 Jahren faste ich - mit Ausnahme von Krankheiten - nun durchgehend jedes Jahr ohne Unterbrechungen. Es ist eine gute Zeit, um loszulassen vom Trubel und den alltäglichen unnützen Kleinigkeiten unseres ritualisierten und konsumorientierten Lebens. Um ehrlich zu sein, ist es aber auch sehr anstrengend und hart. Vor allem die ersten zwei bis drei Tage fallen mir recht schwer, danach gewöhnt sich der Körper schnell an diesen neuen Rhythmus. Jedes Jahr nehme ich mir vor, abends weniger zu essen, mehr aus dem Koran zu lesen, zu rezitieren, zu verstehen und zu leben, um ein besserer, humanerer, gottgefälliger Mensch zu werden. Ich will mehr beten, meinem Schöpfer näherkommen, mehr spenden, mehr Gutes tun, an die Bedürftigen und Hungernden dieser Welt denken, mich in sie hineinfühlen, ihnen helfen.

Eine Zeit für Selbstreflexion und Einkehr

Die Sendung zum Nachhören
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR
3 Min

Ramadan: Zeit der Selbstreflexion

Bülent Ucar beschreibt, was der Ramadan für ihn ganz persönlich bedeutet. 3 Min

An all das zu denken und in meine feste Absicht aufzunehmen, fällt mir nicht leicht. Ich kenne mich und weiß, dass die konsequente Einhaltung mir selten vollständig gelingt. Unser aller Schöpfer hat uns schwach erschaffen, dessen bin ich mir bewusst. Ich glaube, dass diese inneren Konflikte, das Bemühen um Besserung, das tägliche Ringen mit dem inneren Schweinehund zum Leben eines jeden Menschen dazu gehören, ja sogar dazu gehören müssen, wenn man sich zum Guten entwickeln will. Für diesen kommenden Ramadan verspreche ich mir selbst, mehr Umsicht für meine Nächsten, mehr Einsicht für meine Schwächen und mehr Zeit für meine Kinder einzuplanen. In meinem Fall ist das noch nicht mal egoistisch. Mir fällt es schwer, offizielle, berufliche und eben auch private Einladungen auszuschlagen. Denn wer möchte schon als arrogant und selbstgefällig gelten? Und ja, der Ramadan ist eine Zeit für die Gemeinschaft, und auch die Familie - aber eben vor allem der Monat für Selbstreflexion und Einkehr.

Fünf Fragen und Antworten zum Ramadan

1. Was bedeutet Ramadan?
Ramadan leitet sich ab von dem arabischen Wort ramad, was so viel wie "Hitze" und "Trockenheit" des Bodens bedeutet. Neben der Erklärung, der Ramadan verbrenne die Sünden wie die Hitze den Boden, verweist das Wort auch auf das Gefühl von Durst während des Fastens. Zwischen dem Beginn der Morgendämmerung und dem Sonnenuntergang sollen Muslime nicht essen, trinken, rauchen oder Sex haben. Mit einem Abendessen wird das Fasten täglich im Familien- oder Freundeskreis gebrochen (auf Arabisch: Iftar). In Deutschland ist der Ramadan auch ein Monat der interreligiösen Begegnungen beim Iftar.
2. Warum wird gefastet?
Das Fasten geht auf ein koranisches Gebot zurück und gehört zu den sogenannten fünf Säulen des Islam, also zu den zentralen gottesdienstlichen Handlungen im Leben einer Muslimin oder eines Muslims. Es soll die Menschen gottesfürchtig machen, die Seele des Fastenden erfährt dadurch eine Reinigung und Läuterung.
3. Wer muss fasten?
Alle geistig gesunden Muslime, die die Pubertät erreicht haben und damit als mündig gelten. Es sei denn, sie gehen damit gesundheitliche Risiken ein. Reisende zum Beispiel oder Schwangere können die versäumten Fastentage später nachholen.
4. Können Nichtmuslime ihre fastenden Arbeitskollegen unterstützen?
An erster Stelle sollten Nichtmuslime respektieren, wie wichtig diese Zeit für gläubige Muslime ist. Sie können auch fastende Arbeitskollegen unterstützen, indem sie versuchen, sie körperlich weniger zu fordern oder ihnen beispielweise ermöglichen, ihre Arbeitszeiten während des Fastens flexibel zu gestalten.
5. Wie wird am Ende des Ramadan gefeiert?
Ramadan endet traditionell mit einem dreitägigen Fest. Auf Arabisch heißt es Id al-Fitr (Fest des Fastenbrechens), auf Türkisch Seker Bayrami (Zuckerfest). Muslime beginnen das Fest mit einem besonderen Gebet nach Sonnenaufgang. Danach feiern sie gemeinsam in der Familie und mit Freunden.

Rückblick
Mann vor Moschee mit Mondsichel im Hintergrund. © EPA

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Übersicht
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

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Reportagen aus dem Alltag von Muslimen, Berichte über innermuslimische Debatten und Beiträge von Gastautoren zu aktuellen Themen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 03.06.2016 | 15:20 Uhr

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