Stand: 07.04.2017 09:45 Uhr

"Weibliche Imame haben einen anderen Blick"

von Ita Niehaus

Manche Dinge ändern sich nur langsam. Es wird immer noch viel zu viel über muslimische Frauen gesprochen und viel zu wenig mit ihnen. Über die Erfahrungen etwa, die sie in den Moscheegemeinden machen. Welche Möglichkeiten haben Frauen, das Leben in der muslimischen Gemeinschaft mitzugestalten? Darum ging es in dieser Woche auf einer internationalen Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum.

Rund 25 Musliminnen sitzen zusammen, tauschen sich aus über die Rolle der Frauen in Moscheen. Die Begeisterung ist groß, als sie ein Foto der Moschee im bayrischen Penzberg sehen: Ein modernes, repräsentatives Gebäude, mit einer Empore für die Frauen im Gebetsraum. Eine Moschee, in der Frauen sich willkommen fühlen. Bisher eher die Ausnahme.

Männerdominierte Moscheen

Von einer "männerdominierten Gesellschaft in den Moscheen" spricht Halime Cengiz, die Vorsitzende des DITIB Landesfrauenverbandes Niedersachsen und Bremen: "Die Frauen haben zwar ihre eigenen Räume, aber die Moscheen sind nicht so groß, dass sie alle Gläubigen beim Freitagsgebet aufnehmen können. Frauen können kommen, aber da ist kein Platz für sie", so Cengiz. Zudem gebe es für Frauen keine religiöse Pflicht, in der Moschee zu beten.

Frauen auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum zum Thema "Mehr Raum wagen. Muslimische Frauen in ihren Moscheen". © NDR.de Foto: Ita Neuhaus
Viel Zeit für Erfahrungsaustausch auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum.

In vielen Moscheen gibt es zwar Frauenräume, sie sind jedoch oft kleiner, abgetrennt durch eine Wand oder einen Vorhang. Manchmal sind sie auch lieblos eingerichtet. Musliminnen werden zu Bürgern zweiter Klasse, sobald sie eine Moschee betreten, kritisiert die amerikanische Aktivistin Hind Makki. Das sei ein weltweites Problem. Die Muslimin hat einen Blog in den sozialen Medien gestartet: "Side Entrance", auf Deutsch "Seiteneingang". Sie beklagt: "Du hast das Gefühl, du bist nicht Teil des Glaubens. Denn wir nennen den Gebetsraum ein Haus Gottes. Und wenn dieses Haus Gottes keinen Platz für Frauen hat, dann ist auch im Glauben kein Platz für Frauen."

Bruch mit der Tradition

Vor 20 Jahren betete auch die Islamische Gemeinde Penzberg noch in einer Hinterhof-Moschee. Die Frauen konnten den Imam nur hinter einem Vorhang hören und nicht sehen. Bis zu dem Tag, an dem Imam Benjamin Idriz den entscheidenden ersten Schritt wagte: einen ganz bewussten Bruch mit der patriarchalischen Tradition. Während er zu seiner Gemeinde sprach, bat er seine Ehefrau Nermina, den Vorhang zu öffnen. Es gab auch Widerstände. Als später, nach dem Umzug in den Neubau, auch noch eine Frau zur stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden gewählt werden sollte, kehrte ein Teil der Gemeinde zurück in die alte Hinterhof-Moschee.

Was also tun, damit die Bedürfnisse von Frauen in den Moscheen künftig besser berücksichtigt werden? Nermina Idriz, die heutige Bildungs- und Sozialreferentin in der Gemeinde: "Diese Debatte gibt es sicherlich schon zu Hause an den Küchentischen. Die Frage ist, wann sie in den Moscheegemeinden ankommt."

Denn Veränderungen machten vielen auch erst einmal Angst, weiß Halime Cengiz: "Man möchte auch sagen, ab hier ist meine Grenze. Das ist ein Lern- und Aufbauprozess." Nur wenig dringt von diesen Debatten bisher nach außen. Das Misstrauen gegenüber den Medien ist groß, ebenso die Sorge, missverstanden zu werden. Wichtig sei nun vor allem, noch mehr Gemeindemitglieder dafür zu sensibilisieren.

Durch den Seiteneingang ins Hinterzimmer?

Frauen übernehmen Verantwortung

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AUDIO: Frauen in Moscheegemeinden (4 Min)

Immer mehr Frauen übernehmen Verantwortung in den Gemeinden, neue Moscheen werden gebaut mit mehr Raum für Frauen und Kinder. Doch es ist noch ein langer Weg, bis Musliminnen sich in den Moscheen auch wirklich zuhause fühlen. Halime Cengiz will dabei Mut machen: "Wir versuchen, die Frauen zu stärken und zu sagen, das ist unser Terrain, unser Raum und den verteidigen wir auch. Der ist dann auch mittendrin. Und nicht irgendwo im Keller, auf dem Dachboden oder in einer stillen Ecke." In wenigen Wochen eröffnet die muslimische Frauenrechtlerin Seyran Ates eine liberale Gemeinde in Berlin. Frauen und Männer können dort gleichberechtigt in einem Raum beten, ein Imam und eine Imamin werden gemeinsam am Eröffnungstag durch das Freitagsgebet führen. Ein Modell für die Zukunft?

Die Meinungen gehen da weit auseinander. Halime Cengiz zweifelt nicht an den Fähigkeiten von weiblichen Theologen, spricht sich aber dagegen aus, dass diese die Rolle der männlichen Imame vor der Gemeinde übernehmen. Nermina Idriz ist da offener: "Die Vielfalt ist von Gott gewollt, die Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse. Von daher ist es absolut okay für mich."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 07.04.2017 | 15:20 Uhr

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