Stand: 24.08.2017 15:39 Uhr

"Liebe für alle, Hass für keinen"

Barcelona, Turku, Rotterdam - Europa kommt nicht zur Ruhe. Und manch einer fragt sich: Wann schlagen islamistische Attentäter wieder in Deutschland zu? Auch die muslimische Community macht sich Sorgen. Denn der Terror betrifft Muslime wie Nichtmuslime. Friedliche Muslime müssen sich mehr denn je stark machen für einen gewaltfreien Islam, meint Khola Maryam Hübsch.

Khola Maryam Hübsch © Khola Maryam Hübsch
"Friedliche Muslime müssen sich stark machen für eine innerislamische Aufklärung, d.h. einen Bruch mit einer Theologie der Gewalt und Intoleranz und das Einsetzen für eine andere Islamauslegung, die menschenfreundlich ist."

Ein Kommentar von Khola Maryam Hübsch

Stellen Sie sich vor, 40.000 Muslime kämen in Deutschland zusammen, um sich zum "Kalifen" des sogenannten "Islamischen Staates" zu bekennen. Um Hasspredigern zuzuhören und sich auf den Kampf gegen sogenannte "Ungläubige" einzuschwören. Es wäre ein Skandal, alle wüssten davon. Kommen dagegen 40.000 Muslime zusammen, um für den Frieden zu beten und einem Kalifen zu folgen, der sein theologisches Manifest zusammenfast in den Worten "Liebe für alle, Hass für keinen", dann erfährt das kaum jemand. Oder haben Sie schon einmal von der Jalsa Salana gehört?

Die Jalsa Salana ist die jährlich stattfindende dreitägige Hauptversammlung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland © Jalsa Salana Deutschland
Die Jalsa Salana ist die jährlich stattfindende dreitägige Hauptversammlung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland.

Seit 42 Jahren findet diese größte muslimische Versammlung in Deutschland statt. Am Freitag eröffnet der Kalif der muslimischen Strömung "Ahmadiyya Muslim Jamaat" die diesjährige Jalsa in Karlsruhe feierlich mit dem Hissen der deutschen Flagge. Statt Hass zu predigen, lauten die Themen der Reden dieses Jahr etwa: "Liebe und Loyalität zum Land sind Teil des Glaubens" oder "Freiheit und Selbstverwirklichung im Islam".

Der Terror hat diverse Ursachen

Die Botschaft ist unmissverständlich: Der Terror im Namen Allahs ist barbarisch und widerspricht den Grundprinzipien der islamischen Religion, die auf Barmherzigkeit fußt. Die Ahmadiyya fordert einen Bruch mit einer Theologie der Gewalt und Intoleranz, die es nicht zuletzt dank des Exports der wahabitischen Ideologie der Saudis in den Mainstream geschafft hat. Auf der Jalsa heißt es: Die Trennung von Staat und Religion sowie die Glaubens- und Gewissensfreiheit sind aus dem Koran abzuleiten.

Die Ahmadiyya

Die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ, Jamaat = Gemeinschaft) ist als Reformbewegung aus dem Islam hervorgegangen. Sie entstand Ende des 19. Jahrhunderts in Nordindien. Gegründet wurde sie von Mirza Ghulam Ahmad, der sich selbst als Prophet verstand. In vielen islamischen Ländern werden seine Anhänger bis heute von Sunniten und Schiiten als Ungläubige betrachtet und ausgegrenzt, teilweise sogar verfolgt. Die AMJ ist international tätig, betreibt Mission und unterhält eigene Moscheen. Geleitet wird sie von einem Kalifen, der in London lebt und auf Lebenszeit gewählt ist. In Deutschland gibt es derzeit etwa 35.000 Ahmadis. Seit 2013 ist die AMJ in Hessen als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt, seit 2014 auch in Hamburg.

Doch der Terror hat nicht nur theologische Ursachen. Warum werden weiterhin gigantische Waffengeschäfte mit den Saudis abgeschlossen, obwohl bekannt ist, dass sie hauptverantwortlich sind für die Verbreitung einer radikalen Islamauslegung? Politische Entscheidungen werden sowohl im Westen als auch in der sogenannten islamischen Welt anhand eigennütziger, wirtschaftlicher Interessen gefällt und nicht anhand ethisch-moralischer Prinzipien. Folge dieser Raffgier ist eine krasse Verteilungsungerechtigkeit weltweit, die den sozialen Frieden gefährdet und sowohl islamistischem als auch rechtspopulistischem Extremismus den Nährboden bereitet.

Offen für Menschen aller Nationen und Religionen

Dass der Dschihad des Einzelnen darin besteht, den eigenen Egoismus zu überwinden und seinen Mitmenschen zu dienen - auch daran möchte die Jalsa erinnern. Die Ahmadiyya-Versammlung in Karlsruhe ist auch in diesem Jahr wieder offen für Menschen aller Nationen und Religionen. "Muslime raus!", skandierten dagegen rechtsgerichtete Identitäre in Barcelona nach dem Terroranschlag. Doch durchgesetzt hat sich dort ein anderer Slogan, der zunächst von Muslimen initiiert wurde: "Liebe für alle, Hass für keinen".

Über die Autorin

Die Journalistin und Autorin Khola Maryam Hübsch wurde 1980 in Frankfurt am Main geboren und hat in Mainz Publizistik, Psychologie und Germanistik studiert. Als Journalistin schreibt sie unter anderem für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Die Welt" und "Die Zeit". Ihre Themenschwerpunkte sind Toleranz im Islam, Islam und Menschenrechte oder das Geschlechterverhältnis im Islam. Hübsch ist Mitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat, Deutschland.
Aktuelles Buch: "Rebellion der Sehnsucht: Warum ich mir den Glauben nicht nehmen lasse", Herder 2018.

Das Freitagsforum zum Nachhören
Khola Maryam Hübsch © Daliah Immel Foto: Daliah Immel
3 Min

"Liebe für alle, Hass für keinen"

Friedliche Muslime müssen sich mehr denn je stark machen für einen gewaltfreien Islam, meint Khola Maryam Hübsch in ihrem Kommentar. 3 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 25.08.2017 | 15:20 Uhr

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