Stand: 30.09.2015 17:20 Uhr

Islam in Deutschland: Zweifel und Optimismus

von Ita Niehaus

Am 3. Oktober 2010 hat der frühere Bundespräsident Christian Wulff in Bremen zum 20. Tag der Deutschen Einheit eine Rede gehalten. Die viel beachtet wurde, vor allem wegen eines Satzes: "Der Islam gehört inzwischen zu Deutschland." Denn dieser eine Satz löste nicht nur Zustimmung aus, sondern auch heftige Kontroversen. Beim "Zukunftsforum Islam" in Brühl haben wir uns unter muslimischen Deutschen umgehört, wie viel Islam inzwischen zu Deutschland gehört und welche Bedeutung der Tag der Deutschen Einheit für sie hat.

Samy Charchira © Samy Charchira
Samy Charchira ist unter anderem Experte für Islamische Wohlfahrtspflege in der Deutschen Islamkonferenz.

Die Deutsche Einheit ist auch ein Teil unserer Geschichte, meiner Geschichte als deutscher Muslim", sagt Samy Charchira. "Ich habe genauso aktiv daran gearbeitet, wie alle anderen Bundesbürger. Deshalb ist es auch mein Feiertag. Und dass es zusammenfällt mit dem Tag der offenen Moschee, dann freut man sich quasi doppelt." Der 42 Jahre alte Diplom-Sozialpädagoge mit marokkanischen Wurzeln engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich, u.a. als Experte für Islamische Wohlfahrtspflege in der Deutschen Islamkonferenz. Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist für ihn ganz selbstverständlich. Und dennoch, so Charchira, Wulffs Botschaft habe damals ein wichtiges Zeichen gesetzt: "Da ist eine Barriere aufgebrochen in Richtung Normalisierung des Islam, von muslimischem Leben in Deutschland."

"An mir ist so viel Deutsches"

"Ich sehe mich als Deutsche und als Muslimin und sehe das auch viel in meinem Umfeld", erzählt die 19 Jahre alte Sarrah Ben Fradj. "Meine Sprache, meine Freunde, meine Sozialisation - an mir ist so viel Deutsches. Und mein Vater kommt aus Tunesien." Sie studiert Islamische Theologie in Osnabrück und sie ist überzeugt von westlichen Werten wie Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit. Vor allem Religionsfreiheit ist der Muslimin wichtig. Im Alltag jedoch wird sie oft mit der Angst vieler Deutscher vor dem Islam konfrontiert: "Wenn ihnen ihre Kultur und deren religiöser Hintergrund so wichtig ist, was ja angeblich gefährdet ist durch den Islam, dann sollten sie sich vielleicht mal wieder intensiver damit beschäftigen, die Bibel aufschlagen. So Begriffe wie Nächstenliebe, Dienst an dem Menschen sprechen für sich."

Gehört der Islam wirklich dazu?

Teilnehmer des Zukunftsforum Islam 2015 © Samy Charchira
Teilnehmer des Zukunftsforum Islam 2015

Eine ganz besondere Bedeutung hat der Tag der Deutschen Einheit für Runak Sabbar-Letaief aus Hannover. Sie flüchtete mit ihren Eltern aus dem Iran und war gerade erst ein paar Tage in Berlin, als die Mauer fiel: "Das war eine große emotionale Geschichte für mich und meine Familie. Nachvollziehen, emotional, was vorgeht in Menschen, die getrennt werden und wieder zusammengeführt werden. Wir waren ja getrennt von der Familie. Und diese Art der Zusammenführung war für uns auch sehr emotional."

Angekommen ist Runak Sabbar-Letaief schon lange. Die Journalistin schreibt für die Zeitung "Basar", die sie mitgegründet hat. Ein Projekt, das vor allem Menschen mit Migrationshintergrund beruflich unterstützt und fördert: "Vielfalt, davon wird überall gesprochen, der Islam gehört dazu. Aber in der Praxis, im Berufsleben, die Chancengleichheiten sind immer noch nicht da. Sicherlich gibt es Entwicklungen, aber es ist noch ganz viel zu tun."

Zweifel und Optimismus

Der Islam gehört zu Deutschland? Die Mehrheit der Nicht-Muslime verneint das. Andererseits werden die Flüchtlinge, unter ihnen auch zahlreiche Muslime, oft herzlich aufgenommen. Sarrah Ben Fradj ist skeptisch, ob diese Welle der Hilfsbereitschaft anhält: "Ich glaube, dass es mit der Akzeptanz des Islams in Deutschland eher einen Schritt zurück gehen wird, weil es sehr schwierig ist, in so kurzer Zeit so viele Leute zu integrieren."

Samy Charchira dagegen ist optimistisch. Der Experte für Islamische Wohlfahrtspflege sieht, wie sich die muslimischen Gemeinden um die Flüchtlinge kümmern. Er sieht aber auch, dass sie mit ihrem Engagement bald an ihre Grenzen stoßen. Hier muss der Staat mit der freien Wohlfahrtspflege, den islamischen Verbänden, vielen anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren schauen: Wie kann man Kooperationsmodelle entwickeln, Synergien nutzen, um diese gesellschaftliche Herausforderung erfolgreich und gemeinsam zu meistern?

Die Sendung zum Nachhören
Mikrofon im NDR Kultur Sendestudio © NDR Online Foto: Mathias Heller
4 Min

Der Islam gehört zu Deutschland?!

Wie viel Islam gehört inzwischen zu Deutschland und welche Bedeutung hat der Tag der Deutschen Einheit für die in Deutschland lebenden Muslime? 4 Min

Übersicht
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

Freitagsforum

Reportagen aus dem Alltag von Muslimen, Berichte über innermuslimische Debatten und Beiträge von Gastautoren zu aktuellen Themen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 02.10.2015 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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