Stand: 27.09.2018 16:10 Uhr

"DITIB nicht pauschal verurteilen!"

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist auf Staatsbesuch in Deutschland. Morgen wird er offiziell die neue Zentralmoschee des Islamverbandes DITIB in Köln eröffnet. Vertreter der Stadt werden nicht daran teilnehmen, aus Protest. Auch die DITIB gerät immer stärker unter Druck, sie soll sich von der Türkei lösen, so die Forderungen. Bereits vergangene Woche wurde zudem bekannt: Das Bundesamt für Verfassungsschutz prüft, ob die Zentrale des umstrittenen Islamverbandes beobachtet werden soll. Das wirft Fragen auf, meint unsere Gastautorin. 

Ein Kommentar von Canan Topçu

Canan Topcu © Canan Topçu Foto: Christoph Boeckheler
Die Autorin Canan Topçu zur Frage eines europäischen Islams

Warum ließ der Verfassungsschutz ausgerechnet kurz vor dem Deutschlandbesuch des türkischen Staatspräsidenten diese Information zur DITIB durchsickern? Auch wenn das Beobachtungsobjekt die Kölner Zentrale sein soll: So differenziert nimmt das die Öffentlichkeit nicht wahr, der Makel wird auf allen Gemeinden haften. In Sozialen Netzwerken kursiert denn auch schon eine Online-Petition, die das Verbot der DITIB insgesamt fordert.

Trotz aller berechtigten Kritik wegen nationalistischer und kriegsverherrlichender  Aktivitäten in einzelnen DITIB -Gemeinden - ein Fehler sollte nicht gemacht werden: alle Vereinsakteure und alle Moscheegänger als integrationsunwillig abzustempeln.

DITIB war viel zu lange ein bevorzugter Dialogpartner

Wer nach Verantwortlichen sucht, sollte den Blick auf die DITIB -Zentrale richten, dahin also, wo die Funktionäre mit Beamtengehältern aus der Türkei und Karriereambitionen in Ankara sitzen. Diese Funktionäre dürfte die Nachricht, dass sie ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind, nicht in allzu große Unruhe versetzt haben. Denn sie leben in einer völlig anderen "Blase" - ihnen geht es gar nicht um all die Menschen, deren spirituelle Heimat die DITIB -Moscheen sind. Ihr Handeln ist zu sehr an Ansagen orientiert, die aus Ankara kommen.

Über die Autorin

Die Journalistin und Autorin Canan Topçu, 1965 in der Türkei geboren, lebt seit ihrem achten Lebensjahr in Deutschland. Nach ihrem Studium absolvierte sie ein Volontariat bei der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Danach war sie Redakteurin bei der "Frankfurter Rundschau". Sie arbeitet nun freiberuflich für Hörfunk, Print- und Online-Medien. Spezialisiert hat sie sich auf die Themen Integration, Migration, Islam und muslimisches Leben in Deutschland. Außerdem ist sie Dozentin - u.a. an der Hochschule Darmstadt.

Diese Funktionäre verlassen sich zu sehr darauf, dass die deutsche Politik keine Konsequenzen ziehen wird aus all den bisher bekannt gewordenen Missständen. Und das nicht ohne Grund: Obwohl die Strukturen des Verbandes und die finanziellen wie auch ideologischen Abhängigkeiten von der Türkei bekannt sind - etwa, dass im DITIB -Bundesvorstand türkische Diplomaten das Sagen haben - blieb die DITIB viel zu lange bevorzugter Dialog- und Verhandlungspartner der deutschen Politik.

Politiker-Absagen zur Moschee-Eröffnung - ein wichtiges Signal

Dass Politiker auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene ihre Teilnahme an der offiziellen Eröffnung der Kölner DITIB -Moschee durch Präsident Recep Tayyip Erdoğan abgesagt haben, ist daher ein wichtiges Signal.

DITIB-Zentralmoschee in Köln Ehrenfeld © imago
Die neue Zentralmoschee des Islamverbandes DITIB in Köln gilt als eines der größten muslimischen Gotteshäuser in Europa.

Die DITIB -Funktionäre denken nämlich, dass die DITIB mächtig ist und als größter Verband von Muslimen in Deutschland viel zu wichtig,  als dass die Politik ihr den Rücken kehren könnte. Gerade auf politischer Ebene ist es aber dringend erforderlich, einen Schlussstrich zu ziehen. Das heißt, den Abzug von türkischen Staatsbediensteten aus dem Verband zu fordern und der Einmischung aus Ankara ein Ende zu setzen.

Von all dem Hickhack bekommen übrigens nicht viele von denen etwas mit, die in DITIB -Moscheen ein- und ausgehen. Das wiederum hängt unter anderem damit zusammen, dass diese Menschen sich mit "denen da oben" nicht befassen und mit ihren eigenen Nöten und Sorgen beschäftigt sind.

Eine andere Gruppe hingegen - auf der Ebene der Moscheegemeinden und auch der Länder - ist sehr bekümmert. Viele dieser Muslime sind  seit Jahren im interreligiösen Dialog aktiv und müssen nun mit ansehen, wie ihr Engagement für die Integration der Vereinsmitglieder in die hiesige Gesellschaft und der mühsam aufgebaute Dialog in der Stadtgesellschaft zunichte gemacht wird.

Das Freitagsforum zum Nachhören
Canan Topcu © Canan Topçu Foto: Christoph Boeckheler
4 Min

"DITIB nicht pauschal verurteilen!"

Der Staatsbesuch von Präsident Erdogan ist umstritten. Auch die DITIB gerät immer stärker unter Druck. Doch wie am besten umgehen mit dem Islamverband? Das fragt sich auch Canan Topcu.  4 Min

Interreligiöser und interkultureller Dialog wichtiger denn je

Die Rufschädigung ist weit vorangeschritten, so weit, dass in vielen Kommunen die Dialogpartner einen großen Bogen um DITIB -Gemeinden machen. Diese Ausgrenzung sollte aber auf keinen Fall passieren. Das hätte nämlich genau die Auswirkung, die wir nicht wollen: die Hinwendung der türkeistämmigen Muslime zu ihrem Herkunftsland und die Verherrlichung von Erdoğan als den Staatspräsidenten, der sich um sie kümmert. 

Allen im interreligiösen und interkulturellen Dialog engagierten Akteuren ist daher zu empfehlen, gerade jetzt nicht den Draht zu den DITIB -Moscheen zu kappen. Um eben die zu stärken, die ein von der Zentrale unabhängiges Gemeindeleben anstreben.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 28.09.2018 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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