Stand: 05.09.2018 13:41 Uhr

Philipp Schmids Pilgerblog 2018

Erster Tag - Ordnung und Gefühl

"Folgt das irgendeiner Ordnung, oder machst Du das nach Gefühl?" Warum genau sollten sich Ordnung und Gefühl widersprechen?

Heike Götz und Philipp Schmid in Lübeck © NDR Foto: Philipp Schmid
Mit Heike Götz ist Philipp Schmid in diesem Jahr schon auf der vierten gemeinsamen Pilgerreise.

Pilgern, zum vierten Mal. Regelmäßig und einer bestimmten Ordnung folgend. Entlang der Via Baltica, auf dem Jakobsweg, von der polnischen Grenze durch vier Bundesländer mittlerweile bis ins Alte Land. Wenn wir dem Weg weiter folgen, und alles seine Ordnung hat, erreichen wir nach 3000 km Santiago de Compostela. Oft haben Menschen das Gefühl, los zu müssen. Sie folgen keiner Ordnung, keinen regelmäßigen Abständen, sie teilen sich ihren Weg nicht in ordentliche Etappen zu sechs Tagen, zu 150 Kilometern ein. Sie vergeben keine Drehpläne oder schreiben ordentliche Produktionsaufträge. "Pilgern im Norden" folgt einer Ordnung. Kann man deshalb nicht doch das Gefühl haben, es ist in Ordnung, sich aufzumachen?

Johann Sebastian Bachs Musik, "Schafe können sicher weiden", ist für mich Ordnung und Gefühl. Wiegende Begleitfiguren, der ruhig liegende und sanft fortschreitende Bass, die Choralmelodie - alles das tröstet uns sofort. Versichert uns. Gibt uns Geborgenheit durch eine klar erkennbare Ordnung. Große Architektur auf mehreren Ebenen, ein majestätischer Eingangsbereich, ein Treppenhaus, Türen, Wände, Fenster. Wir fühlen uns wohl in diesem Gebäude, wir kennen uns aus, wir werden uns nicht verlaufen. Wir folgen den Tönen, wie selbstverständlich schiebt sich unsere Hand in die Bachs, wir lassen uns führen. Das ist kein durchschaubares Rezept, es fühlt sich einfach gut und richtig an. Sicher.

Kristina Lohe und Klaas Grensemann in Lübeck © NDR Foto: Philipp Schmid
Während des stundenlangen Gehens ordnen sich die Gedanken.

Jeder von uns vieren hat sich ordentlich vorbereitet. Jeder macht sich mit einem bestimmten Gefühl auf den Weg. Ich kann nur über mich schreiben und will in diesem Jahr versuchen, jeweils ein Musikstück pro Tag mit auf den Weg zu nehmen. Was gibt meinem Leben Ordnung; welche Rolle spielt Gefühl. Was ist mein Rezept, an welchen Punkten kann ich mich auf mein Gefühl verlassen - wo verlasse ich geordnete Bahnen? Klarheit, Struktur, Sicherheit - Intuition, Zuversicht, Gottvertrauen. Während des stundenlangen Gehens ordnen sich Gedanken - oder sie purzeln wild durcheinander. Der tägliche Weg des Pilgerns folgt der Ordnung, anzukommen. Abends in der Unterkunft zu sein, das ist die einzige Struktur, die einzige Ordnung des Tages. Der Rest der Zeit bleibt offen für Gefühl, für Intuition, Sich-treiben-lassen, Gedanken zulassen. Und natürlich ist eine Pilgergruppe eine gewisse Ordnung; was fühle ich gegenüber den anderen in der Gruppe, gibt es vielleicht eine Rangordnung,  kann ich den anderen ein gutes Gefühl geben?

Vom ersten Schritt, vom ersten Ton an spüren wir die Klarheit und Reinheit in Bachs Musik. Unmöglich, das aufs eigene Leben zu übertragen. Aber man kann sich dorthin auf den Weg machen.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 05.09.2018 | 17:40 Uhr

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