Stand: 25.09.2017 12:18 Uhr

Philipp Schmids Pilgerblog 2017

1. Etappe: Von Bad Doberan nach Neubukow

Energie und Ruhe. Der Weg wartet. Der Weg ist vor uns, auch ohne uns. Wenn wir jetzt nicht losgehen – wenn wir uns fünf einzelne, andere Wege suchen, wer ist dann auf dem gemeinsamen Weg?

Neubuko © NDR.de Foto: Philipp Schmid
Unerwarteter Besuch für die Pilger: Ein Wanderer taucht plötzlich im Wald auf.

Etwas ist anders bei unserer Pilgertour: Wir haben für jeden Tag ein Ziel. Heute Neubukow, 28,5 Kilometer entfernt. Nach dem Frühstück brechen wir auf, setzen die Rucksäcke auf und versammeln uns kurz für eine gemeinsame Andacht. Ein kurzes Innehalten, bevor der Weg beginnt. Arnhild hat uns einen Text von Bernhard von Clairvaux mit auf den Weg gegeben: "Er ist schon dort! Geh mit ihm. Erfahr' ihn, wie Du es nie geglaubt". Wir sind noch hier. Wir müssen los.

Hindernisse aber keine Hürden

Und zu Beginn kommen wir nur langsam voran. Durch einen Wald, über unwegsames Gelände, über Baumstämme und Bachläufe. So viele Hindernisse, gleich zu Beginn auf unserem Weg? Umso müheloser unterhalten wir uns, über Zufall, Schicksal oder Fügung zum Beispiel. Was ist vorbestimmt, welche Freiheit zu gestalten hat der Mensch, welchen Einfluss hat Gott? Im Gespräch gibt es keine Hürden, ganz leicht wechseln wir von Tiefsinn zu Quatsch, von persönlichen Erfahrungen zum Staunen über Neues, gemeinsam Erlebtes.

Überhaupt kann jeder, wenn er es will, auf dem Weg jede Menge Fügungen erleben. Als wir einmal nicht recht weiterwissen, taucht mitten im Wald urplötzlich ein Mann aus dem Dickicht auf, der uns den Weg erklärt. Kein Regisseur hätte das ulkiger erfinden können. Wie nennt man das im Theater? Deus ex machina… Würde Gott einfach so an der L13 Höhe Schwaaner Chausse aus dem Gebüsch steigen, um fünf Pilgern den Weg zu weisen? Bestimmt nicht. Aber nur einer der vielen Zufälle, die auf so einem Weg verblüffen, amüsieren oder berühren.

Bestes Pilgerwetter in traumhafte Landschaft

Neubuko © NDR.de Foto: Philipp Schmid
Südsee-Treibholz mitten in Mecklenburg

Kein leichter Weg an diesem ersten Tag. Es sind 28,5 Kilometer (auf den halben legen wir besonders viel Wert), und als wir nach gut zwei Stunden die erste Pause machen, bin ich überzeugt, wir haben schon zehn. Es sind nur vier. Dafür rasten wir auf besonderen Bänken, ein Künstler gestaltet sie aus Treibholz, das er in der Südsee findet, und nach Mecklenburg verschifft. Kann man nicht erfinden, sowas.

Er füllt unsere Wasserflaschen und erklärt uns kurz, wo es weitergeht. Von da an ist der richtige Weg nicht mehr schwer, die Beine dafür umso mehr. Es zieht sich. Aber was für eine traumhafte Landschaft! Sanfte Hügel, weiter Blick. Bestes Pilgerwetter. Als wir Alt Karin erreichen, eine weitere, schöne Fügung. Die wunderschöne, frühgotische Dorfkirche wird uns vom Küsterehepaar erklärt, die bei NDR Kultur von unserer Reise gehört und uns schon erwartet haben. Auch hier gibt es Pilgerunterkünfte, und wir wären gerne bei diesen freundlichen, aufgeschlossenen Menschen geblieben. Müssen aber noch weiter. Unterwegs (Fügung? Zufall?) kaufen wir am Wegesrand zwei Kürbisse und Eier. Abendessen und Frühstück, zu Fuß von unterwegs mitgebracht.

Zufall oder eine Fügung

Müdigkeit lässt die Gespräche stocken. Konzentration auf den nächsten Schritt (wie viele noch?), auf die Mitpilger (sind die auch so müde wie ich?), auf den Weg. Gerade diese Einfachheit fasziniert am Pilgern. Weiter, vorwärts, den Weg gehen. Mit dem Weg leben, mit dem Weg zu recht kommen. "Geh - und geh lange" sagen viele Pilger, nur so wirst Du Antworten auf verdrängte Fragen bekommen, Klarheit der Gedanken erreichen und Dich auf das Wesentliche reduzieren. Abenteuer. Veränderter Blick.

Neubuko © NDR.de Foto: Philipp Schmid
Das Ziel der 1. Etappe ist erreicht: die Pilger-Herberge in Neubukow.

Direkt neben der Kirche in Neubukow ist die Pilgerherberge im Gemeindehaus. Mädchenzimmer, Jungszimmer. Als die Kürbisse endlich im Ofen verschwinden, nach neun Stunden zu Fuß, auf dem Weg, werden die Muskeln langsam entspannter und die Gesichter gelöst. Nebenan probt der Kirchenchor. "Wachet auf, ruft uns die Stimme" - wir schlafen fast ein, genießen aber glücklich. Zusammen kochen, essen, lachen. Auch das gehört zum Pilgern. Und Erlebnisse auf dem Weg austauschen. Zufälle, Fügungen, Schicksale.

Und noch ein Zufall - oder eine Fügung: das erste Auto, das mir am Morgen begegnet war, hatte das Kennzeichen GÜ – TE.

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 25.09.2017 | 16:20 Uhr

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