Lernsommer in SH: Realitätscheck in Bad Oldesloe
von Judith Pape
Eigentlich könnten Sofya und Alexandra jetzt im Freibad liegen: Pommes essen, den Wolken zusehen, Sommerferien genießen. Stattdessen sitzen die Schwestern im Klassenzimmer der Ida-Ehre-Schule (IES) in Bad Oldesloe (Kreis Stormarn). Vor ihnen liegt ein Arbeitszettel zu Passivkonstruktionen - noch sind alle Auslassungen ungefüllt. Der Stoff ist schwierig. Um Wissenslücken zu füllen, kommen die beiden 13-Jährigen in den Sommerferien in ihre Schule. Gemeinsam mit knapp 50 weiteren Schulkameraden nehmen sie am sogenannten Lernsommer teil.
Eine Schülerin hatte kein W-Lan zu Hause
Das Programm richtet sich an Schüler, die beim Homeschooling in der Corona-Zeit Probleme hatten. Sie sollen so die Chance bekommen, Stoff aufzuholen. Die Schüler kommen freiwillig - oder zumindest halbwegs: "Meine Mutter fand die Idee gut, deshalb sitzen wir hier. Vielleicht kann ich mich ein bisschen verbessern", sagt Sofya. Ihre Sitznachbarin hatte kein W-Lan zu Hause: "Da habe ich neue Themen und Hausaufgaben nicht mitbekommen - das versuche ich jetzt hier nachzuholen."
"Alles mit der heißen Nadel gestrickt"
Angelehnt ans Lehrerpult steht Görge Schüchler. Er ist der pädagogische Leiter der Ida-Ehre-Schule, hat heute Aufsicht und das Konzept für den Lernsommer an der Gemeinschaftsschule ausgearbeitet. "Die Idee ist wirklich super. Aber vier Wochen Vorlaufzeit wären eigentlich nötig gewesen. So ist das alles mit der heißen Nadel gestrickt", sagt Schüchler. Insbesondere dem Engagement zweier junger Kolleginnen sei es zu verdanken, dass der Lernsommer an der IES überhaupt stattfinden könne.
145 von knapp 800 Schulen nehmen teil
"Zu wenig Vorlauf", "zu viel Aufwand für die ohnehin überlasteten Schulen" - diese Kritik am Lernsommer war aus vielen Schulen zu hören, als Bildungsministerin Karin Prien (CDU) die Idee aufwarf. 145 der knapp 800 Schulen im Land machen mit. An der IES hat Schüchler das Programm innerhalb von zwei Wochen mit seinen Kolleginnen aus dem Boden gestampft.
Jeweils eine Woche kommen die Lerngruppen in die Schule. In dieser Woche sind es die Schüler der siebten und achten Klassen - in den nächsten beiden Wochen kommen die Fünft- und Sechstklässler. "In den kleinen Lerngruppen mit knapp zwölf Kindern können die Schüler den Stoff intensiv bearbeiten", sagt Schüchler.
Feilen an der Marimba statt Mathe
Die Pädagogen wiederholen mit ihrem Konzept aber nicht nur den Stoff der sogenannten Kernfächer: Während Sofya und Alexandra in Raum 167 deutsche Grammatik pauken, feilt eine andere Schülergruppe im Werkraum an Holzstäben. Mit ihnen bauen sie eine Marimba - ein Holzschlaginstrument.
Am Ende der Woche nimmt jeder Schüler seine eigene Marimba mit nach Hause. "Das ist einfach eine Riesenchance, mit seinen eigenen Händen etwas kreativ auf den Weg zu bringen. Wir sind überzeugt, dass sich dadurch auch das kognitive Lernen in den Kernfächern verändert", sagt Schüchler. Zudem würden beim Bauen der Marimba entscheidende Fähigkeiten gefördert: Präzision, Handwerk und ein feines Gehör.
Professioneller Musiker für Lernsommer
Holzspäne fliegen auf die Werkbänke, konzentriert stimmen die Schüler jeden einzelnen Stab ihres Instruments. Hier und da ist die C-Dur-Tonleiter noch etwas schief. "Da musst du noch was abschleifen - dann stimmt es", sagt Thomas Himmel, professioneller Musiker und eigens für den Lernsommer bezahlter Dozent. Finanziert wird seine Stelle über ein Programm des Bundesbildungsministeriums.
Pädagogischer Leiter: Neues Schuljahr wird unruhig
Die Schüler haben sichtlich Spaß an der Arbeit - Abwechslung zu den Arbeitsblättern und auch Abwechslung zum Ferienalltag. "Ein Instrument habe ich noch nie gebaut", sagt Ezra und bearbeitet das Gummi ihres Schlägels. Am Ende der Woche spielen die Schüler gemeinsam eine kleine Session auf ihren Selfmade-Marimbas.
"Wir wollen ein Programm machen, wo die Schüler hinterher sagen: 'Ich hätte zwar lieber Ruhe in den Sommerferien, aber davon habe ich was gehabt'", sagt Schüchler. Und ihm sei wichtig, dass die Schüler wieder unter Gleichaltrigen sind. Das neue Schuljahr unter Corona-Bedingungen werde noch unruhig genug.
