Schärfere Maßnahmen? Infektiologe setzt auf "letzten Appell"
Die Diskussion über zeitnahe Verschärfungen des Corona-Lockdowns hat gewaltig an Fahrt aufgenommen. Der Lübecker Infektiologe Jan Rupp hat Zweifel, ob das etwas bringen würde.
Vor allem die neuen, mutmaßlich hoch ansteckenden Mutationen des Corona-Erregers und viele Kontakte im Öffentlichen Nahverkehr säen Zweifel, ob die bisherigen Einschränkungen ausreichen. Das Bundeskanzleramt will keine Zeit verlieren. Die nächste Beratung mit den Länderchefs wurde auf kommenden Dienstag (19.1.) vorgezogen. Der Lübecker Infektiologe Jan Rupp, der auch die Landesregierung berät, mahnt im Interview vor allem eine konsequente Umsetzung der bereits geltenden Maßnahmen an - und macht auch Hoffnung.
Es gelten strenge Maßnahmen - unter anderem scharfe Kontaktbeschränkungen. Dennoch tut sich kaum etwas bei den Zahlen. Woran liegt das?
Jan Rupp: Ja. In der Tat ist momentan so ein Plateau erreicht. Ich glaube, wir sehen jetzt gerade erst diese Woche eigentlich wieder die realistischen Zahlen (in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr wurde weniger getestet, Anm. d. Red.). Und in der Tat sehen wir momentan nicht, dass der Lockdown den gewünschten Erfolg gebracht hätte.
Gesamtentwicklung für SH, MV, Hamburg, Niedersachsen, Bremen
Das heißt, wir müssten den Lockdown eigentlich noch verschärfen, um etwas zu erreichen?
Rupp: Ich weiß gar nicht, ob diese Verschärfung momentan das ist, was tatsächlich den Erfolg bringen würde, weil ich glaube, dass die Maßnahmen eigentlich adäquat sind. Ich glaube nach wie vor, dass sie nicht richtig umgesetzt werden.
In welchen Bereichen, meinen Sie, ist das? Die Schüler sind ja, zum großen Teil, nicht in der Schule, wir gehen nicht shoppen, nicht ins Restaurant. Wo sind denn überhaupt noch Möglichkeiten, sich zu infizieren?
Rupp: Meine Beobachtung ist - und da nehme ich die Krankenhäuser nicht aus, da nehme ich auch die Betriebe nicht aus - , dass sicherlich in 70, 80 Prozent die Maske getragen wird. Dass es aber trotzdem Pausen gibt, dass es Zusammenkünfte gibt beim Rauchen. Das klingt alles ein bisschen Überwachungsstaat-mäßig. Aber in der Tat reicht halt eben dieser Kontakt, der immer 10, 15 Minuten ohne Maske da ist.
Das ist dieses diffuse Geschehen, was wir weiterhin im Privaten, im Beruflichen haben, was es so schwer macht. Und dann immer noch auch dieses Übertreten in Altenpflegeheime. Dann haben wir auch immer gleich diese hohen Fallzahlen und leider auch die hohe Sterblichkeit.
Wir haben jetzt noch ungefähr zwei Wochen. So lange gelten die Regeln noch. Wie ist denn Ihre Einschätzung? Wird der Lockdown weitergehen oder wird gelockert werden können?
Rupp: Meine Hoffnung ist tatsächlich, dass jetzt mit diesem letzten Appell jeder merkt, dass diese zwei Wochen super entscheidend sind, um nicht noch weiter verschärfen zu müssen. Dass sich jeder noch mehr daran hält, um auch zum Erfolg zu kommen. Ich denke, gerade für Schleswig-Holstein und die Bundesländer im Norden gibt es durchaus eine Möglichkeit - und diese Perspektive muss auch aufgezeigt werden die nächsten 14 Tage. Wie könnten erste Lockerungen aussehen? Das verschärft aus meiner Sicht die Notwendigkeit, sich daran zu halten. Es ist auch gleichzeitig ein bisschen ein positives Signal, wo es hingehen könnte. Und das ist ganz wichtig, das jetzt zu entwickeln.
Es ist so schwierig. Einerseits kann es dazu führen, dass sich Menschen besser an die Vorgaben halten. Andererseits können sie auch sagen: "Bringt doch eh nix. Warum soll ich mich überhaupt daran halten?"
Rupp: Ja, Sie haben recht. Die Motivation des Einzelnen schwindet von Woche zu Woche. Aber die Perspektive ist eigentlich so gut wie noch nie. Wir haben die Impfung, die am Start ist. Das Frühjahr kommt irgendwann. Und da muss sich jeder jetzt noch einmal so ein bisschen am Riemen reißen. Ich bin da sehr optimistisch, dass das dann im Februar, März auch gerade hier in Schleswig-Holstein wieder Möglichkeiten eröffnet.
Das Interview führten Mandy Schmidt und Horst Hoof, NDR Schleswig-Holstein.
