Pflege zu Hause in Corona-Zeiten sehr belastend
Langsam führt Edeltraut Göldner ihren Mann den Flur der gemeinsamen Wohnung in Norderstedt entlang. "Dann setz dich mal", sagt sie mit warmer Stimme zu ihm und zeigt auf die graue Couch im Wohnzimmer. Allein hinsetzen kann sich Karl-Heinz Göldner noch, alleine aufstehen geht nicht mehr. Dafür fehlt dem 79-Jährigen mittlerweile die Kraft. Edeltraut Göldner ist ein Jahr jünger als er und muss ihm helfen. Ihr Mann ist dement, hat Pflegestufe drei und wird von seiner Frau seit vier Wochen ausschließlich zu Hause versorgt. Die Tagespflegeeinrichtung, die ihren Mann dreimal in der Woche besuchen sollte, ist coronabedingt im Moment geschlossen. "Es ist schon sehr belastend", berichtet Edeltraut Göldner, während sie die Hand ihres Mannes hält.
Pflegestützpunkt des Kreises hilft

Zum Ehepaar Göldner nach Norderstedt kommt immerhin noch zweimal die Woche der ambulante Pflegedienst zum Duschen. "Öfter würde mein Mann das auch nicht mitmachen. Er ist stur", berichtet Edeltraut Göldner über die Marotten ihres Gatten. Seit 56 Jahren sind die beiden verheiratet, haben drei gemeinsame Kinder. Aber auch die können gerade nicht helfen, zu hoch ist das Risiko der Ansteckung. Umso dankbarer ist Edeltraut Göldner für die Unterstützung des Pflegestützpunktes des Kreises Segeberg mit Sitz in Norderstedt. Es ist einer von insgesamt 15 Pflegestützpunkten im Land. Die können zwar derzeit nur telefonisch beraten, trotzdem: "Die machen Mut, geben unterstützende und tröstende Worte und haben Ideen, was man vielleicht selber noch mal anders machen kann." Die Gespräche mit den Mitarbeitern beim Pflegestützpunkt sind wichtig für die 78-Jährige, die im vergangenen Jahr am Fuß operiert wurde und beim Gehen immer noch Schmerzen hat. Bis Mitte März war ihr Mann deshalb in einer Pflegeeinrichtung in Henstedt-Ulzburg untergebracht. Länger bleiben konnte er nicht, der Vertrag war bereits gekündigt, der Platz im Pflegeheim weg. Der eigentliche Plan - die Entlastung durch die Tagespflege - ging wegen Corona nicht auf. Stattdessen kümmert sich die 78-Jährige nun rund um die Uhr um ihren Mann. Weitestgehend alleine.
Lage in Haushalten spitzt sich zu
Nicht nur für die Eheleute Göldner ist die aktuelle Situation belastend. Dass viele Angehörige, die Eltern, Partner oder auch Kinder zu Hause pflegen, gerade unter einem enormen Druck stehen, stellt auch der Leiter des Pflegestützpunktes in Norderstedt Ulrich Mildenberger fest: "Auch die sozialen Beziehungen leiden. Die Kinder kommen nicht zu Besuch, Freunde kommen nicht zu Besuch. All das sind ja so kleine Inseln der Entlastung und des Austausches." Und auch nach Einschätzung des Forums Pflegegesellschaft e.V. ist die Belastung für Angehörige, die Familienmitglieder zu Hause pflegen, gestiegen, nicht nur weil Tagespflegeeinrichtungen geschlossen haben. Weil Angehörige Angst vor Infektionen hätten, würden auch ambulante Pflegedienste zum Teil nicht mehr in Wohnungen gelassen, berichtet Annette Langner, die Sprecherin des Forums Pflegegesellschaft und warnt: "Damit bricht auch eine wichtige Beratungsmöglichkeit weg und die pflegerische Versorgung wird gefährdet." Zudem fehlten vielen die Haushaltshilfen aus Osteuropa, die aufgrund der Einreisebestimmungen gerade nicht nach Deutschland kämen, so Langner weiter. Sie befürchtet ,"dass es hinter den Wohnungstüren immer wieder zu extrem kritischen, schwer zu bewältigenden Situationen kommt, bis hin zu Gewalt in der Pflege."
Pflegende Angehörige in den Fokus rücken
Laut Langner sei es wichtig, die Arbeit, die pflegende Angehörige leisteten, stärker in den Fokus zu rücken: "Wenn in Corona-Zeiten die Pflege in Familien nicht mehr gut und verlässlich sichergestellt werden kann, stehen wir im gesamten Pflegebereich vor einer riesigen Herausforderung, die schwierig zu bewältigen sein wird. So wie Karl-Heinz Göldner von seiner Frau Edeltraut werden laut aktueller Pflegestatistik etwa 74.000 Schleswig-Holsteiner zu Hause von Angehörigen versorgt, mit knapp zwei Dritteln der größte Teil der pflegebedürftigen Menschen im Land.
Hier finden Sie weitere Informationen
- Die Pflegestützpunkte im Land
- Forum Pflegegesellschaft e.V.
- Das Pflege-Not-Telefon
- Tipps für pflegende Angehörige zum Schutz vor dem Corona-Virus
- Wege zur Pflege (FAQ des BMFSFJ)
