Corona im Heim: Die Angst und Machtlosigkeit der Angehörigen
In immer mehr Alten- und Pflegeheimen gibt es Corona-Infektionen - so auch im Bredstedter Alloheim. Es gilt ein Besuchsverbot. Nicht nur die Heimbewohner leiden, auch für die Angehörigen ist es eine schreckliche Situation.
Die Türen sind zu, die zentrale Nummer des Alloheims in Bredstedt (Kreis Nordfriesland) ist nur schwer zu erreichen. Was mag sich gerade in den Räumen der Seniorenresidenz abspielen? Wie geht es der Ehefrau, der Mutter, dem Vater oder dem Opa? Werden sie gut versorgt? Wie breitet sich das Virus aus? Ist noch genügend Personal da? Die Angehörigen haben tausend Fragen - und tausend Ängste. Die Schwestern Karin Costabel und Friedel Bohnert zum Beispiel. Ihre 98 Jahre alte Mutter wohnt hier im Heim. Sie hat bisher kein Corona, aber dennoch: "Wir haben Angst", sagt Karin Costabel. "Gestern habe ich einen Heulkrampf bekommen. Im Zweifel sehen wir unsere Mutter nicht mehr lebend vor Weihnachten."
Hält die Mutter Ausschau nach dem Auto?
"Das reißt einem den Boden weg unter den Füßen", sagt die Bredstedterin. Sie, ihre Schwester und auch ihr Bruder haben bisher so gut wie jeden Tag die Mutter besucht - die Fürsorge in dieser Familie ist extrem groß. Nun gibt es seit vielen Tagen keine Chance mehr, das Heim zu betreten. Sowohl Bewohner als auch Pflegekräfte haben sich mit dem Coronavirus infiziert - wie in so vielen Heimen deutschlandweit. "Ich denke, meine Mutter wird jetzt am Fenster stehen und nach meinem roten Auto Ausschau halten. Daran hat sie mich immer erkannt", sagt Friedel Bohnert. Beim ersten Lockdown konnten Mutter und Tochter zumindest noch am Fenster stehen und sich - mit Abstand - unterhalten. Das geht jetzt auch nicht mehr.
Angehöriger: "Ich fühle mich so machtlos"
Auch der Angehörige Enno Metzner macht sich riesige Sorgen um seine demenzkranke Frau. Die Krankheit ist so weit fortgeschritten, dass die 71-Jährige nicht einmal in der Lage ist, den Klingelknopf für Hilfe zu drücken. Dennoch müssen ja die Türen zu sein, denn Renate Metzner wurde von einer Pflegekraft betreut, die positiv auf Covid-19 getestet wurde. Nun also aus Sicherheitsgründen Quarantäne. "Ich weiß nicht, ob meine Frau klar kommt. Bekommt sie regelmäßig ihre Medikamente? Gibt es noch genügend Pflegekräfte, die auch auf die Hygiene achten?", fragt sich der Nordfriese. Er wünscht sich, besser informiert zu werden. "Ich stehe völlig neben mir und fühle mich machtlos." Ein Gefühl, das zurzeit Tausende Angehörige mit ihm teilen.
Corona-positiv und allein auf dem Zimmer
Ein weiterer Bewohner des Bredstedter Alloheims, Uwe S., hat sich mit dem Virus angesteckt. Er ist bereits 86 Jahre alt, hockt jetzt in seinem Zimmer. Seine Tochter kann nicht mehr zu Besuch kommen. Sonst saß er gerne im Aufenthaltsraum und genoss die Gesellschaft der anderen Bewohner. Am Telefon sagt er im Interview mit NDR Schleswig-Holstein: "Ja, es kommt ja keiner mehr. Nur noch ab und zu eine Pflegekraft. Sie ist dann total vermummt. Ich sehe nur die Augen." Uwe S. freut sich aber, dass es ihm noch gut geht. Er hat lediglich Kopfschmerzen.
Mindestbesetzung und Bundeswehr-Hilfe
Während Angehörige und Bewohner ihre Sorgen und Ängste haben, wissen die Pflegekräfte nicht mehr, wie sie alles bewältigen sollen. Nur mit viel Mühe habe man die Mindestbesetzung im Bredstedter Heim sicherstellen können, sagt der Regionalgeschäftsführer für die Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, Hans-Markus Johannsen. Mitarbeiter aus Kiel wurden geholt, Kräfte über die Zeitarbeit akquiriert und - ganz aktuell - auch Bundeswehrpersonal eingearbeitet. "Das sind natürlich fremde Menschen für die Bewohner - ein Problem", weiß auch Johannsen. "Vor allem für die Demenzkranken." Im Schnitt habe ein Alten- und Pflegeheim etwa 30 Prozent Demenzkranke, sagt der Regionalgeschäftsführer.
Auch in den Alloheimen in Wedel (Kreis Pinneberg) und Grömitz (Kreis Ostholstein) gibt es Corona-Fälle - in Grömitz sind es laut Johannsen sechs Bewohner und zwei Mitarbeiter, in Wedel sogar 40 Bewohner und 17 Mitarbeiter. Insgesamt ist das Alloheim der größte privatwirtschaftliche Anbieter von Pflegeplätzen in Schleswig-Holstein und führt 26 vollstationäre Einrichtungen. Nicht nur die Alloheime, auch weitere Anbieter haben jetzt in der Corona-Pandemie große Probleme, die Bewohner gut und ausreichend zu versorgen.
Freiwillige für Corona-Schnelltests erwünscht
Für große Diskussionen sorgen zurzeit auch die Schnelltests. Mitarbeiter in Alten-, Pflege- und Behindertenheimen sollen zweimal wöchentlich auf Corona getestet werden. Auch für Reinigungskräfte sind die Tests vorgesehen. In Bredstedt gibt es die Antigen-Schnelltests bereits seit einiger Zeit - auch Angehörige können getestet werden. Allerdings verschlingt ein Test 20 Minuten Zeit. Das Personal, das den Test durchführt und anschließend alles dokumentiert, werde unbedingt anderweitig gebraucht, sagt Johannsen. Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) hatte diesen "Flaschenhals" am Montag öffentlich angesprochen. "Wir wünschen uns deshalb dafür Freiwillige", sagt Johannsen. Auch andere Betreiber wie die Diakonie oder das Deutsche Rote Kreuz bitten um Unterstützung.
Diese ganze Situation macht die Angehörigen wie Karin Costabel, Friedel Bohnert oder Enno Metzner regelrecht fertig. "Eine Betreuerin sagte mir am Wochenende am Telefon, gerade die Demenzkranken würden regelrecht verkümmern. Sie brauchen die Kontakte, die Gemeinsamkeit im Aufenthaltsraum." Die Angehörigen wissen, dass sie dem Heim im Prinzip keinen Vorwurf machen können. Dennoch: Die Lage, so sagen sie, sei schlimmer denn je.
Die Autorin ist selbst Angehörige einer Bewohnerin des Bredstedter Alloheims.
