Ein altes Fass liegt auf einem Platz im Hafen von Flensburg. © NDR

Zeitreise: Reichtum auf Kosten der Sklaven

Stand: 20.05.2022 12:03 Uhr

Flensburg ist bekannt für seine Rum-Regatta. Die Wettfahrt der Museumssegler ist eine Visitenkarte der Stadt und erinnert an die Zeit, als Flensburg den Handel mit Rum in Nordeuropa beherrschte.

von Philip Schroeder

Bis heute gilt Flensburg als Rum-Stadt. Die Führungen im Flensburger Schifffahrtsmusem beginnen traditionell an einem Modell der Stadt, wie sie um das Jahr 1600 aussah, als der Aufstieg begann. "Die günstige Lage mit geschütztem Hafen, nahe zu zentralen Handelswegen - und der Niedergang der Hanse damals - das hat Flensburgs Aufstieg zu einer der wichtigsten Handelsmetropolen in Nordeuropa gefördert", sagt Museumsführer Thomas Frahm. Zucker und Rum aus den dänischen Kolonien in der Karibik haben die Stadt im 18. Jahrhundert reich gemacht, als Flensburg noch zu Dänemark gehörte. Aber die Arbeit auf den Zuckerplantagen der drei Jungfern-Inseln St. Croix, St. Thomas und St. John - das war Sklavenarbeit. Und das gerät erst seit wenigen Jahren in den Blick von Forschern und Öffentlichkeit. "Ich finde, eine Geschichte hat immer verschiedene Seiten. Es gibt nicht gut, und es gibt nicht böse. Und so ist es auch in der Geschichtserzählung. Und ich finde, hier in Flensburg wird bis jetzt die Geschichte für mich persönlich zu eindimensional erzählt", sagt Luzie Metzdorf. Sie ist in Flensburg aufgewachsen, hat als Studentin ein Praktikum im Flensburger Schifffahrtsmuseum gemacht. Nun ist sie Historikerin, schreibt gerade ihre Masterarbeit und gehört zum Team der Museumsführer. Flensburgs koloniales Erbe ist ihr zentrales Forschungsthema.

Ohne Sklaven kein Zuckerrohr, ohne Zuckerrohr kein Rum

Eine historische Aufnahme zeigt ein Gemälde mit vielen Segelschiffen vor einer Küste mit hügeliger Landschaft.
St. Thomas gehört heute zu den Virgin Islands, die von den USA verwaltet werden. Bis 1917 gehörte es zu den dänischen Kolonien in Dänisch-Westindien.

Rund zwölf Millionen Afrikaner wurden im 16., 17. und frühen 18. Jahrhundert versklavt und in die Karibik gebracht, mehr als hunderttausend Sklaven nach Dänisch-Westindien. Die Sklavenschiffe waren überfüllt, die Fahrt dauerte Wochen oder Monate, viele Männer, Frauen und Kinder starben dabei - das war einkalkuliert. "In Flensburg hört man heutzutage oft: Wir waren ja nie aktiv am Sklavenhandel beteiligt, was aus heutiger Sicht dann positiv gedeutet wird. Aus damaliger Sicht hat man sich aber gegenüber Kopenhagen zum Beispiel minderwertig gefühlt, weil man nicht dieselben Rechte hatte wie die Kaufleute dort", erklärt Historikerin Metzdorf.

Nicht am Sklavenhandel beteiligt - aber vom Sklavenhandel profitiert

Ein altes Fass liegt auf einem Platz im Hafen von Flensburg. © NDR
Historiker sagen, dass an jedem Fass Zucker oder Rum Schweiß und Blut der Sklaven klebten.

In Afrika gegen Waffen, Tuch und Schnaps versklavte Menschen einhandeln, die dann in der Karibik an Plantagenbesitzer verkaufen und voll beladen mit Zucker, Rum und anderen Kolonialwaren nach Europa zurücksegeln: Diesen Dreieckshandel erlaubte der dänische König im 17. und 18. Jahrhundert nur seinen Kopenhagener Kaufleuten. Flensburgs Handelsherren mussten sich auf direkte Geschäfte mit Dänisch-Westindien beschränken. Die waren lukrativ genug: Die prächtigen Fassaden der Flensburger Bürgerhäuser erzählen noch heute davon. Die Rum-Händler mischten den Karibik-Rum mit einheimischem Alkohol und Wasser, ihr "Rum-Verschnitt" ließ die Stadt an der Förde den Handel mit Rum in Nordeuropa beherrschen. Aber: Solange Sklavenarbeit in Dänisch-Westindien erlaubt war, klebten an jedem Fass Zucker oder Rum, das in Flensburg ausgeladen wurde, Schweiß und Blut.

Historikerin Luzie Metzdorf geht es nicht nur um Regionalgeschichte. Sie sagt: "Ich glaube, dass mir vorher nicht bewusst war, wie struktureller Rassismus in diesem Kolonialsystem entstanden ist." In der Schule sei das nie Thema gewesen. "Und dann habe ich gemerkt, okay, ich will daran arbeiten." Im Schifffahrtsmuseum und unter Historikern gehört es längst zum Forschungsstand, dass in Flensburgs Geschichte vom Reichtum durch Rum und Zucker der Blick auf das Schicksal der versklavten Menschen nicht fehlen darf. Luzie Metzdorf will das Nachdenken darüber auch außerhalb der Wissenschaft anregen - bei den Touristen, in den Schulen. Sie hat die kostenlose App PoKoFl - "Postkoloniales Flensburg" - herausgebracht, die zu zentralen Punkten in Flensburg die nicht ganz so bekannte Kolonial-Geschichte präsentiert.

Weitere Informationen
Dampflokomotive aus dem 19. Jahrhundert. © dpa - report Foto: Votava

Alle Zeitreise-Beiträge sortiert nach Datum

Hier finden Sie alle Zeitreisen des Schleswig-Holstein Magazins. mehr

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 22.05.2022 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Flensburg und Schleiregion

Neuzeit

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

Eine Drohnenaufnahme eines Offshore-Windpark. © IMAGO / Pond5 Images

Windräder auf See stehen häufiger still - vor allem vor SH

Die Netzbetreiber nutzen Offshore-Anlagen verstärkt dazu, auf Engpässe und Schwankungen im Stromnetz zu reagieren. mehr

Videos