Ein Foto von Pastor Rustmeier um 1950. © Kirchengemeinde Münsterdorf Foto: Kirchengemeinde Münsterdorf

Studie für SH: Die meisten Pastoren im Dritten Reich waren Nazis

Stand: 21.02.2022 16:37 Uhr

Im Rahmen seiner Dissertation hat der Kieler Historiker Dr. Helge-Fabien Hertz 729 schleswig-holsteinische Pastoren auf ihre Haltung zum Nationalsozialismus untersucht. Ein Ergebnis: Die Mehrzahl der Pastoren sympathisierte mit der NS-Ideologie und unterstützte sie.

von Corinna Below

Dass Pastoren zwischen 1933 und 1945 dennoch ganz unterschiedlich agiert haben, zeigen drei Beispiele. "Es gibt viele schockierende Beispiele", sagt Helge-Fabien Hertz von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er berichtet von Pastoren, die schon vor 1933 aktiv an Saalschlachten und blutigen Straßenkämpfen beteiligt waren oder bei NSDAP-Veranstaltungen "Saalschutz" betrieben haben. Solche extremen Fälle von NS-konformem Verhalten hat der Historiker bei immerhin einer Handvoll Pastoren feststellen können. Widerstand haben hingegen nur sehr wenige geleistet. "Man kann sagen, wenn es einmal Widerstand unter den Pastoren gab, dann nur in der Bekennenden Kirche. Aber das war eben auch innerhalb der Bekennenden Kirche die Ausnahme."

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Helge-Fabien Hertz sitzt am Schreibtisch und recherchiert für seine Dissertation. © NDr Foto: Corinna Below

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Pastor Slotty: Einer, der sich nur Gott verpflichtet fühlte

"Es gibt auch diese wahnsinnig beeindruckenden Fälle, zum Beispiel Pastor Friedrich Slotty aus St. Michaelisdonn", erzählt der 32 Jahre alte Historiker. "Er war Familienvater, hatte sieben Kinder. Er wusste, was passieren kann, und trotzdem hat er aktiv Widerstand geleistet." Slotty sei ein tolles Beispiel, denn sein Fall belege, dass Widerstand unter dem Schutz der Kirche möglich war. Mit Hertz' Dissertation gibt es jetzt zum ersten Mal eine Untersuchung darüber, welche Rolle jeder einzelne Pfarrer der schleswig-holsteinischen Landeskirche während des Nationalsozialismus gespielt hat. Die entsprechende Datenbank pastorenverzeichnis.de ist öffentlich zugänglich.

Vom Anhänger zum Regimekritiker

Wie Hertz in seiner Dissertation schreibt, ist Slotty damals zunächst begeisterter Anhänger und Protegé der NS-Bewegung. Doch 1934 ändert sich seine Haltung. Der Anhänger der Bekennenden Kirche verweigert den Hitlergruß und den Eid auf Adolf Hitler, den die Bekennende Kirche eigentlich gutheißt. Von nun an übt er offen Kritik am NS-Regime. Hertz fand heraus, dass Slotty 1935 Hitler in einer Predigt einen "Blutsauger" und einen gefährlichen "Emporkömmling" nennt. Auch prangert er den Militarismus offen an und stellt sich gegen Rassismus und Antisemitismus. Dies bleibt damals nicht ohne Folgen. Mehrmals wird er von der Gestapo verhört, und es gibt Verfahren gegen ihn. Doch immer wieder wird er freigesprochen. Erst 1939 schickt ihn das Landeskirchenamt in den vorzeitigen Ruhestand, zahlt ihm aber weiterhin sein volles Gehalt. "Slotty ist einer der ganz wenigen schleswig-holsteinischen Geistlichen, die sich gegen Adolf Hitler und das Regime auflehnten und offen Kritik übten. Auch innerhalb der Bekennenden Kirche gehörte er damit zur absoluten Minorität", so Hertz. 

Pastor Rustmeier: NS-Ideologie mit dem Glauben verknüpft

Genau wie Friedrich Slotty war auch Walter Rustmeier Mitglied der Bekennenden Kirche und kämpfte vehement für die Eigenständigkeit der Kirche. Gleichzeitig gehörte er der NSDAP an. Rustmeier habe sich, sagt Hertz, radikal für das NS-Regime engagiert, zunächst in als Pastor in Bad Oldesloe und später in der Gemeinde Münsterdorf. Schon in seiner Examenspredigt im März 1933 verknüpft er die "Pflichten gegen Staat und Volk" mit dem Glauben, indem er Nationalismus, Sozialdarwinismus und die sogenannte NS-Volksgemeinschaft predigt.

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Manche mit goldenem Parteiabzeichen der NSDAP

Gemeinsam mit Kollegen von der Bekennenden Kirche verschickt er die judenfeindliche Schrift "Die Kirche und der Jude" (1936) an sämtliche Dienststellen der NSDAP in Schleswig-Holstein. Als Vikar gründet Rustmeier eine Hitler-Jugend-Gruppe und liest aus NS-Propagandawerken vor. Er sei also ein sehr aktiver Nationalsozialist gewesen, analysiert Hertz. Der Fall Rustmeier zeige: "In der Bekennenden Kirche findet man eben auch NSDAP-Mitglieder, manche sogar mit goldenem Parteiabzeichen, weil sie ganz früh beigetreten sind." Der Historiker sieht in Rustmeier ein Beispiel unter vielen. Dessen Fall zeige exemplarisch, "dass es der überwiegenden Mehrheit der Bekennende-Kirche-Pastoren nicht um eine Ablehnung des NS-Staates ging". Im Gegenteil.

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Der Eintrag zu Pastor Rustmeier auf pastorenverzeichnis.de © NDR

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Informationen zu allen 729 Pastoren der evangelisch-lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins im "Dritten Reich". extern

Pastor Diekow: Den Nationalsozialismus aktiv unterstützt

Wilhelm Karl Christian Diekow war Deutscher Christ, in der Nazizeit Pastor in Petersdorf und Trittau. Helge-Fabien Hertz konnte in seinem Fall keine Mitgliedschaften zu NS-Organisationen in den Quellen finden, doch in seiner Personalakte tauchten etliche Hinweise auf seine nationalsozialistische Haltung auf. Zum Beispiel in einer Predigt von 1934. Da heißt es unter anderem: "Wenn sich die Hoffnung auf eine bessere Zukunft unseres Volkes erfüllen soll, müssen wir, liebe Gemeinde, unserem völkischen Glauben auch entsprechende Taten folgen lassen." Oder: "Es bleibt der Verantwortung, Aufrichtigkeit und Liebe eines jeden einzelnen überlassen, ob er mit Adolf Hitler den Wiederaufstieg oder durch Verweigerung der Arbeit und passiven Widerstand den Untergang des deutschen Volkes will." Mit solchen Sätzen habe Pastor Diekow seine Gemeinde aus voller Überzeugung aufgefordert, am sogenannten Aufbauwerk Adolfs Hitlers aktiv mitzuarbeiten, so Hertz.

"Dem jüdischen Volk die Existenzberechtigung abgesprochen"

Auch predigt Diekow damals eindeutig antijudaistisch und antisemitisch: "Wenn sich ein Volk wie das jüdische entschlossen von Christus, der vollkommenen Liebe, abwendet, spricht es über sich selbst das Todesurteil." Der Holocaust war zu dieser Zeit, 1934, noch nicht absehbar. "Dennoch spricht Diekow dem sogenannten jüdischen Volk hier explizit seine Existenzberechtigung ab", sagt Hertz. "Er begründet mit dem althergebrachten Vorwurf des Abfalls von Jesus."

Der Pastor als Multiplikator für das NS-Regime

Für den Historiker ist Pastor Diekow ein radikaleres Beispiel für die völkische Umformung der Glaubenslehre, wie sie von vielen "Deutschen Christen" praktiziert wurde. Diekow verbreitete judenfeindliche Stereotypen und schwor seine Gemeinde in Predigt und Konfirmanden-Unterricht explizit auf Adolf Hitler, das NS-Regime und die NS-Volksgemeinschaft ein. Das sei besonders schwerwiegend, findet Helge-Fabien Hertz, weil der Mann als Pastor besonderen Einfluss auf seine Gemeinde gehabt und dadurch als Multiplikator gewirkt habe.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Schleswig-Holstein Magazin | 21.02.2022 | 19:30 Uhr

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