Modellprojekt "Share to care": Patienten auf Augenhöhe einbeziehen
Seit knapp zehn Jahren sind Mediziner verpflichtet, Patienten umfassend und verständlich über Behandlungen aufzuklären. Ein Modellprojekt am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) hat nun gezeigt, wie das gelingen kann.
Nach einer schlimmen Diagnose stehen Patienten oft unter Schock, haben Angst und sind verunsichert. Gleichzeitig müssen sie unter Umständen lebenswichtige Therapieentscheidungen treffen. Um diese Situation den Patienten künftig zu erleichtern, entwickelte Friedemann Geiger das Projekt "Share to care".
Weltweit erstes Projekt dieser Art
Sein Ziel: Ärztinnen und Ärzte sprechen mit ihren Patienten auf Augenhöhe und finden gemeinsam eine Therapieentscheidung. Die Idee hatte der Psychologe schon länger: "Ich habe zehn Jahre lang hier in Kiel in der Kinderonkologie als Psychologe gearbeitet. Und da habe ich gemerkt, wie essenziell wichtig es ist, mit den Patienten bestmöglichst zu kommunizieren."
Die größte Herausforderung für Friedemann Geiger war, seine Kollegen im UKSH davon zu überzeugen. Weltweit gibt es an Kliniken kein vergleichbares Projekt als Vorbild.
So funktioniert es: Kommunikationstraining und Aufklärungsvideos
Ein Teil seines Programms ist die Schulung der Ärztinnen und Ärzte durch Kommunikationstrainer. Dazu filmen sich die Mediziner bei ihren Patientengesprächen selbst. Die aufgezeichneten Videos werden dann gemeinsam mit den Trainerinnen ausgewertet. "Das war für viele Ärztinnen und Ärzte eine Hürde", erzählt Kommunikationsexpertin Christine Wagner-Ullrich.
"Zuerst war es für mich komisch, bei wirklich jedem Gespräch immer an alle neuen Aspekte zu denken, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein gutes Gespräch mit dem Patienten reicht, denn man kann immer wieder darauf zurückgreifen", sagt Dr. Claudia Schmalz, leitende Oberärztin am Krebszentrum des UKSH Kiel.
Friedemann Geiger entwickelte außerdem Entscheidungshilfen, die sich Patienten in Ruhe zum Beispiel zu Hause anschauen können. Videos von Ärzten aber auch von Patienten erklären verständlich die Vor- und Nachteile der Optionen.
Patientin: "Hat mir die Angst genommen"
Wiebke Ochmann hat einen Tumor im Bein, bekommt gerade Bestrahlung und ihre Blutwerte haben sich verschlechtert. Sie steht vor der Entscheidung: Bluttransfusion, ja oder nein. Sie sagt: "Diese Art der Gespräche und die Möglichkeit über meine Therapieschritte entscheiden zu können, hat mir die Angst vor meinem Tumor genommen. Es fällt mir so leichter, damit umzugehen. Ich hätte sowas nicht erwartet. Ich dachte ich gerate in eine Maschinerie und ich bin hilflos den Ärzten ausgesetzt."
Von Schleswig-Holstein aus nach ganz Deutschland
Im UKSH arbeiten inzwischen Mediziner in 19 von 22 Einzelkliniken erfolgreich nach dem "Share to care"-Programm. Friedemann Geiger stellte das Konzept am Mittwoch in Berlin bei der Bundespressekonferenz vor. Wenn alles klappt, wird sein Programm im kommenden Jahr in ganz Deutschland zur Regelversorgung in allen Krankenhäusern.