Mikroplastik im Blick: Das Problem mit Brillengläsern aus Kunststoff
Mindestens 200 Tonnen Mikroplastik entstehen beim Anpassen von Kunststoffbrillengläsern bei deutschen Optikern jährlich in Deutschland, sagt Niklas Warda. Er will verhindern, dass dieses Plastik weiter im Abwasser landet.
Jan Tollgreve steht in der Werkstatt seines Optikerfachgeschäfts in Büdelsdorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) und spannt einen Kunststoff-Rohling in seine Schleifmaschine, drückt ein paar Tasten und schon beginnt das Gerät, die Kunststoffscheibe zu schleifen. Durch das Sichtfenster sieht man, wie sie - gekühlt durch einen Wasserstrahl - immer kleiner wird. "35 Jahre lang habe ich geschliffen und die Abfälle sind dann im Abfluss gelandet", erzählt der Diplom-Augenoptiker. Er sagt, er kenne keinen Kollegen, der mit den Mikro- und vermutlich auch Nanoplastikpartikeln anders umgeht. Denn verboten ist das nicht. Aber auch nicht gut für die Umwelt. "In der kunststoffverarbeitenden Industrie sind solche Abfälle, die ins Wasser eingeleitet werden, ein absolutes 'Ober-No-Go'", erzählt Jan Tollgreve, nur in der Augenoptik nicht.
Mindestens 200 Tonnen Mikroplastik pro Jahr

Doch seit gut einem Jahr ist mit der Verschmutzung des Abwassers am Markt in Büdelsdorf Schluss. Über einen Freund erfuhr Tollgreve von einem geschlossenen Filtersystem für augenoptische Schleifautomaten und investierte einen niedrigen fünfstelligen Betrag - sein Beitrag für eine sauberere Umwelt, wie er sagt. Hinter dem Filtersystem steckt Niklas Warda mit seinem Start-up Wardakant. Er ist gelernter Optiker. Offizielle Zahlen, wieviel Mikroplastik bei den Optikern anfällt, hat der Firmengründer aus Hanerau-Hademarschen im Kreis Rendsburg-Eckernförde nicht herausgefunden. "Wir haben das ausprobiert. An einem wirklich schwachen und dementsprechend dünnen Brillenglas mit wenig Material sind wir pro Brillenglas auf einen Abtrag von fünf Gramm gekommen", erläutert Warda. Wenn man das auf die etwa 40 Millionen Brillengläser bundesweit hochrechnet, sei man bei etwa 200 Tonnen, wenn man ausschließlich von dünnen Gläsern ausgeht. Man könne die Zahl deutlich nach oben korrigieren, schätzt der Start-up-Unternehmer.
Mikroplastik-kontaminiertes Wasser in den Abfluss

Die meisten Optiker in Deutschland arbeiten immer noch mit einem Frischwasseranschluss, um den Schleifapparat bei der Arbeit vor Überhitzung zu schützen. Das bedeutet, es tröpfelt frisches Wasser in den Automaten und der Rest geht direkt in die Kanalisation und nimmt die mikroskopisch kleinen Plastikpartikel mit. Andere Optiker verwenden Umwälzsysteme, bei denen das Wasser in einem Kreislauf zwar wiederverwertet wird. Bei den meisten Systemen würde der Wassertank am Ende des Arbeitstages dann trotzdem in den Abschluss gekippt, berichtet Warda aus seiner Zeit als Optiker. Er geht davon aus, dass nur 20 Prozent des Mikroplastiks herrausgefiltert werden. Die Entsorgung würde dann über den Hausmüll erfolgen. Auch diese Zahlen sind Erfahrungswerte, denn offiziele Zahlen gibt es auch dafür nicht.
Kühlwasser speziell aufbereitet
Dass es auch anders geht, beweist Wardakant mit seinem geschlossenen Kreislaufsystem. Das Kühlwasser ist frei von Bestandteilen wie etwa Kalk, Kupfer und Eisen. Aus einem Wassertank wird die Kühlflüssigkeit in den Automaten gepumpt, kommt nach dem Kühlvorgang in ein Auffangbecken mit einem Filter, der Partikel bis zu einer Größe von 80 Mikrometern herausfiltert. Setzt sich der Filter zu, wird er mit gefilterten Wasser aus dem Tank über eine Pumpe wieder freigespült. Sollte zuviel sogenannter Schleifschlamm im Auffangbecken sein, kann er einfach in eine mitgelieferte Aufbewahrungsbox umgefüllt werden. Hinter dem Filter befinden sich zwei weitere Absetzbecken, in denen sich kleinere Teile absetzen können. Erst danach wird das gereinigte Wasser wieder zum Kühlen in den Automaten gepumpt.
Mindestens 5.000 Brillengläser
In die Aufbewahrungsbox passen die mikroplastischen Reste von mehr als 5.500 Kunststoff-Brillengläsern. Ist er voll, spätestens aber nach einem Jahr, wird die Anlage gewartet. Das heißt, Mitarbeiter des Start-ups tauschen Filtersystem und Aufbewahrungsbox aus. Das Wasser wird an eine Spezialfirma für industrielle Abfälle übergeben, für "den Schleifschlamm arbeiten wir aktuell mit Kunststoff-Ingenieuren und anderen Fachkräften daran, eine wirklich schlaue und smarte Recyclingmöglichkeit zu finden. Es geht in die Richtung, dass es als Füllstoff in nachhaltige Baustoffe einfliessen kann", erläutert Warda.

Auf jeden Fall landet das Mikroplastik über die Kanalisation nicht in Deutschlands Kläranlagen, denn die können es nicht komplett herausfiltern - heißt: normalerweise gelangt das Mikroplastik in die Flüsse und Seen. Wieviel - das kann nur geschätzt werden.
Wir nehmen pro Woche fünf Gramm Mikroplastik zu uns
Mikroplastik findet man inzwischen eigentlich überall auf der Erde, in tiefen Meeresgräben, auf entlegenen Gletschern und in den Flüssen und Seen vor unserer Haustür. Laut einer Studie der Umweltschutzorganisation WWF nimmt im Schnitt jeder Mensch jede Woche fünf Gramm Mikroplastik zu sich - das entspricht dem Gewicht einer Kreditkarte. Wie gefährlich das für den menschlichen Körper ist, wird noch erforscht. Inzwischen wurde Mikroplastik in Deutschland auch im Grund- und im Trinkwasser nachgewiesen, bisher in geringen Konzentrationen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzte 2019 die Situation bei der derzeitigen Belastung als nicht gesundheitsgefährdend ein, forderte aber weitergehende Forschung und eine verlässlichere Datenlage. Die Auswirkungen von Mikroplastik auf den menschlichen Organismus seien noch nicht abschließend erforscht, das gilt auch für das noch kleinere Nanoplastik, hieß es.
Mikroplastik im Trinkwasser: noch keine gesetzliche Regel
In anderen Bundesländern wird geklärtes Abwasser in Aufbereitungsanlagen wieder zu Trinkwasser aufgearbeitet, bei uns in Schleswig-Holstein wird Trinkwasser dagegen ausschließlich aus Grundwasser gewonnen. In Deutschland wird aktuell daran gearbeitet, eine neue EU-Trinkwasser-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Denn aktuell gibt es noch keine rechtliche Regelung für Nano- und Mikroplastik, teilte das Landessozialministerium, das in Schleswig-Holstein für Trinkwasser zuständig ist, NDR Schleswig-Holstein mit. Dafür solle Mikroplastik auf eine sogenannte Beobachtungsliste gesetzt werden.
"Valide Methoden für den Nachweis von Mikroplastik im Trinkwasser werden derzeit auf EU-Ebene unter deutscher Beteiligung entwickelt. Auch mit der Ableitung eines Grenz- oder Maßnahmenwertes sind Expertengremien befasst. Es gibt Aufbereitungsverfahren, die vermuten lassen, dass hierdurch auch Mikro- und teilweise auch Nanoplastik zurückgehalten werden kann", so das Sozialministerium.
Mehr als 110 Filter verkauft
Niklas Warda will mit seinem Filtersystem zumindest seinen Beitrag dafür leisten, dass Mikroplastik erst gar nicht in unsere Unwelt und wohlmöglich in unser Trinkwasser gelangt. Bis Ende 2021 hatte er gut 70 Filtersysteme verkauft, 2022 kamen bisher mit einem Auftrag 40 weitere hinzu. Einige seiner Filter gingen auch in das europäische Ausland. Bei Optiker Tollgreve in Büdelsdorf haben bereits die ersten Kunden aus Umweltaspekten ihre Brille gekauft und hofft auf weitere Menschen mit Sehschwäche, die die Umwelt schützen wollen.
