Mehr Mitsprache für Pflegekinder gefordert
Immer mehr Kinder und Jugendliche nutzen eine neutrale Beschwerdestelle, um Probleme zu klären. Allerdings geschieht dies fast nur aus stationären Einrichtungen.
Ein Fall aus dem Mai 2016: Ein 16-Jähriger lebt nach dem Suizid seiner Mutter in einer Pflegefamilie. Von der Pflegemutter fühlt er sich schlecht behandelt, weil sie ihn bei seiner Zukunftsplanung nicht mitreden lässt. Am liebsten würde er bei einem Freund oder seiner älteren Schwester leben. Zusammen mit der Mutter seines Freundes sucht er im Internet nach Hilfe und findet die Telefonnummer der Beschwerdestelle. Die berät ihn schließlich.

Doch so läuft es nur selten. Etwa 3.000 Kinder und Jugendliche leben in Schleswig-Holstein in Pflegefamilien. Bei der Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche haben sich in den vergangenen vier Jahren aber nur zwei betroffene Pflegekinder selbst gemeldet. "Und auch in diesen Fällen hatten die Mutter eines Freundes und ein Schulsozialarbeiter die Jugendlichen zur Kontaktaufnahme ermutigt", heißt es im Bericht der Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche: "In sämtlichen anderen Fällen haben sich Verwandte, Bekannte oder Lehrerinnen und Lehrer mit der Bitte um Unterstützung und Prüfung der Situation in der Pflegefamilie an die Bürgerbeauftragte gewandt."
Pflegekinder finden nur schwer Unterstützung
Die Bürgerbeauftragte Samiah El Samadoni leitet die Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche. Bei der Vorstellung des Berichts im Landtag sagt sie: "Für mich zeigt dieser Fall, dass Kinder und Jugendliche, die Probleme in ihrer Pflegefamilie haben, es tatsächlich schwer haben, Unterstützung zu finden." Sie kritisiert, dass die Beschwerdemöglichkeiten für Pflegekinder nicht ausreichend geregelt sind. Im Bericht heißt es außerdem: "Je nach Kreis werden die Pflegefamilien in unterschiedlichem Umfang im Vorfeld geschult. Einheitliche und verbindliche Mindeststandards sind - wahrscheinlich auch mit Blick auf die schwierige Gewinnung von Pflegeeltern - nicht vorhanden."
Beschwerdestelle wird mehr aufgesucht
Bei Kindern und Jugendlichen, die in stationären Einrichtungen untergebracht sind, also etwa in Wohngruppen oder Heimen, ist das anders: Sie entscheiden selbst, ob die Beschwerdestelle auf die Einrichtung oder das Jugendamt zugeht. Und: Sie haben die Beschwerdestelle in den vergangenen Jahren immer häufiger genutzt. 615 Eingaben hat es in den Jahren 2018 und 2019 gegeben. Das sind rund 200 mehr als in den Jahren 2016 und 2017. El Samadoni meint, dass die Beschwerdestelle inzwischen bekannter ist - und deshalb häufiger kontaktiert wird.
Heimbetreiber sollten stärker kontrolliert werden
Eingerichtet wurde die Beschwerdestelle nach dem Friesenhof-Skandal. Kinder und Jugendlich sollten niedrigschwellig Kontakt zu einer unabhängigen Stelle bekommen. Außerdem sollten Heimbetreiber stärker kontrolliert und das Personal in den Behörden aufgestockt werden. Das ist aus Sicht der Ombudsfrau passiert - zumindest auf Landesebene: "Sowohl die Mitarbeitenden als auch die Leitung der Heimaufsicht sind während des Berichtszeitraumes für die Beschwerdestelle stets sehr gut zu erreichen gewesen, haben sich den Meldungen unverzüglich angenommen und nach abgeschlossener Prüfung eine ausführliche Rückmeldung erteilt." Die Landes-Heimaufsicht kommt etwa ins Spiel, wenn es Gewaltvorwürfe gegen Betreuer gibt oder unhaltbare hygienische Zustände. 37 solcher Meldungen gab es in den Jahren 2018 und 2019. Sie betrafen 30 Einrichtungen.
El Samadoni: Stärkere Sensibilisierung im Umfeld der Einrichtungen
Insgesamt sieht El Samadoni seit den Ereignissen in den Friesenhof-Einrichtungen eine stärkere Sensibilisierung - auch im Umfeld der Einrichtungen. "Es kommen auch Beschwerden von Menschen, die einfach von außen Dinge beobachten, weil sie ein Mal die Einrichtung betreten haben, und auch da gibt es dann entsprechende Hinweise, wenn etwas nicht korrekt läuft." Dass dennoch etwas unter dem Radar der Behörden bleibe, könne sie aber nicht ausschließen.
Nach wie vor Probleme mit Jugendämtern
In den meisten - weniger schweren - Fällen vermittelten die Ombudsleute etwa zwischen Betreuern und Kinder oder auch zwischen Eltern und Behörden. Häufig geht es dabei schlicht darum, die Kommunikation zwischen beiden Seiten zu verbessern. Manchmal bleibt die offenbar aufgrund der hohen Arbeitsbelastung in den Jugendämtern auf der Strecke. "Ein Mädchen berichtete, sie hätte seit anderthalb Jahren keinen Kontakt zu ihrem Jugendamt gehabt. Da fragt man sich, was ist eigentlich mit der verpflichtenden Hilfeplanung, die alle sechs Monate stattzufinden hätte?", so El Samadoni.
Häufig handelt es sich um Jugendämter außerhalb Schleswig-Holsteins - denn von den rund 7.000 Kindern in stationären Einrichtungen im Land kommt fast die Hälfte aus anderen Bundesländern. Auch deshalb erneuert El Samadoni ihre Forderung nach einer Schulpflicht für Heimkinder, die nicht in Schleswig-Holstein gemeldet sind, noch einmal.
Pflegekinder: Diskussionsprozess nötig
Was die Kinder in Pflegefamilien betrifft, schlägt El Samadoni etwa vor, etwa im Rahmen von Pflegekindergruppen Beschwerdemöglichkeiten zu schaffen. Man müsse "einen entsprechenden Diskussionsprozess beginnen und prüfen, ob nicht Mindeststandards festgelegt oder zumindest entsprechende Empfehlungen gemacht werden können." Zudem bitte sie auch die Jugendämter, auch den Pflegekindern den Flyer der Beschwerdestelle mitzugeben.
Der 16-jährige Jugendliche, der Probleme mit seiner Pflegemutter hatte, verbringt inzwischen fast jedes Wochenende bei seiner Schwester. Sie überlegt, die Betreuung ihres Bruders komplett zu übernehmen. Im Bericht heißt es: "Die Pflegemutter sah keinen Anlass, mit der Beschwerdestelle zu sprechen."
