Eine Hospizmitarbeiterin hält die Hand eines todkranken Menschen, der im Hospiz im Bett liegt © picture alliance/dpa | Felix Kästle Foto: Felix Kästle

Koffer-Projekt in Ostholstein: Mit Kindern über den Tod sprechen

Stand: 20.05.2022 14:21 Uhr

Mit einem besonderen Projekt vermitteln Ehrenamtliche im Kreis Ostholstein die Themen Tod und Trauer, vor allem in Grundschulen. Ihr Ansatz: Der Tod verliert seinen Schrecken, je öfter über ihn gesprochen wird.

Kinderhand berührt Seniorenhand. © photocase.de Foto: Brilliant Eye
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von Linda Ebener

Es ist ein trauriges Thema, das uns früher oder später alle erwartet. Ein geliebter Mensch kann plötzlich aus dem Leben gerissen werden. Der Umgang damit fällt vielen Erwachsenen oft nicht leicht. Aber vielleicht wäre das anders, wenn sie schon im Kindesalter einen anderen Umgang mit dem Tod üben würden? Das ist der Grundgedanke des sogenannten Koffer-Projekts, einer Initiative des Hospiz- und Palliativverbandes Schleswig-Holstein.

Reden über Gefühle ist der Ausgangspunkt

Drei Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Koffer-Projekts in Ostholstein. © NDR Foto: Linda Ebener
Anne Przibilka, Irmgard Honalla und Birgitt Rathke haben die Inhalte ihres Koffers mit der Zeit immer weiter entwickelt.

Das Projekt startet schon in Grundschulen, wie zum Beispiel in der zweiten Klasse der Grundschule am Wasserquell in Oldenburg in Holstein. Anne Przibilka, Irmgard Honalla und Birgitt Rathke stehen im Klassenraum an der Tafel und begrüßen die Kinder. Die drei Ehrenamtlichen haben einen alten Lederkoffer dabei. Birgitt Rathke stellt ihn verschlossen auf den Lehrertisch. Die Kinder kennen die drei Frauen schon aus dem vergangenen Jahr, als sie noch in der ersten Klasse waren. Ein Kind erinnert sich: "Wir haben gelernt, was es für Gefühle gibt - zum Beispiel Trost, Ärger, traurig, wütend."

Die Natur als Beispiel

Bücher und Hefte liegen in einem Koffer des Koffer-Projekts in Ostholstein. © NDR Foto: Linda Ebener
Geschichten und kleine Spiele helfen den Kindern, sich dem Thema behutsam zu nähern.

Heute geht es um den Kreislauf der Natur und dazu hat Birgitt Rathke eine Geschichte mitgebracht, die sie aus dem Koffer zieht: "Freddie, das Blatt", heißt sie: Im Frühling wacht er auf und merkt, dass er zusammen mit vielen anderen Blättern an einem großen Baum im Park hängt. Es wird Sommer und dann Herbst, die Blätter werden bunt: "Freddie bemerkte, dass immer mehr Blätter vom Baum fielen. In der Dämmerung kam ein Wind, der Freddie von seinem Ast wegtrug. Er fühlte, wie er wich, sanft und ruhig auf den Boden schwebte, vor allem aber wusste er nicht, dass noch schlafend in dem Baum und in der Erde bereits neue Pläne für die Blätter im Frühling waren," erzählt sie.

Geschichten helfen beim Reflektieren

Im Anschluss müssen die Kinder erst mal über die Geschichte nachdenken. Birgitt Rathke fragt nach: "Was erkennt man in dieser Geschichte, was passiert mit den Blättern und dem Baum?" Mia-Sophie erklärt: "Ich glaube, wenn die Geschichte noch weitergehen würde, würde Freddie dem Baum noch helfen weiterzuwachsen, damit dann neue Blätter kommen. Die Blätter sind gefallen, weil der Herbst gekommen ist und da fallen die Blätter ja runter." Schülerin Zoé fand die Geschichte nicht so schön. Die Achtjährige hat mit dem Blatt Freddie etwas aus ihrem Leben verknüpft: "Wenn jemand wegfliegen würde, ist es ja manchmal so, als würde jemand sterben. Meine Tante ist auch vor einem Jahr gestorben und das fand ich auch ganz traurig. Ich war ganz viel bei Mama und hab viel mit meinen Kuscheltieren und meiner Mama gekuschelt."

Kinder nicht vor dem Thema schützen

Trost finden in einer Zeit, wo jemand gestorben ist, sei ganz wichtig, findet Ehrenamtlerin Birgitt Rathke. Eltern müssten mit ihren Kindern viel offener über das Sterben sprechen: "Die Kinder haben alle schon Erfahrungen damit gemacht - und wenn es das Haustier ist, das gestorben ist. Schon früh machen sie Verlusterfahrungen, etwa weil Freunde wegziehen oder weil sie selbst aus Kriegsgebieten flüchten mussten. Es ist ein Thema, mit dem jedes Kind immer wieder in Berührung kommt. Die Eltern meinen oft, dass sie ihre Kinder davor schützen müssen, aber das kann man nicht, weil es ein wiederkehrendes Thema ist."

Tod als Teil des Lebens

Die 77-jährige Ehrenamtliche Anne Przibilka findet, die Kinder stehen dem Thema Tod recht offen gegenüber: "Wir hoffen ja, über diesen Weg das Thema mehr in die Gesellschaft zu bringen. Wir wollen vermitteln, dass der Tod zum Leben gehört und was ganz Normales ist." Für den achtjährigen David ist der Tod selbstverständlich: "Für die Blätter ist das auch sinnvoll, denn wenn die vom Baum runterfallen und sterben, weil sie kein Wasser mehr von den Wurzeln bekommen, dann können sie nicht mehr auf dem Boden überleben. Dann wachsen neue Blätter - es ist also ein gewisser Kreislauf für die Blätter."

Umgang mit dem Thema soll selbstverständlich werden

Birgitt Rathke ist erstaunt, wie offen einige Kinder schon über den Tod sprechen, denn eigentlich soll das bei ihrem Projekt erst in einem Jahr vermittelt werden. Da wird über den Tod eines Tieres gesprochen. Dabei werden alle Geschichten und Materialien zum Projekt aus dem Koffer gezogen. In der vierten Klasse sprechen die Ehrenamtler dann über das Leben und warum es so lebenswert ist. So gehen die Kinder positiv aus dem Koffer-Projekt. Für Birgitt Rathke ist das Projekt eine Herzensangelegenheit. "Wenn alle Menschen mit diesem Thema normal umgehen würden, dann wäre die Trauer auch nicht mehr so traurig." Das Koffer-Projekt wird mittlerweile schon an mehreren Grundschulen im Land angeboten. Auch an weiterführenden Schulen gibt es bereits Projekte.

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Eine Hospizmitarbeiterin hält die Hand eines todkranken Menschen, der im Hospiz im Bett liegt © picture alliance/dpa | Felix Kästle Foto: Felix Kästle

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 21.05.2022 | 10:20 Uhr

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