Zwei bewaffnete Pilizisten stehen an einem Einsatzfahrzeug im Kieler Stadteil Elmschenhagen. © TeleNewsNetwork

Dänischenhagen: Hätte der Dreifachmord verhindert werden können?

Stand: 23.02.2022 12:38 Uhr

Am Mittwochmorgen hat der Prozess vor dem Kieler Landgericht um die Bluttaten von Dänischenhagen und Kiel, die sich im Mai 2021 ereigneten, begonnen. Hinterbliebene sehen Nachlässigkeiten bei Aufsichtsbehörden und Polizei - die Taten hätten sich angedeutet.

von Christian Nagel

Angeklagt ist Hartmut F.,  ein Zahnarzt aus Westensee im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Der Waffenliebhaber und Jäger soll im Mai vergangenen Jahres seine von ihm getrennt lebende 43-jährige Ehefrau und ihren 52 Jahre alten Bekannten in Dänischenhagen sowie anschließend einen ebenfalls 52 Jahre alten Mann in Kiel erschossen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem dreifachen heimtückischen Mord vor. Der Angeklagte schwieg bislang gegenüber den Ermittlungsbehörden.

Eine von vielen Fragen: Woher kamen die Waffen?

Im Prozess vor dem Kieler Landgericht soll unter anderem geklärt werden, ob und warum genau der angeklagte Familienvater drei Menschen tötete. Die Hinterbliebenen der Opfer treten in dem Verfahren als Nebenkläger auf: die Familie der getöteten Frau und ihre vier Kinder und die Familien der zwei getöteten Männer.

In dem Prozess sollen aber auch andere Fragen aufgeworfen werden: Woher hatte der Täter die Waffen, mit denen er die drei Menschen tötete? Darunter eine Maschinenpistole vom Typ Uzi, die darüberhinaus unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fällt. Welche Verbindung besteht zwischen Hartmut F. und einem mutmaßlichen Helfer, der zwar eine Tatbeteiligung bestreitet, aber zugegeben hat, die automatische Tatwaffe in seinem Vorgarten gefunden und in Einzelteilen unter anderem im Nord-Ostsee-Kanal entsorgt zu haben? Und die Frage, die vor allem die Angehörigen beschäftigt: Hätten die Taten möglicherweise verhindert werden können?

Hinterbliebenen-Anwalt: Es gab deutliche Hinweise

Rechtsanwalt Jan Kürschner vertritt die Hinterbliebenen von Carsten B., der als mutmaßliches drittes Opfer von Hartmut F. im Hasseldieksdammer Weg in Kiel erschossen aufgefunden worden war. Der Jurist und seine Mandanten sehen Nachlässigkeiten bei den Aufsichtsbehörden und der Polizei. Denn schon im Vorfeld hat es ihrer Meinung nach deutliche Hinweise darauf gegeben, dass Hartmut F. gewalttätig sein kann und er illegale Waffen besessen hat.

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Nach NDR Schleswig-Holstein Informationen gab es bereits ein gutes halbes Jahr vor der Tat - im November 2020 - anonyme Hinweise an das Landeskriminalamt, die Polizeidirektion Kiel und die JVA Neumünster, wo Hartmut F. als Zahnarzt arbeitete.

Anonymes Schreiben - unterschrieben mit: "ein besorgter Bürger"

In den Schreiben heißt es unter anderem, dass sich im Keller des Praxisgebäudes von Hartmut F. am Westensee circa 120 Waffen inklusive Munition befinden sollen. Nach Ansicht des anonymen Autoren besitze F. wegen schwerer körperlicher Angriffe auf seine Ehefrau und psychischer Probleme keine Eignung zum Umgang mit Waffen und Munition. Hartmut F. sei der rechten Szene zuzuordnen und habe davon berichtet, wie er in seiner Funktion als Zahnarzt nicht-deutsche Patienten in der JVA Neumünster absichtlich Schmerzen erleiden lasse. Der Absender bittet die Polizei in dem Schreiben, den Fall genauer zu betrachten und unterschreibt mit den Worten "ein besorgter Bürger".

Polizei in Kiel: Hinweise aus Schreiben wurden ernst genommen

Die Polizeidirektion Kiel hat den Eingang eines Schreibens auf NDR Schleswig-Holstein Anfrage bestätigt. Die Hinweise des anonymen Absenders seien ernst genommen und alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet worden. Gemeinsam mit dem LKA habe man Recherchen durchgeführt, die keine staatschutzrelevanten Erkenntnisse ergeben hätten.

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Nach Angaben der Kieler Staatsanwaltschaft sind gegen Hartmut F. nach Strafanzeigen seiner Frau mehrere Ermittlungsverfahren geführt worden - laut Oberstaatsanwalt Michael Bimler, weil F. sich nicht an die Gewaltschutzverfügung gehalten hatte und wegen einer Körperverletzung. Diese Verfahren waren nach Bimlers Angaben aber zum Zeitpunkt der Taten in Dänischenhagen und Kiel noch nicht abgeschlossen.

Hinweise darauf, dass Hartmut F. illegale Waffen besessen haben soll, hat es laut Bimler bei der Staatsanwaltschaft Kiel nicht gegeben. Woher der mutmaßliche Täter die illegalen Tatwaffen hatte, wird nach Bimlers Worten zurzeit in einem separaten Ermittlungsverfahren geklärt.

Hartmut F. musste offenbar Mindestabstand zu seiner Frau halten

2020 soll die Ehefrau versucht haben, sich von ihrem Mann zu trennen. Als Hartmut F. von den erneuten Scheidungsplänen seiner Frau erfuhr, soll es wieder zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen sein. Hartmut F. soll seine Frau dabei im Streit mit den Worten "Ich mach dich fertig" und einem Messer bedroht, mit einem Faustschlag zu Boden gebracht und ihr dort mehrfach gegen den Kopf getreten haben.

Im November 2020 soll die Frau eine Gewaltschutzverfügung gegen ihren Mann beantragt haben. Hartmut F. musste demnach einen Mindestabstand zu seiner Frau von 100 Meter einhalten und durfte keinen Kontakt mit ihr aufnehmen. Laut Staatsanwaltschaft Kiel gab es mehrere Verstöße gegen diese Vereinbarung.

Vier Monate vor der Tat verlangt der Kreis die Herausgabe der Waffen

Im Januar 2021 verlangte der Kreis Rendsburg-Eckernförde von Hartmut F. die Herausgabe seiner Waffen, seines Jagdscheins, seiner Waffenbesitzkarten und seiner Waffenhandelslizenz. Diesmal kam er der Aufforderung nach. Hartmut F. soll im Anschluss weiterhin versucht haben, über Familienmitglieder mit seiner Frau Kontakt aufzunehmen.

Um die auslaufende Gewaltschutzverfügung zu verlängern, soll die Frau von Hartmut F. im Mai 2021, wenige Tage vor ihrem gewaltsamen Tod, eine eidesstattliche Erklärung abgegeben haben. Dabei schilderte sie, dass ihr Mann immer wieder gegen die Gewaltschutzerklärung verstoßen haben soll. Bei dieser Gelegenheit soll sie außerdem deutlich Bedenken geäußert haben, dass ihr Mann noch illegale Waffen besitzen könnte.

Angeklagter soll seine Frau mit GPS-Tracker überwacht haben

Die darauf folgenden Ereignisse gleichen einem Kriminalroman. Hartmut F. soll seine Frau regelrecht überwacht und nach Angaben der Kieler Staatsanwaltschaft verfolgt haben. Nach NDR Schleswig-Holstein Informationen soll er dafür auch einen GPS-Tracker genutzt haben, den er am Auto seiner Frau montiert haben soll. Immer wieder soll er so mit seinem Handy überprüft haben, wo sich der Wagen seiner Frau befindet. Auf diesem Weg soll er auch davon erfahren haben, dass sich seine Frau inzwischen mit einem Mann traf, der in Dänischenhagen lebt.

Der Tat sollen mehrere Tage Vorbereitung vorausgegangen sein

Nach mehrtägiger Vorbereitung soll Hartmut F. dann am Vormittag des 19. Mai vergangenen Jahres seiner Frau in einem eigens dafür angemieteten Auto nach Dänischenhagen nachgefahren und dort sie und ihren Bekannten Tobias H. heimtückisch getötet haben. Im Anschluss soll er dann in Kiel den gemeinsamen bekannten Carsten B. erschossen haben. Ihn soll er für das Scheitern seiner Ehe verantwortlich gemacht haben.

Hinterbliebenen-Anwalt verweist auf mehrere "Eskalationsstufen"

Der Kieler Rechtsanwalt Jan Kürschner glaubt, dass es ausreichend Hinweise gab, denen die Behörden hätten nachgehen können. Ob die Tat damit tatsächlich hätte verhindert werden können, ist seiner Meinung nach zwar nicht sicher, aber warum die Behörden den anonymen Hinweisen auf illegale Waffen nicht nachgegangen seien, könne er sich nicht erklären, so Kürschner. Vor allem, weil sich die Taten "in Eskalationsstufen angedeutet" hätten.

Das Landgericht Kiel hat für den Prozess gegen Hartmut F. elf Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil soll voraussichtlich am 30. März verkündet werden.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 22.02.2022 | 17:00 Uhr

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