Corona sorgt für Mehrarbeit in der Psychiatrie
Ärzte und Pfleger kämpfen auf Intensivstationen um das Leben von Menschen mit Lungenversagen. Das Virus kann aber auch Menschen krank machen, die sich gar nicht angesteckt haben.
Seit Beginn der Pandemie melden sich deutlich mehr Menschen mit Ängsten und Depressionen in Schleswig-Holsteins Psychiatrien als früher. "Das sind Menschen, die unter den strengen Schutzmaßnahmen leiden", sagt Stefan Borgwardt, Direktor im Zentrum für Integrative Psychiatrie des Uniklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck. Auch die Ärztekammer im Land und die Ameos Klinik in Neustadt (Kreis Ostholstein) haben den Eindruck, dass bestimmte psychiatrische Leiden während der Pandemie zunehmen. Erste wissenschaftliche Veröffentlichungen würden dies nahelegen. Belastbare Daten gibt es dazu aber laut Ärztekammer noch nicht. Die Anzahl der Patienten insgesamt würde aber nicht steigen, da sich viele wegen Corona nicht in die Klinken trauten, so ein Sprecher der Ameos Klinik.
Lockdown als Hauptursache
Die Gründe für Erkrankungen sind vielfältig: "Bei einigen geht es um Kurzarbeit, andere sorgen sich um ihre Kinder in der Schule oder wissen nicht, wie es im Lockdown für sie weitergeht. Die Themen klingen zwar profan, für viele Menschen sind sie trotzdem ein großes Angstthema", so Melanie Fick-Salewski, Krankenschwester im Zentrum für Integrative Psychiatrie. Auch einsame Senioren würden die Klinik aufsuchen. Genauso wie jüngere Menschen, deren Sportvereine geschlossen seien. Die gesundheitlichen Auswirkungen des Lockdowns werden nach Meinung von Stefan Borgwardt unterschätzt. Eine Lösung dafür gebe es nicht. Hoffnung versprechen nur die Corona-Impfungen.
Anzahl der Aufnahmen konstant
Ein Großteil der Patienten, die unter dem Lockdown leiden, werden laut Borgwardt ambulant oder teilstationär in der Tagesklinik behandelt. Die Anzahl der stationären Aufnahmen sei nicht gestiegen. "Wegen der strengen Corona-Auflagen können wir nur bei sehr sehr schweren Erkrankungen im Notfall aufnehmen. Denn: Diese Patienten müssen alle auf das Virus getestet werden und kommen dann für 24 Stunden in Isolation, bis das Ergebnis da ist." Außerdem müssten die Pfleger stark darauf achten, dass Hygieneauflagen, wie die Maskenpflicht, eingehalten werden. "Nicht jeder psychisch kranke Patient akzeptiert, dass er Abstand halten oder eine Maske tragen muss", berichtet Melanie Fick-Salewski. Sie arbeitet seit 30 Jahren als Krankenschwester in der Psychiatrie des UKSH. Es gebe zum Teil Widerstand, das würde das Personal erheblich belasten und Kapazitäten in Anspruch nehmen.
Corona erschwert Therapien
Auch die Behandlungsmöglichkeiten sind durch die Pandemie eingeschränkt. Bestimmte Angebote fallen weg: "Viele Patienten gehen am Wochenende zum Beispiel nach Hause und probieren aus, ob sie das in der Therapie gelernte auch im Privaten umsetzen können. Das fällt wegen der strengen Hygieneauflagen nun weg", so Borgwardt. Auch das, was er seinen Patienten mit Depressionen normalerweise rate - rauszugehen, etwas zu unternehmen und soziale Kontakte zu pflegen - sei in Zeiten des Lockdowns nicht einfach. Außerdem ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes nach Meinung des Psychiaters hinderlich: "Gestik und Mimik spielen in der Therapie eine erhebliche Rolle. Sie ist wichtig, um das Gesagte auch richtig zu interpretieren. Da müssen wir uns jetzt allein auf die Augenpartie verlassen."
Hilfe beim Arzt holen
Soziale Kontakte seien dennoch wichtig und sollten, im Rahmen der Maßnahmen, weiterhin gepflegt werden, wenn auch online. Auch Bewegung an der frischen Luft können helfen. Ein neues oder altes Hobby finden, bringt Ablenkung, raten viele Experten weiter. Wer jedoch ernsthaft Hilfe brauche, solle nicht zögern und den Gang zum Arzt auch in Corona-Zeiten machen. Im Zentrum für Integrative Psychiatrie des Uniklinikums Lübeck sind zur Zeit 140 stationäre Patienten. 40 werden in der Tagesklinik behandelt.
