Baustoff Lehm: Fast vergessen - jetzt wieder auf dem Vormarsch

Stand: 22.09.2022 08:52 Uhr

Die Nachfrage nach dem alten Baustoff Lehm steigt - und damit auch die Nachfrage nach Fachpersonal. In Glücksburg findet gerade ein Kurs statt, bei dem sich 17 Frauen und Männer zur Fachkraft für Lehmbau weiterbilden lassen. Eine Premiere im Norden.

von Frank Goldenstein

Kellen kratzen über Putz, eine Mischmaschine dröhnt draußen vor dem Gebäude, dazu ein Gemurmel mit Bauthemen. 17 Handwerkerinnen und Handwerker bereiten sich hier auf ihre Prüfung vor. Sie tragen verschiedene Schichten Lehmputz auf ihre Übungsfläche, reiben diese nach kurzer Zeit mit einem Schwammbrett auf, um sie danach mit einer japanischen Glättkelle glattzubügeln. Einer von ihnen ist Aaron Brack. Der 26-Jährige ist gelernter Zimmermann und hat schon länger nach so einer Weiterbildung hier in Schleswig-Holstein gesucht. "Ich liebe die Arbeit mit Naturstoffen. Lehm ist einfach interessant. Ich finde das Zurückbesinnen auf Naturbaustoffe ist die Zukunft für gesundes und nachhaltiges Wohnen. Da möchte ich gerne einen kleinen Teil zu beisteuern", sagt der Flensburger.

Die Gruppe ist bunt zusammengewürfelt. Auch Maurer, Architektinnen und Architekten, Malerinnen und Maler wollen sich zur Fachkraft Lehmbau weiterbilden. Dazu müssen sie aber am Ende des Kurses die Prüfung in Theorie und Praxis bestehen. Die Lehrpläne und Prüfungsinhalte sind zwischen der Handwerkskammer Flensburg und dem Dachverband Lehm abgestimmt.

Ursprünge des Dachverbands in Schleswig-Holstein

Der Dachverband Lehm wurde vor 30 Jahren in Molfsee (Kreis Rendsburg-Eckernförde) gegründet mit dem Ziel, die Lehmbaukultur zu fördern. Anders als in Süddeutschland, wo Lehm im Bauhandwerk schon immer eine größere Rolle spielte, erlebt der Baustoff jetzt auch im Norden eine Renaissance. In Flensburg und Umgebung gibt es eine Handvoll Fachbetriebe. In Langballig sogar ein Werk, in dem Lehmziegel und -platten hergestellt werden. Das Problem: Fachkräfte sind rar, das gilt insbesondere für den Lehmbau.

Die Weiterbildung in Glücksburg (Kreis Schleswig-Flensburg) ist die erste dieser Art in Norddeutschland. Mit dabei sind Handwerker aus der Region, aus Flensburg, Emmelsbüll-Horsbüll, Lensahn oder Norderstedt. Aber auch aus Aachen oder Österreich sind angehende Lehmbau-Fachkräfte dabei, damit die Gruppe groß genug ist und der Kurs stattfinden kann.

Die vielen Vorteile des Lehmbau

Handwerker bei der Fertigstellung einer Lehmhaus Fassade. © Frank Goldenstein Foto: Frank Goldenstein
Die Weiterbildung zur Fachkraft Lehmbau in Glücksburg ist die erste dieser Art in Norddeutschland.

In den Theorie-Einheiten vermitteln die Dozenten die bauphysikalischen Besonderheiten des Lehms: Er reguliert die Luftfeuchtigkeit, beugt Schimmelbildung vor, reinigt die Raumluft, neutralisiert Gerüche, reduziert Elektrosmog und Schall und wirkt wie eine natürliche Klimaanlage. Im Sommer kühlen Lehmwände, im Winter sorgen sie durch ihre gute Wärmeleitfähigkeit in Kombination mit Wandheizungen für ein angenehmes Wohnklima - und das bei einem nur geringen Mehrpreis gegenüber Kalk- oder Gipsputz. Eine Architektin aus Aachen berichtet: "Wichtig ist mir, dass ich den Bauherren vermitteln kann, dass man mittlerweile richtig tolle Architektur mit Lehm machen kann. Und dass man Lehmbau aus der Ökoschiene der 80er Jahre herausholt und heutzutage in einen wunderschönen Kontext einbetten kann." Als Beispiel nennt sie die "Kapelle der Versöhnung" in Berlin oder den Alnatura Campus in Darmstadt.

Praktische Arbeiten in vielen Facetten

Drei Wochen dauert der Kurs bei artefact, dem Bildungszentrum für nachhaltige Entwicklung. Die angehenden Lehmbau-Fachkräfte lernen den Mauerbau mit einem traditionellen Lehm-Stroh-Gemisch, mit selbstgepressten Lehmsteinen und mit Stampflehm. Ein Betrieb aus Flensburg demonstriert, wie Lehm im Spritzverfahren, also mit Luftdruck aus dem Lehmwerfer an die Wand gebracht wird. Aber auch die verschiedenen Putzarten werden in Glücksburg geübt. Beim Feinputz ist heutzutage mehr möglich als der klassische Braunton. Lehm kann dabei in vielen natürlichen Farbtönen und verschiedenen Körnungen aufgetragen werden.

Per Prüfung zur Fachkraft Lehmbau

Am kommenden Montag und Dienstag stehen dann die Prüfungen an. Dort muss die Gruppe zeigen, was sie gelernt hat. Drei Stunden haben sie Zeit, um die Multiple Choice- und Textfragen zu beantworten. Für den praktischen Teil bleiben fünf Stunden Zeit. Wer den Kurs besteht und zudem betriebswirtschaftliche Kenntnisse nachweist, kann sich in die Handwerksrolle als Fachkraft Lehmbau eintragen lassen. Genug Arbeit und Aufträge im Lehmbau wird es in den kommenden Jahren geben, da sind sich in Glücksburg alle einig. Der Lehm erlebe eine Renaissance in Zeiten von Lieferengpässen und Kostensteigerungen bei Baukomponenten aus Osteuropa und Fernost.

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 22.09.2022 | 19:30 Uhr

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