Stand: 02.07.2015 14:43 Uhr

Fall Gröning: Die Schuld eines "kleinen Rädchens"

von Oliver Weiße

Laxe Strafverfolgung in der Bundesrepublik

Angeklagte und ihre Anwälte im Frankfurter Auschwitz-Prozess. © dpa - Bildarchiv
In den 60er-Jahren wurde in Frankfurt gegen SS-Täter im Auschwitzprozess zu Gericht gesessen.

Vieles von dem, was nun 70 Jahre später derzeit in Lüneburg vor Gericht ausgesagt wird, war unmittelbar nach Kriegsende bekannt. Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess und den Nachfolgeprozessen, aber auch in Polen und der Sowjetunion wurden Kriegs- und NS-Verbrecher abgeurteilt. In Polen hätten sich nach den Worten von Willems nach dem Kriegsende jedoch nicht einmal tausend SS-Angehörige, die in Auschwitz stationiert waren, verantworten müssen. In der Bundesrepublik gab es nach der Gründung 1949 nur noch zwei große NS-Verfahren, den Frankfurter Auschwitz-Prozess und den Düsseldorfer Majdanek-Prozess. "Die Strafverfolgung von NS-Tätern in der Bundesrepublik ist kein Ruhmesblatt", urteilt Susanne Willems. "Die Bundesrepublik hat dabei versagt."

Richter und Staatsanwälte blieben im Amt

Auch die Weigerung der Justiz, den aus den Nürnberger Prozessen bekannten Anklagepunkt "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu verfolgen, sei unverständlich. Eine Rolle habe auch die fehlende Aufarbeitung der Beteiligung der Justiz am NS-System gespielt. Bis hinauf zu den Oberlandesgerichten und den Generalstaatsanwaltschaften habe es eine Kontinuität in der Besetzung der Posten gegeben, erklärt Susanne Willems. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kämen Juristen jedoch nun zu einer anderen Rechtsauslegung. Denn neben der Ermordung gehöre auch die Deportation und das Ausrauben der Opfer zur Gesamttat, erklärt Willems. Damit werde der gesellschaftliche Strafanspruch - vertreten auch durch die rund 60 Nebenkläger - durchgesetzt. Dass nun in Lüneburg gegen einen Auschwitz-Täter verhandelt werde, sei einer neuen Generation von Juristen und vor allem auch der historischen Forschung zu verdanken, so die Auschwitz-Expertin.

Ein Urteil als Zeichen

Wenn Oskar Gröning am Ende des vermutlich letzten großen NS-Verfahrens schuldig gesprochen werden sollte, sei dies auch ein Zeichen für die heutige Zeit, erklärt die Historikerin aus Berlin. Inzwischen werde Massenmord auch Jahrzehnte nach der Tat verfolgt. Die Länge einer Haftstrafe spiele in Grönings Fall keine große Rolle. Das hätten auch die Angehörigen der Opfer im Prozess bei ihren Aussagen deutlich gemacht. Was zählt, ist ein Schuldspruch, sagt Willems.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Regional Lüneburg | 24.04.2017 | 15:30 Uhr

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