Seedorf gedenkt der gefallenen Soldaten von Kundus

Es war Karfreitag, der 2. April 2010, als die Bundeswehr das schwerste Gefecht in ihrer Geschichte erlebte: Bei dem Versuch, eine Straße im nordafghanischen Kundus von Sprengfallen zu säubern, geriet ein Trupp niedersächsischer Fallschirmjäger in einen Hinterhalt der Taliban. Drei Soldaten starben, acht wurden verletzt. An diesen "schwarzen Karfreitag" erinnert heute die Fallschirmjägerkaserne im niedersächsischen Seedorf (Landkreis Rotenburg). Mit Kranzniederlegungen, mit Trompetenmusik und mit einer kurzen Ansprache des Kommandeurs erinnern die Soldaten an die Gefallenen.
Taliban eröffnen das Feuer
Alles begann damit, dass eine Bundeswehr-Kleindrohne abstürzte. Als sich die Fallschirmjäger in einem Weizenfeld, in dem es kaum Deckung gab, auf die Suche nach dem Fluggerät machten, schnappte die Falle der Taliban zu. Von einem Gehöft aus eröffneten die Extremisten das Feuer auf die Soldaten. Einer, der dabei war, ist Fallschirmjäger Maik Mutschke. Er rannte durch den Kugelhagel, um Verstärkung zu holen. Kurz darauf lösten die Extremisten unter einem gepanzerten Fahrzeug, per Fernzündung, eine Sprengfalle aus. "Genau an dieser Stelle reißt der Film", sagt Mutschke heute.
Schwer gezeichnet vom Gefecht
Wochenlang hing Mutschkes Leben am seidenen Faden. Mehrfach musste er wiederbelebt werden. Noch heute ist er körperlich schwer gezeichnet, die linke Gesichtshälfte verbrannt, ein Arm gelähmt. Doch er hat sich ins Leben zurück gekämpft. Die Erinnerung jedoch an die drei gefallenen Kameraden lässt bis heute keinen los, der damals dabei war.
Zu Guttenberg spricht erstmals von "Krieg"
Für die gesamte Bundeswehr war die psychologische Schockwelle, dass die zahlenmäßig überlegenen Taliban sie in einem acht Stunden währenden offenen Kampf bezwungen hatten, gewaltig. Ebenso für die deutsche Öffentlichkeit - hatte die Politik den Einsatz doch bis dahin als eine Art Rot-Kreuz-Helfer-in-Uniform-Einsatz verkauft. "Also ein Gedruckse, ein Herumgeeier und nicht der Sache dienend", kritisiert knapp zehn Jahre später der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in der NDR Podcastserie "Killed in Action". Bei der Trauerfeier für die Gefallenen in Seedorf sprach zu Guttenberg dann erstmals von "Krieg" in Afghanistan.
Trauma lässt Soldaten nicht los
Ein Krieg sei das gewesen, in dem Fehler passierten, sagt rückblickend Fallschirmjäger Philipp Pordzik. So auch an diesem Karfreitag. "Chaos pur" habe während des Taliban-Angriffs geherrscht. Auch hätten einige Kameraden unnötig das Risiko gesucht. Pordzik ist bis heute schwer traumatisiert von diesem Schicksalstag in Kundus. "Ich saß allein zu Hause. Ich saß vorm Fernseher. Und es liefen die ganze Zeit Bilder vom Krieg. Afghanistan. Bis ich dann nach ein, zwei Stunden mitgekriegt habe: Der Fernseher ist ja gar nicht an." Er kämpft bis heute gegen den aus seinem Gedächtnis nicht zu löschenden Horrorfilm in seinem Kopf.
Ehrenhain für die Gefallenen in Seedorf
Die Erinnerung an die drei gefallen Soldaten hält die Kaserne in Seedorf nicht nur am heutigen Gedenktag wach, an dem wegen der Corona-Pandemie zahlreiche Veranstaltungen abgesagt wurden, um größere Menschenansammlungen zu vermeiden. In Seedorf ist ein Ehrenhain den Gefallenen vom Karfreitag 2010 gewidmet, auch Straßen wurden nach ihnen benannt. Für die Truppe bedeutete die Mission am Hindukusch, dass sie sich intensiver als je zuvor mit Themen wie Trauer, Tod und Traumatisierung befassen musste. Kritiker bemängeln jedoch, dass über die Auslandseinsätze der Bundeswehr noch immer nicht offen genug debattiert werde.
