AfD - eine Bilanz nach fünf Jahren Opposition
Machtkämpfe spalten die AfD in Niedersachsen. Weil drei Mitglieder die Fraktion verlassen, ist sie im Landtag nur noch als Gruppe vertreten. Der Verfassungsschutz listet die AfD als Verdachtsobjekt.
Eigentlich hätte man sich freuen sollen bei der AfD am Abend des 15. Oktober 2017. Schließlich ist die Partei gerade zum ersten Mal ins niedersächsische Parlament eingezogen. Viele in der Partei hatten sich aber ein besseres Ergebnis erhofft. 6,2 Prozent der Wählerstimmen holt die AfD bei der Landtagswahl. Drei Wochen zuvor war die Partei bei den Bundestagswahlen noch bei 12,6 Prozent gelandet. Der damalige Landesvorsitzende Armin-Paul Hampel sieht als Grund für das schlechte Ergebnis der Niedersachsen-AfD innerparteiliche Streitigkeiten. Diese Grabenkämpfe werden der Partei während der ganzen Legislaturperiode zu schaffen machen. Mehr als ihr lieb ist.
Fraktionsarbeit
Mit neun Abgeordneten stellt die AfD zum Start der Legislaturperiode die kleinste Fraktion. Die Partei ist nicht an Koalitionsgesprächen beteiligt und hatte das auch nicht erwartet. Spitzenkandidatin Dana Guth hatte schon im Vorfeld der Landtagswahl klargestellt, dass sich die AfD in der Opposition sieht.
In der Parlamentsarbeit gibt sich die AfD anfangs handzahm, wählt Parlamentspräsidentin Gabriele Andretta (SPD) mit, lobt Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU), stimmt sogar für Initiativen der Großen Koalition. Doch schon bald wird es ungemütlicher. SPD, CDU, Grüne und FDP wollen das Gedenkstättengesetz ändern. Die AfD soll nicht im Stiftungsrat für das ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen sitzen und geht dagegen erfolglos beim Staatsgerichtshof vor.
Die AfD-Fraktion wird mit der Zeit krawalliger und polarisiert immer wieder. Anträge gegen das Schächten von Schafen und gegen Shisha-Bars sorgen für hitzige Diskussionen im Landtag. Die Fraktion schaltet ein Internetportal frei, auf dem Eltern und Schüler melden können, wenn sich Lehrkräfte politisch äußern. Immer wieder habe es Fälle gegeben, in denen im Unterricht nicht neutral über die AfD informiert worden sei, begründet die Fraktion den Vorstoß. Dieses Portal ist heute nicht mehr im Internet zu finden.
Neuer Landesvorstand 2020
Im September 2020 wird die AfD Niedersachsen schwer erschüttert. Bei einem Parteitag in Braunschweig kommt es zu einer Kampfabstimmung um den Vorsitz des Landesverbandes. Der Bundestagsabgeordnete Jens Kestner gewinnt knapp und wird neuer Landeschef der AfD in Niedersachsen. Er wird dem offiziell aufgelösten, völkisch-nationalistischen Flügel zugerechnet. Die bisherige Vorsitzende Dana Guth, die als gemäßigt gilt, verliert die Wahl. Ein innerparteiliches Erdbeben, das nicht ohne Folgen bleiben wird.
Auflösung der Fraktion
Nur zehn Tage nach ihrer Niederlage tritt Dana Guth auch aus der AfD-Fraktion aus, deren Vorsitzende sie bis dahin gewesen war - zusammen mit den Abgeordneten Stefan Wirtz und Jens Ahrens. Begründung: Fehlentwicklungen. Es seien rote Linien verletzt worden. Guth spricht von einem Hauen und Stechen innerhalb der Partei. Durch die Austritte verliert die AfD ihren Fraktionsstatus. Sie ist fortan nur noch als Gruppe im Landtag vertreten, mit weniger parlamentarischen Rechten. Im Dezember 2020 tritt Guth auch aus der Partei aus. Als Gründe für diesen Schritt nennt sie unter anderem den "zunehmend schärferen Ton und die Dominanz des rechtsextremen 'Flügels'".
Neuer Landesvorstand 2022
Derweil gerät auch der Landesvorsitzende und ehemalige Bundestagsabgeordnete Jens Kestner immer mehr in die Kritik. Ihm werden schlechter Führungsstil und mangelnde Kommunikation vorgeworfen. Ende Mai 2022 wird der AfD-Bundestagsabgeordnete Frank Rinck zum neuen Landesvorsitzenden in Niedersachsen gewählt. In AfD-Kreisen heißt es, dass Rinck großen Rückhalt in der Partei genießt, insgesamt dürfte er aber wenig bekannt sein.
Als eigentliche Strippenzieher in der niedersächsischen AfD gelten Ansgar Schledde aus dem Kreisverband Ems-Vechte sowie Jörg König aus Hannover. Als Spitzenkandidat für die Landtagswahl wird Anfang Juli der als gemäßigt geltende Allgemeinmediziner Stefan Marzischewski aus Gifhorn gewählt.
Streit im Landesverband
Drei Monate vor der Landtagswahl steht die niedersächsische AfD vor einer neuen Zerreißprobe. Parteiaustritte häufen sich. Insider berichten, dass Beschimpfungen innerhalb der Partei an der Tagesordnung seien. Von gekauften Stimmen bei Wahlen ist die Rede, ebenso von Parallelstrukturen, die helfen sollen, politische Gegner einzuschüchtern. Zudem entbrennt innerhalb der Partei ein Streit über die Rechtssicherheit der Liste für die Landtagswahl, die von der Landeswahlleiterin aber zugelassen wird.
Verfassungsschutz
Im Juni 2022 stellt Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius den Verfassungsschutzbericht vor. Darin ist nun die gesamte AfD als Verdachtsobjekt gelistet. Zuvor waren in Niedersachsen die Jugendorganisation der AfD sowie der sogenannte Flügel als Beobachtungsobjekt eingestuft worden. Laut Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut sind die ehemaligen "Flügel"-Angehörigen der Partei mit ihrem Gedankengut und ihren Zielsetzungen in die Parteistrukturen der AfD eingesickert. Zudem unterhalte der niedersächsische AfD-Landesverband Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen und Protagonisten, so der Vorwurf. Die AfD widerspricht.
Aussichten
Spitzenkandidat Marzischewski-Drewes gibt sich kämpferisch. Sein Ziel: ein zweistelliges Ergebnis bei der Landtagswahl. Doch es gibt auch Sorgen in der Partei, dass die AfD an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte. Inhaltlich hat sie sich erst spät in den Wahlkampf eingeschaltet. Innerparteiliche Querelen werfen die Partei immer wieder zurück. Die AfD Niedersachsen besteht nach Einschätzung vieler Mitglieder nach wie vor aus zwei Lagern, die sich gegenseitig bekämpfen. Insgesamt dürfte die Ausgangslage der AfD für die Landtagswahl deshalb als geschwächt angesehen werden.
Die anderen Parteien aus der Opposition
Porträts der Ministerinnen und Minister der GroKo
