Wolfgang Kubicki, stellvertretender Vorsitzender der FDP und Bundestagsvizepräsident. © Michael Kappeler/dpa Foto: Michael Kappeler

"Kanalratte": Erdoğan zeigt Kubicki bei Hildesheimer Justiz an

Stand: 30.09.2022 15:10 Uhr

Bei einem Wahlkampf-Auftritt in Hildesheim hatte der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Kubicki den türkischen Präsidenten Erdoğan als "kleine Kanalratte" bezeichnet. Dieser hat nun Strafanzeige erstattet.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki hatte auf einer FDP-Wahlkampfveranstaltung vor der Landtagswahl in Niedersachsen am vergangenen Sonntag die Flüchtlingspolitik von Recep Tayyip Erdoğan kritisiert. Der Kölner Anwalt für Strafrecht, Mustafa Kaplan, stellte im Namen des türkischen Präsidenten am Donnerstag bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Hildesheim einen Strafantrag wegen Beleidigung und Verleumdung, wie er der Deutschen Presse-Agentur (dpa) sagte. Eine Sprecherin der Behörde bestätigte die Anzeige. Zuvor hatte der "Spiegel" darüber berichtet. Kubicki sagte der dpa, er sehe einem möglichen Rechtsstreit mit Erdoğan sorglos entgegen.

Ankara bestellt deutschen Botschafter ein

In dem sieben Seiten umfassenden Schreiben, auf das sich der "Spiegel" bezieht, führt der Anwalt aus, wieso er beide Straftatbestände als erfüllt betrachtet. Die Bezeichnung "Kanalratte" müsse man so verstehen, dass Erdoğan ein Mensch sei, "der als sittlich verwahrlost, moralisch heruntergekommen und Ekel hervorrufend angesehen wird". Es gehe nicht um sachliche Kritik, sondern allein um Diffamierung, zitiert der "Spiegel" aus dem Schreiben. "Da der Islam derartige Beleidigungen ablehnt", komme verschärfend hinzu, dass der Ausdruck für Erdoğan "auch aus religiösen Gründen" schwer hinzunehmen sei. Ankara hatte wegen der Aussage Anfang der Woche den deutschen Botschafter einbestellt - um ihm mitzuteilen, dass die Äußerungen des FDP-Politikers aus türkischer Sicht inakzeptabel seien und jeder politischen Moral und Verantwortung entbehrten. Das Auswärtige Amt hatte sich indirekt von Kubickis Äußerungen distanziert.

Kubicki sieht möglichem Verfahren gelassen entgegen

Kubicki sagte der dpa: Er sehe "einer möglichen juristischen Auseinandersetzung mit Gelassenheit entgegen." Deutschland sei im Gegensatz zur Türkei ein Rechtsstaat, in dem die Meinungs- und Äußerungsfreiheit zentralen Verfassungsrang habe. "Die Tatsache, dass Herr Erdoğan seit Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2014 rund 200.000 solcher Verfahren hat einleiten lassen, sagt eigentlich schon alles", so Kubicki. Medienberichten zufolge stellte der Präsident seit Beginn seiner Amtszeit tatsächlich rund 200.000 Anzeigen. Laut der Zeitung "Cumhuriyet" mündeten rund 45.000 dieser Anzeigen in Prozesse und in rund 4.900 Haftstrafen.

Es ging um die Flüchtlingspolitik der Türkei

Kubicki hatte Erdoğan im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik der Türkei als "kleine Kanalratte" bezeichnet. Der türkische Präsident habe einen für die Türkei vorteilhaften Deal mit der Europäischen Union zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen abgeschlossen. Gleichzeitige kämen wieder vermehrt Geflüchtete über die Balkonroute, was erneut Herausforderungen für die deutsche Außen- und Innenpolitik mit sich bringe.

FDP-Politiker verweist auf "Kalle Kanalratte" und "Ratatouille"

Zuvor hatte Kubicki seine Äußerung dem "Spiegel"-Bericht zufolge verteidigt: Eine "kleine Kanalratte" sei ein "kleines, niedliches, gleichwohl kluges und verschlagenes Wesen", das auch als Kindergeschichte vorkomme. Er erwähnte das Spiel "Kalle Kanalratte" und den Film "Ratatouille". Erdoğans Anwalt wertet das als Schutzbehauptung und verweist darauf, dass weder "Kalle Kanalratte" noch "Ratatouille" einen Bezug zur türkischen Flüchtlingspolitik hätten. Als Anwalt, der seit Jahrzehnten in namhaften Strafsachen auftrete, wisse Kubicki, dass die Bezeichnung "Kanalratte" in Bezug auf Erdoğan "eine Straftat darstellt".

Erdoğan erzielte juristischen Teilerfolg gegen Böhmermann

Der Fall erinnert an den des Satirikers Jan Böhmermann, der in seiner ZDF-Sendung "Neo Magazin Royale" im Jahr 2016 ein Schmähgedicht veröffentlicht hatte, in dem er Erdoğan unter anderem mit Sex mit Tieren in Verbindung brachte. Erdoğan erzielte gegen Böhmermann einen juristischen Teilerfolg - große Teile des Gedichts wurden verboten.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 30.09.2022 | 10:00 Uhr

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