Der Eingang zum Landgericht Göttingen. © picture alliance/dpa/Swen Pförtner Foto: Swen Pförtner

Femizid in Göttingen: Heute wird das Urteil erwartet

Stand: 29.06.2022 07:15 Uhr

Mord oder Totschlag? Vor dem Landgericht Göttingen fällt heute das Urteil gegen einen Mann aus Hannover, der seine Ex-Partnerin erwürgt haben soll. Der Ausgang des Verfahrens ist offen.

von Marie-Caroline Chlebosch und Frederik Schulz-Greve

Heute wird Hauke K. das letzte Mal den Saal B25 am Landgericht Göttingen betreten. Er ist Nebenkläger und der Bruder von Birke K., die im August 2021 in ihrer Wohnung gewaltsam getötet wurde. Erwürgt von ihrem Ex-Partner. Der mutmaßliche Täter, Alexander D., muss sich dafür seit März vor Gericht verantworten. Er hat die Tat im Prozess gestanden. "Meine Hoffnung ist eine lebenslange Haftstrafe", sagt Hauke K. Für Familie und Freunde sei der Tod von Birke K. bis heute schwer zu begreifen. "Dieses Gefühl, dass meine Schwester nie wieder zurückkommt. Wir hoffen, dass dieser Mensch für ein sehr lange Zeit ins Gefängnis muss", sagt Hauke K.

Ein besonderer Fall

Wenige Wochen vor der Tat hatte sich Birke K. vom Angeklagten getrennt. Die Mehrzahl der Femizide in Deutschland sind sogenannte Trennungstötungen. Dass dieser Fall dennoch besonders ist, zeigt sich in den bisher 13 Verhandlungstagen immer wieder. Auch, weil der Tod der 51-Jährigen zunächst als natürlich eingestuft worden war. Die Polizei findet den Leichnam von Birke K. am Tag nach der Tat in ihrem Bett - bekleidet mit Pyjama und einem Halstuch, daneben leere Alkoholflaschen. "Es war eine Nachricht vom Handy der Getöteten versandt worden, dass sie viel Alkohol getrunken habe und dass es ihr nicht so gut gehe", sagt Oberstaatsanwalt Andreas Buick, der den Fall vor dem Landgericht Göttingen verhandelt. Dies erweckte zunächst bei den Polizeibeamten den Eindruck, dass sie in einem Übermaß Alkohol zu sich genommen hatte, so dass man davon ausging, dass es sich um einen natürlichen Tod ohne ein Drittverschulden handelte. Die SMS ging an den 17-jährigen Sohn der Getöteten, der sich im August 2021 im Urlaub an der Ostsee befand. Er macht sich Sorgen, schickt einen Freund und dessen Vater zur Wohnung, in der Birke K. dann tot in ihrem Bett von der Polizei aufgefunden wird. Verschickt wurde die SMS-Nachricht allerdings, so die Ermittlungsergebnisse, bereits nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter durch den mutmaßlichen Täter.

Kriminalbeamter erkennt Fremdverschulden

"Es gab dann eine weitere Überprüfung der Tatortfotos polizeiintern", sagt Oberstaatsanwalt Buick, "ein sehr erfahrener Kriminalbeamter der Polizeiinspektion Göttingen hat diese Fotos gesehen und zahlreiche Anzeichen dafür gefunden, dass hier Gewalt im Spiel gewesen sein dürfte." Daraufhin veranlasst die Staatsanwaltschaft eine Obduktion. "Der Gerichtsmediziner stellte sofort fest, dass es sich hier um ein Gewaltverbrechen handelt", so Buick. Die Polizei kommt Alexander D. schnell auf die Spur und beginnt unter anderem mit einer Telefon-Überwachung des mutmaßlichen Täters, einem IT-Spezialisten aus Hannover. Die Ermittlungen ergeben, dass er die getötete Birke K., digital systematisch ausspioniert hatte. "Es gab technische Untersuchungen des Computers der Geschädigten. Man hat festgestellt, dass offenbar sehr viel Manipulationen vorgenommen worden waren", so der Oberstaatsanwalt. Alexander D. habe unter anderem Zugriff auf ihre E-Mails gehabt.

Hauke K. erfährt einen Tag nach der Gewalttat vom Tod seiner Schwester. "Ich dachte, mein Herz springt mir aus der Brust", sagt er. Für ihn ist der Prozess am Landgericht Göttingen auch eine Art Trauerbewältigung. "Man möchte genau wissen, was passiert ist, um es für sich verarbeiten zu können. Letztendlich tue ich das auch für meine Schwester", sagt Hauke K.

Staatsanwaltschaft plädiert auf Mord

Die Staatsanwaltschaft Göttingen sieht die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe als erfüllt an. Oberstaatsanwalt Andreas Buick fordert in seinem Plädoyer eine lebenslange Freiheitsstrafe für Alexander D. und begründet die niedrigen Beweggründe so: "Nach meiner Überzeugung hat der Angeklagte so gehandelt, weil er nicht akzeptieren wollte, dass sich die Geschädigte von ihm getrennt hat. Er gesagt hat: Wenn ich sie nicht haben kann, dann soll sie dafür sterben und dass das sein Motiv war, sie zu töten." Gründe, die nach Auffassung von Buick nach allgemeiner sittlicher Anschauung auf tiefster Stufe stehen. Der Angeklagte habe seine Tat anschließend verschleiern wollen. Auch die Anwälte der Familienangehörigen von Birke K. haben vor Gericht eine Verurteilung wegen Mordes gefordert. Helen Wienands vertritt den Sohn der Getöteten. Er ist heute 18 Jahre alt. "Wenn es darum geht, dass man nicht akzeptieren kann, dass eine Frau ihre eigenen Entscheidungen trifft, ihre eigenen Wege geht und dass das dominierende Motiv für die Tötung ist, dann ist das ein Femizid. Und dann sind das auch niedere Beweggründe", sagt die Opferanwältin.

Mord oder Totschlag? Urteil ungewiss

Aber längst nicht alle Femizide werden vor Gericht als Morde abgeurteilt. Und auch in diesem Fall ist der Ausgang offen. Die Verteidigung plädiert auf Totschlag und auf eine Freiheitsstrafe unter 10 Jahren. Verteidiger Pascal Ackermann begründet das in seinem Plädoyer unter anderem damit, dass es keine ausreichend gesicherten Erkenntnisse zum genauen Tatablauf gebe. Außerdem müsse sich strafmildernd auswirken, dass sein Mandant Alexander D. gestanden habe und es bisher nie straffällig geworden sei. Am Mittwochnachmittag soll das Urteil vor dem Landgericht Göttingen fallen. Welchen Argumenten die Richter folgen werden, bleibt bis dahin ungewiss.

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