75 Jahre Mitbestimmung bei VW: Lob von Altkanzler Schröder
Der VW-Betriebsrat hat am Freitag mit einem Festakt den 75. Jahrestag der Mitbestimmung im Wolfsburger Werk gefeiert. Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sprach bei der Online-Veranstaltung.
"Seit jeher hat es in diesem Konzern starke Gewerkschaften, starke Betriebsräte, aber auch eine entschiedene, gut arbeitende Führung gegeben", sagte Schröder. Die Tradition der Mitbestimmung im Konzern sei "in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ziemlich einmalig". Dies habe er auch als niedersächsischer Ministerpräsident von 1990 bis 1998 und Vertreter des Landes als zweitwichtigstem Eigentümer im Aufsichtsrat von VW mehrfach erlebt. Ich habe es nicht als Schande gesehen, gelegentlich als 'Autokanzler' dargestellt zu werden", fuhr er fort.
VW von "ausschlaggebender Bedeutung"
VW mit seinen weltweit mittlerweile 670.000 Mitarbeitern sei nicht nur für Niedersachsen und Deutschland, sondern auch für Europa von ausschlaggebender Bedeutung. Damit sei aber auch die sozialer Bedeutung verbunden. Schröder sei überzeugt, dass die Beteiligung von Betriebsrat und IG Metall an zentralen Fragen die "Grundlage auch für Modernisierung und die Transformation dieses Unternehmens" ist.
Klimaziele: Schröder warnt vor Überlastung der Branche
In seiner Rede warnte der Altkanzler mit Blick auf die Debatte über verschärfte Klimaziele für die Autoindustrie vor einer Überlastung der Branche mit entsprechenden sozialen Folgen. Ein vernünftig angegangener Klimaschutz sei wichtig, die Unternehmen täten hier aber schon viel, sagte er. "Wer meint, nur mit 'Klima, Klima, Klima' darüber hinweggehen zu können, der irrt in meiner Auffassung." Die sozialen Belange der Beschäftigten seien ebenso zu respektieren.
"Was jetzt droht, ist ja gelegentlich schlimm genug"
Was die alternativen Antriebe und weitere CO2-Einsparungen im Vergleich zur Herstellung von Verbrennungsmotoren bei E-Antrieben anginge, würden etliche Arbeitsschritte entfallen. Wo Jobprofile nicht den neuen Technologien angepasst werden können, drohe Stellenabbau. Schröder sagte, es gehe um "die Schlüsselbranche in Deutschland". Mit Blick auf mögliche weitere CO2-Verschärfungen auf EU-Ebene sagte er: "Was jetzt droht, ist ja gelegentlich schlimm genug." Überspanne man den Bogen, wachse das Risiko auch gesellschaftlicher Brüche.
Weil: "Gründung aus Arbeiter-Groschen"
Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) meldete sich mit einer digitalen Grußbotschaft. Darin wies er darauf hin, dass VW eines der ersten Unternehmen nach dem Weltkrieg war, dass einen Betriebsrat gründete. Warum? "Historisch gesehen, stammen die Mittel für die Gründung von Volkswagen aus Arbeiter-Groschen. Aus den Mitteln, die Gewerkschaftsmitglieder dem Allgemeinen Gewerkschaftsbund zugeführt haben, die die Nazis zweckentfremdet haben für 'Kraft durch Freude'." Die Gründung des Betriebsrats war auch die "Grundlage für ein echtes Erfolgsrezept", wie Weil sagte.
VW will für Software-Experten attraktiv werden
"Betriebsratsarbeit bei VW beeinflusst unternehmerische Entscheidungen aktiv und treibt immer wieder eigene, innovative Lösungen voran", hatte Betriebsratschef Bernd Osterloh vor dem Jubiläum gesagt. Im Wettrennen um Digitalisierung und E-Mobilität sieht der Betriebsratschef das Unternehmen inzwischen besser gerüstet: "Ich habe keine Angst vor Elon Musk", so Osterloh im Interview mit dem NDR wörtlich. Der VW-Betriebsrat arbeitet zurzeit an einem Tarifvertrag, der Volkswagen als Arbeitgeber für Software-Experten attraktiv machen soll. Diese werden von allen Autoherstellern umworben, da die Informationstechnologie in Autos zunehmend eine Schlüsselrolle spielt.
Diess: Betriebsrat soll keine Blockadehaltung einnehmen
VW-Chef Herbert Diess hingegen forderte den Betriebsrat und das Land Niedersachsen als Großaktionär auf, beim Umbau des Konzerns zu einem führenden Anbieter klimaschonender Mobilität keine Blockadehaltung einzunehmen. "Durch die Mehrheitsverhältnisse bei Volkswagen spiele das Land Niedersachsen zusammen mit der Mitbestimmung eine besonders wichtige Rolle für wesentliche Richtungsentscheide - das gilt auch für die Besetzung von Spitzenpositionen", sagte er in einem Grußwort.
Konzern setzt auf mehr Eigenentwicklungen
Volkswagen müsse in diesem Wettbewerb nicht nur mit einem guten Gehalt, sondern vor allem mit viel Flexibilität für die Arbeitnehmer punkten, so Osterloh. Der VW-Konzern will künftig bis zu 60 Prozent seiner Software selbst entwickeln - bislang waren es rund zehn Prozent. Nicht zuletzt beim Verkaufsstart des ID.3 in diesem Jahr hatte sich gezeigt, dass es in dem Bereich Nachholbedarf gibt.
