NDR Serie: Die Klasse 9b zwischen Stoßlüften und Gebeten
Der NDR begleitet die Klasse 9b der Leonore-Goldschmidt-Schule in Hannover-Mühlenberg durch ein Schuljahr. Diesmal geht es darum, welchen Glauben die Schüler haben und wie sie ihn praktizieren.
Stoßlüften. Alle 20 Minuten. So sieht es der Corona-Maßnahmen-Katalog für niedersächsische Schulen vor. An der Leonore-Goldschmidt-Schule (IGS Mühlenberg) ist das schwierig umzusetzen. Die Klassenlehrerin der 9b, Marie Lassan, demonstriert, wo es hakt. Die Fenster im Klassenraum lassen sich gar nicht komplett öffnen, weil eine Sicherheitsschiene nur einen offenen Spalt von rund zehn Zentimetern erlaubt. Schließlich soll ja verhindert werden, dass die Schüler und Schülerinnen aus dem Fenster fallen oder springen können, erklärt Marie Lassan.
Masken rutschen gern von der Nase
Seit drei Wochen herrscht Maskenpflicht auch während des Unterrichts. Früher musste sie die Schüler zu Beginn des Unterrichts oft auffordern, ihre Mützen oder Baseball-Caps abzunehmen. Die dürfen sie jetzt auflassen, genauso wie sie ihre Jacken anbehalten können. Stattdessen muss die Klassenlehrerin jetzt alle fünf Minuten irgendjemanden daran erinnern, die Maske ordentlich aufzuziehen. "Die Masken rutschen sehr gerne von der Nase runter. Man muss wirklich darauf achten, dass sie hochgezogen bleiben und die Schüler beschweren sich, dass sie kaum Luft bekommen. Also, das ist wirklich ein Problem. Offiziell ist es erlaubt, dass man sie mal so ablupfen darf, um Luft zu kriegen oder dass man mal ans Fenster tritt und dort nochmal einen großen Zug Luft nimmt", erzählt die Klassenlehrerin. Insgesamt sind Marie Lassan und ihr Klassenlehrer-Kollege Matthias Meyer aber sehr froh, dass der Präsenzunterricht trotzdem weiterhin möglich ist.
Austausch über den Glauben
Normalerweise teilt sich die Klasse im Religionsunterricht auf. Bei dieser besonderen Doppelstunde sollen die Schülerinnen und Schüler der 9b aber in einen Austausch kommen über ihren Glauben. Was er ihnen bedeutet und wie sie ihn praktizieren. Marie Lassan hat sich dafür Verstärkung mitgebracht. Zeinab Kansour ist Muslimin. Eine kleine, zierliche Person mit Kopftuch und großen, strahlenden Augen. Die beiden sind früher zusammen zur Schule gegangen und die Freundschaft hält bis heute. Marie Lassan ist evangelische Christin und hat sich schon immer gerne mit ihrer muslimischen Freundin über Religion und Glaubensfragen ausgetauscht. Als erstes projiziert sie ein Foto von sich und Zeinab an die Tafel. Ein strahlendes Lächeln, Arm in Arm, ohne Maske. Allen tut es gut, so ein Bild zu sehen aus offensichtlich besseren Zeiten. "Boah, Frau Lassan, Sie sehen ja da genauso aus wie heute, Sie haben sich gar nicht verändert", ruft der 14-jährige Saman in den Raum.
Verschiedene Welten prallen aufeinander
Zurück zum Thema des heutigen Unterrichts. Die 9b soll sich in Kleingruppen darüber austauschen, was sie für einen Glauben haben und wie sie ihn praktizieren. Schnell wird klar, dass hier verschiedene Welten aufeinander prallen. "Ich bin nicht so wirklich religiös, also ich hab noch nie in meinem Leben gebetet", erzählt Luke in seiner Gruppe. "Ich mache das fünfmal am Tag und wenn ich es mal nicht schaffe, dann hole ich das nach, ich muss das nachholen", berichtet Hekma. Alex neben ihm nickt mit dem Kopf und ergänzt: "Wenn man Gott keine Zeit abgibt mit zum Beispiel Beten, dann gibt Gott im Notfall, wenn bei dir was passiert und du dann Hilfe brauchst, dann wird er nix machen." Hekma erklärt sich dann sogar bereit, einmal seine Gebetstechnik vor der Klasse vorzumachen. "Die Stirn berührt dabei den Boden", kommentiert Zeinab Kansour. Am Ende gibt es einen dicken Applaus der Klasse und Hekma geht sichtlich stolz zurück zu seinem Platz.
Ist ein Gebetsraum eine gute Idee?
In einem zweiten Schritt sollen die Schüler überlegen und diskutieren, inwiefern es eine gute Idee wäre, hier an der Schule einen Gebetsraum einzurichten. Und wenn ja, wie der gestaltet sein könnte. Eifrig machen sich die einzelnen Gruppen an die Arbeit, fertigen Skizzen auf großen Pappen an und verstricken sich in lebhafte Diskussionen. "Für Muslime braucht man einen bestimmten Teppich, wir haben viele davon zu Hause, ich könnte ein bis zwei mitbringen und in den Schrank legen, so Saman, der mit seiner Familie vor vier Jahren aus Syrien nach Hannover kam. "Es gibt ja bestimmte Zeiten, wann man betet, deswegen weiß ich nicht, wie das funktionieren kann, denn es kann ja nicht jeder in der Unterrichtszeit rausgehen", gibt Hannah zu bedenken und der neben ihr sitzende Leon ergänzt: "Diesen Raum sollten dann aber alle Religionen nutzen können." Alex hat da auch schon eine Idee, wie das funktionieren könnte: "Wir haben doch im NW-Raum (Naturwissenschaften-Raum) zwei Türen, die rechte ist zum Beispiel fürs Christentum und die linke für den Islam."
Ein wichtiger Schritt zu einem friedlichen Miteinander
Am Ende ist die Mehrheit dafür, einen Raum gemeinsam für alle Religionen zu haben. Denn irgendwie soll das Ganze ja was Verbindendes haben und nichts Trennendes. Eins hat diese Doppelstunde schon geschafft. Die 9b hat sich über ihre Religion und ihren Glauben ausgetauscht. Sicherlich ein wichtiger Schritt zu einem guten und friedlichen Miteinander. Genau wie es bereits in der Schulzeit von Marie Lassan und Zeinab Kansour wunderbar geklappt hat. Als die Klasse mit dem Schulgong den Raum verlässt, nehmen sich die beiden fröhlich aber vorsichtig in den Arm. Mit Maske.
Die Leonore-Goldschmidt-Schule, auch als IGS Mühlenberg bekannt, ist eine Gesamtschule im hannoverschen Stadtteil Mühlenberg. Mit 2.000 Schülern und 150 Lehrern ist sie eine der größten Schulen in Hannover.
Einmal im Monat wird der NDR im Fernsehen bei Hallo Niedersachsen, im Hörfunk bei NDR 1 Niedersachsen und online bei ndr.de/Niedersachsen über die 9b berichten.
