Razzia bei "Reichsbürgern": Polizei durchsucht Gebäude in Springe

Stand: 23.03.2023 08:36 Uhr

Sicherheitsbehörden haben bei einer Razzia gegen "Reichsbürger" bundesweit mehr als 20 Gebäude durchsucht. Auch in der Region Hannover waren Beamte im Einsatz. Jetzt gibt es Diskussionen um das Waffenrecht.

Springe war der einzige Ort in Niedersachsen, an dem die Polizei gegen mutmaßliche "Reichsbürger" vorging. Wie Nachbarn dem NDR in Niedersachsen berichteten, waren sie bereits am Mittwochmorgen um 6 Uhr angerückt. Sie durchsuchten das Gebäude eines Mannes, den Nachbarn als "offen, freundlich und zugänglich" beschreiben. Vor einigen Jahren sei er mit seiner Partnerin in einen Ortsteil von Springe gezogen, sagen die Nachbarn. Nach Informationen des NDR in Niedersachsen handelt es sich offenbar um einen pensionierten Polizisten. Die Bundesanwaltschaft verdächtigt ihn, eine "terroristische Vereinigung" unterstützt zu haben. Dabei soll es sich um dieselbe terroristische Vereinigung handeln, gegen die die Behörden bereits im Dezember ermittelten.

Videos
André Bock © Screenshot
1 Min

"Reichsbürger"-Razzia: Die Landespolitik ist in Sorge

Viele Parteien sehen in der Szene eine Bedrohung für die Demokratie - aktuell sind 30 Reichsbürger in Niedersachsen bewaffnet. (22.03.2023) 1 Min

Warum der Beschuldigte aus Springe nicht festgenommen wurde, dazu äußerte sich ein Sprecher des Generalbundesanwalts auf Anfrage des NDR in Niedersachsen nicht. Niedersachsens Polizeipräsident Axel Brockmann berichtete am Mittwoch im Innenausschuss des Niedersächsischen Landtags über den Einsatz. Die Ermittlungen dauerten an. Zu Hintergründen machte Brockmann keine Angaben. Laut einem Sprecher des Innenministeriums ist die Durchsuchung in Niedersachsen ohne Zwischenfälle abgeschlossen worden. Bundesweit durchsuchten die Behörden mehr als 20 Objekte in acht Bundesländern und in der Schweiz - darunter auch ein Gebäude im Landkreis Ludwigslust-Parchim in Mecklenburg-Vorpommern.

Schüsse verletzen Polizisten in Baden-Württemberg

In Reutlingen in Baden-Württemberg wurde ein Polizist im Zuge der Razzia verletzt, als eine Person auf die Beamten schoss. Der Beamte wurde dabei den Angaben zufolge aber nicht lebensbedrohlich verletzt. Der mutmaßliche Täter sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Weitere Festnahmen gab es laut einer Sprecherin der Bundesanwaltschaft nicht.

Neue Diskussionen über Waffenrecht

Der Vorfall in Baden-Württemberg hat erneut eine Diskussion darüber entfacht, wer Waffen besitzen darf und wer nicht. "Schon 2016 haben wir einen Hinweis an die Waffenbehörden gegeben, dass ein Reichsbürger vom Grundsatz her keine Waffen mehr haben darf", sagte Landespolizeipräsident Brockmann. Er geht von etwa 900 "Reichsbürgern" in Niedersachsen aus. Nur wenige von ihnen würden Waffen besitzen. "Wir müssen uns auch an die Gesetze halten, das ist klar und die Behörden hatten bisher nicht die Möglichkeit, bei diesen wenigen die Waffen wegzunehmen", erklärte Brockmann. Etwa 30 Reichsbürger seien in Niedersachsen noch im Besitz von Waffen, sagte André Bock, Innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Er erwartet nun von der Landesregierung, mit Hochdruck daran zu arbeiten.

Spezialeinsatzkräfte der Polizei stehen mit zwei Einsatzfahrzeugen für eine Razzia zu Reichsbürgern vor einem Hof. © NDR
AUDIO: Experte: Reichsbürger sind getrieben von Umsturz-Fantasien (23.03.2023) (6 Min)

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dringt darauf, das Waffenrecht weiter zu verschärfen. Alle, die eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragen, sollen ihre psychologische Eignung nachweisen müssen, fordert die SPD-Politikerin. Sie kündigte an, weiter entschieden gegen das Netzwerk der "Reichsbürger" vorzugehen.

Zusammenhang mit Großrazzia im Dezember

Bereits im vergangenen Dezember sind die Behörden mit einer Großrazzia in mehreren Bundesländern sowie in Österreich und Italien gegen das "Reichsbürger"-Netzwerk vorgegangen. 22 mutmaßliche Mitglieder und drei Unterstützer einer terroristischen Gruppe wurden dabei festgenommen, darunter drei Beschuldigte aus Niedersachsen. Die Razzia am Mittwoch richtete sich laut Bundesanwaltschaft gegen fünf weitere Beschuldigte. Die Personen aus Niedersachsen, Bayern, Sachsen und der Schweiz stünden im Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Zudem durchsuchte die Polizei die Räumlichkeiten von 14 weiteren Personen. Sie gelten den Angaben zufolge nicht als verdächtig, sondern tauchten als Zeugen in Chats auf.

Rund 23.000 "Reichsbürger" in Deutschland

Die mutmaßlichen Mitglieder des "Reichsbürger"-Netzwerks sollen in Deutschland einen Staatsstreich geplant haben, notfalls mit Waffengewalt. Deutschlandweit rechnete der Verfassungsschutz der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 2022 etwa 23.000 Menschen zu, 2.000 mehr als im Vorjahr. Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, Michael Lühmann, sieht in den Schüssen auf den Polizisten in Baden-Württemberg den Beweis dafür, "wie groß im Milieu der sogenannten Reichsbürger die Verachtung gegenüber unserem Rechtsstaat ist". Er fordert daher, alles dafür zu tun, "diese Netzwerke zu ermitteln und zu zerschlagen".

Weitere Informationen
Ein Mann hält ein Heft mit dem Aufdruck "Deutsches Reich - Reisepass" in der Hand. © picture alliance/dpa/Patrick Seeger Foto: Patrick Seeger
6 Min

Sozialforscher: "Reichsbürger"-Ideologie laut Studie weit verbreitet

Etwa fünf Prozent der Menschen in Deutschland stehen demnach dem Gedenkengut der "Reichsbürger" nahe. Fragen dazu an Dominik Hirndorf von der Konrad-Adenauer-Stiftung. 6 Min

Der Sitz des Niedersächsischen Verfassungsschutzes in Hannover. © picture alliance/dpa Foto: Julian Stratenschulte

Verfassungsschutz: Rechtsextremismus größte Gefahr in Niedersachsen

Das Milieu könne "enormes Potenzial" entwickeln, sagt Behördenchef Pejril. Er sieht die Entstehung einer gemischten Szene. (16.01.2023) mehr

Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) spricht in einer Pressekonferenz. © picture alliance/dpa/Julian Stratenschulte Foto: Julian Stratenschulte

Weil will "Reichsbürger" genauer beobachten lassen

Deren Verschwörung sei nur die Spitze des Eisbergs und der Verfassungsschutz in der Pflicht, sagte der Ministerpräsident. (16.12.2022) mehr

Vermummte Polizeibeamte laufen während einer Durchsuchung vor einem Gebäude entlang. © picture alliance/dpa Foto: Julian Stratenschulte

Razzia bei "Reichsbürgern": LKA suspendiert Beamten vorläufig

Unter den Beschuldigten ist ein Beamter des Landeskriminalamtes. Gegen ihn wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. (13.12.2022) mehr

Nach der Razzia gegen "Reichsbürger" bringen Polizisten eine festgenommene Person in Karlsruhe aus einem Hubschrauber der Bundespolizei. © dpa Foto: Uli Deck

Razzia bei "Reichsbürgern": Drei Festnahmen in Niedersachsen

Eine als terroristisch eingestufte Gruppe hat offenbar einen Umsturz geplant. Auch Ex-Polizist Michael F. gehört dazu. (07.12.2022) mehr

Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 22.03.2023 | 19:30 Uhr

Mehr Nachrichten aus Niedersachsen

Eine Schülerin sitzt an einem Schreibtisch und schreibt eine Abiturprüfung. © picture alliance / dpa | Roland Weihrauch Foto: Roland Weihrauch

Politik-Abitur: Teil der Prüflinge darf Klausur erneut schreiben

Wer nicht die Wahl für einen späteren Termin hatte, kann laut Kultusministerin Hamburg die Klausur am 8. Mai wiederholen. mehr