Eisengießerei in Ueckermünde © NDR Foto: NDR

Ueckermünde: Schmutzschleuder Eisengießerei?

Stand: 12.10.2020 08:24 Uhr

Verdreckte Häuser, beschädigte Autos und Lärm in der Nacht: Die Eisengießerei in Ueckermünde sorgt bei Anwohnern für Unmut. Von der zuständigen Behörde fühlen sie sich nicht ernst genommen.

von Heiko Kreft

Stephan Schmidt ist sauer. Er wohnt in Sichtweite der Eisengießerei in Ueckermünde (Landkreis Vorpommern-Greifswald) und leidet unter nächtlichem Lärm und dauerhafter Luftverschmutzung. Am Zaun seines Grundstückes hängt ein Briefkasten aus Edelstahl. Schmidt hat extra ein bisschen mehr Geld ausgegeben. Er dachte, dass auf Edelstahl kein Rost ansetzt. Ein Irrtum. Der Briefkasten ist überzogen von vielen rotbraunen Punkten. Genauso wie die Zeitungsrolle aus Plastik, die Stühle im Garten, das Hausdach und die Fenster. In seinem Garten baut Schmidt nichts mehr an: "Die Äpfel, die wir im Garten haben, die schmeißen wir alle weg. Die sind nicht genießbar. Da sind selbst in den Apfelschalen schwarze Partikel drin." Wo der Schmutz herkommt, ist für ihn klar: Von der benachbarten Eisengießerei.

300 Arbeitsplätze in strukturschwacher Region

Die Gießerei gehört seit mehreren Generationen zu Ueckermünde. Zu DDR-Zeiten produzierte sie als Volkseigener Betrieb, nach der Wende wechselten die Besitzer mehrfach. 2010 übernahm der US-Konzern MAT Foundries das Unternehmen. Die Holding betreibt weltweit sieben Gießereien. In Ueckermünde werden vor allem Teile für die Autoindustrie gefertigt. Als Rohstoff dient Altmetall. Mit rund 300 Industrie-Arbeitsplätzen ist MAT einer der wichtigsten industriellen Arbeitgeber der strukturschwachen Region. In einem Werbeclip auf YouTube präsentiert sich die Firma aufgeräumt und sauber.

Probleme mit Filteranlage

Lackschäden an Auto © NDR Foto: NDR
Anwohner meinen, der Lack ihrer Autos werde durch Schmutzpartikel der Eisengießerei in Mitleidenschaft gezogen.

Den Vorwurf, man sei in unzulässiger Weise für Luftverschmutzung verantwortlich, weist Axel Schrötter zurück. "Die installierten und genehmigten Absaugungen emittieren im Regelbetrieb zirka 30 bis 40 Prozent der genehmigten Grenzwerte", betont der Umweltbeauftragte der Firma. Da es sich um eine komplexe technische Anlagen handele, könne es aber kurzfristig zu Havarien oder Ausfällen kommen. Tatsächlich hatte die Gießerei in diesem Sommer Probleme. Das räumt MAT ein. Eine von insgesamt fünf Filteranlage war defekt. Als das Problem bei routinemäßigen Messungen entdeckt worden sei, habe man sofort gehandelt und die Anlage stillgelegt, sagt Schrötter. Mittlerweile sei alles repariert.

Bürgerinitiative (ver)zweifelt

Das nun alles wieder in Ordnung ist, glaubt Jan Maczewski nicht. Vor anderthalb Jahren gründete er eine Bürgerinitiative und kämpft seither für saubere Luft in seiner Heimatstadt. Die Luftverschmutzung sei ein grundsätzliches Problem und könne nicht auf eine einzelne, kurzzeitig defekte Filteranlage geschoben werden. Schließlich habe es die Probleme auch vorher gegeben. "Der Lack von neuen Autos ist schon nach kurzer Zeit in schlechten Zustand", berichtet Maczewski und zeigt auf einen Kleinwagen. Frisch aus der Waschanlage kommend ist das Auto nicht sauber. Auf Dach und Motorhaube haben sich Schmutzpartikel ins Metall eingefressen. "Das fässt sich an wie Schleifpapier, 120er-Körnung“, scherzt der Ueckermünder. Dabei ist ihm das Lachen längst vergangen. Zusammen mit seinen Mitstreitern hat er mehrere Bürgerforen organisiert. Auch Vertreter der Gießerei, der Stadt und der zuständigen Aufsichtsbehörde kamen. Grundsätzlich geändert habe sich die Situation aber nicht. Maczewski und seine Bürgerinitiative fühlen sich hingehalten. Auch von der Verwaltung. Immer wieder würden sie sich an Ämter wenden, aber von einer Stelle an die nächste verwiesen. Das sei frustrierend.

Sechs Luftmess-Stationen seit März

Bodo Heise vom Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburgische Seenplatte (StALU) möchte das so nicht stehen lassen. Sein Amt ist für umweltrechtliche Genehmigungen und die Kontrolle der Gießerei verantwortlich. Heise kennt die Situation in Ueckermünde und versteht den Ärger der Anwohner: "Wenn auf meinem Auto Rostflecken wären, wäre ich mit Sicherheit auch nicht begeistert. Das kann ich nachvollziehen." Das StALU nehme seine Aufsichtspflicht ernst.

Nach den gehäuften Beschwerden der Anwohner ließ die Behörde deshalb im März Luftmess-Stationen aufbauen. An sechs Standorten rund um die Gießerei stehen nun Plastikbecher. Sie sind teilweise öffentlich zugänglich und sollen Staub auffangen. Einmal im Monat werden die Becher ausgewechselt. "Wir haben die Auswertung bis zum Juli schon da. Staubmenge und Inhaltsstoffe liegen innerhalb des tolerierbaren Bereiches", berichtet Heise. Repräsentativ ist der Zeitraum von März bis Juli allerdings nicht. Wegen der Corona-Krise und den Folgen für die Automobilindustrie war die Produktion der Gießerei gedrosselt. Zudem ereignete sich die Havarie der Filteranlage im August.

Negative Folgen für andere Firmen

Anwohner diskutieren vor der Eisengießerei in Ueckermünde © NDR Foto: NDR
Die Gießerei sorgt bei Mitgliedern der Bürgerinitiative für Diskussionen.

Für Ingo Rollik ist das Einhalten von Grenzwerten auf dem Papier eher Nebensache. Er kämpft mit den praktischen Folgen real existierender Luftverschmutzung.  Die habe - gefühlt - zugenommen. Seit 70 Jahren betreibt seine Familie einen Gärtnereibetrieb. Die Gewächshäuser liegen 500 Meter Luftlinie von der Gießerei entfernt. Gerade ist Rollik nicht mit seinen Pflanzen, sondern mit Putzen beschäftigt. Auf den Glasdächern hat sich eine dicke schwarze Rußschicht abgelagert. Für den Gärtner ein echtes Problem. Bei seinen Pflanzen kommt deutlich weniger Licht an. Sie wachsen weniger gut. Für den Gärtner bedeutet das einen echten Schaden.

Zusammen mit zwei Mitarbeitern reinigt er deshalb  notgedrungen die Dachfläche. Weil der Ruß anders als normaler Schmutz besonders hartnäckig ist, brauchen sie dafür einen halben Monat. Das spezielle Reinigungsmittel schlägt mit 4.000 Euro zu Buche, sagt Rollik. Auf den Kosten bleibt er sitzen. Der Unternehmer kennt die wirtschaftliche Bedeutung der Eisengießerei für die Region. Er wünscht ihr alles Gute. Aber: "Ich hatte auch schon 'mal in einem Bürgerforum gesagt, dass wir im Prinzip in unserer Arbeit beschnitten sind." Auch Maczewski und die Mitstreiter der Bürgerinitiative sehen negative Folgen für die örtliche Wirtschaft. Immerhin sei Ueckermünde ein staatlich anerkannter Erholungsort. Schmutzige Luft könnte Urlaubern abschrecken.

Gesundheit vor Profit

Klare Worte zur Situation in Ueckermünde findet Matthias Crone. Der Bürgerbeauftragte des Landes ist seit Monaten mit dem Fall beschäftigt. "Ich halte die Lage für so ernst, dass wir jetzt schneller handeln müssen. Wir brauchen mehr Tempo, wir brauchen mehr Kontrolle", fordert Crone. Nach Aussage des Umweltministeriums in Schwerin gibt es alle drei Jahre reguläre Emissionsmessungen. Sie werden an den Schloten der Gießerei durchgeführt. Hinzu kommen anlassbezogene Messungen. Diese werden vorher angekündigt. Der Bürgerbeauftragte nahm auch Kontakt zu Umweltminister Till Backhaus (SPD) auf. Er verdeutlichte ihm die Dringlichkeit des Problems: "Wir brauchen noch mehr Präsenz von Behörden vor Ort. Gesundheit muss vorgehen vor dem Profit."

Betriebslärm soll reduziert werden

Ob allein das Messen an den Schornsteinen ein komplettes Bilder der Gießerei-Emissionen erlaubt, scheint fraglich. Auch aus den nicht immer verschlossenen Werkshallen entweichen ungefiltert Rußpartikel. Nach NDR Informationen will das StALU Mecklenburgische Seenplatte deshalb in den nächsten Tagen eine verpflichtende Schließung der Tore anordnen. Für die Anwohner hätte das einen weiteren Vorteil: Sie würden zukünftig vor dem Betriebslärm geschützt. Vor allem in den Nachtstunden überschreitet die Gießerei teilweise die gesetzlich vorgeschriebenen Werte. Das räumt der MAT-Umweltbeauftragte Schrötter ein: "Die Auswertung der Beschwerdelage zeigt, dass es unzulässige Lärmemissionen besonders nachts gibt. Dieser wird durch unkontrolliert geöffnete Tore und innerbetrieblichen Transport verursacht."

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 12.10.2020 | 19:30 Uhr

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