Schulleiterin Vera Arndt: "Gemeinsam dem Virus den Schrecken nehmen"
Zwei Jahre Corona-Pandemie, seit einem Jahr fragt der NDR Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, wie sie diese erleben, was sie beschäftigt und worüber sie sich Sorgen machen. Welche Erwartungen haben die Schulleiterin einer Schweriner Gesamtschule und eine Gymnasiastin des Goethe-Gymnasiums Ludwigslust?
Es ist kurz vor Weihnachten, als wir Schulleiterin Vera Arndt in der Gesamtschule Bertolt Brecht besuchen. Sie ist fast allein im großen roten Schulgebäude. An normalen Schultagen werden hier mehr als 700 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Aber normal ist hier schon lange nichts mehr, in der Woche vor den Festtagen gilt einmal mehr Distanzunterricht - wenn auch nur zwei Tage. Im Gebäude: überall Erinnerungen an die vergangenen beinahe zwei Jahre Corona-Krise, abgewetzte Pfeile markieren Laufwege, Superhelden-Bildchen ermahnen zum Maske-Tragen.
"Ein großer Rucksack voll sozialer Probleme"
Sie habe nicht erwartet, dass es möglich sein würde, ohne jede Unterbrechung von August bis Weihnachten zu unterrichten, sagt Vera Arndt. Wie sich die Pandemie auf die Schüler auswirken könnte, darüber hat sich die Schulleiterin und Lehrerin schon vorher gesorgt. Zum Teil haben sich die Sorgen bestätigt: Schüler gehen in letzter Zeit öfter aufeinander los, beleidigen sich, es gebe oft keine Grenze mehr zwischen Spaß und Ernst, vor allem unter den Fünft- und Sechstklässlern. "Diese Fünftklässler sind die Schüler, die in der dritten Klasse in diesem zweiten Halbjahr in der ersten Welle die Notschließung hatten mit Notbetreuung, die also auch als vierte Klasse einen ganz langen Zeitraum in Distanzunterricht, Notbetreuung und Wechselunterricht zugebracht haben", so die Schulleiterin. Gerade die dritte und vierte Klasse sei entscheidend für die Ausprägung ganz bestimmter sozialer Kompetenzen des Miteinanders.
Seit zwei Jahren keine Party
Frida Pauline Huber ist in einer zwölften Klasse am Goethe-Gymnasium Ludwigslust. Sie sitzt im gemütlichen heimischen Wohnzimmer in einem Dorf bei Schwerin und büffelt Biologie. Schon Anfang Januar schreibt sie das Vor-Abi. Ihr Wunsch, Medizin zu studieren wurde inzwischen von einer Ausbildung zur Notfallsanitäterin abgelöst. Sie sagt, immer wenn sie Rettungswagen sieht, stelle sie sich vor, mitzufahren und zu helfen. Ihre Motivation sei entsprechend hoch, einige ihrer Mitschüler der Abiturstufe seien allerdings nur noch genervt und gereizt. Zur guten Stimmung bei Frida hat sicherlich beigetragen, dass sie vor wenigen Tagen mit Familie und sogar Freunden ihren 18. Geburtstag feiern durfte - endlich mal wieder eine Party, sagt sie. "2G Plus" musste sein. In zwei Jahren habe es kaum Gelegenheiten gegeben, die Mitschüler kennenzulernen. "Das ganze Klassen- Jahrgangsklima geht total verloren. Vor zwei Jahren war es undenkbar, dass man sagt, man hat noch nie eine ganze Party mit dem Jahrgang gehabt. Und jetzt sagt man so: Hey, seit zwei Jahren kenne ich die Hälfte der Leute nicht, weil es einfach keinen Grund oder keinen Anlass gab sie kennenzulernen.“
Distanzunterricht funktioniert - Digitalisierung stockt
Mit der Pandemie kam der Distanzunterricht und der Drang, die Schularbeit und die Schularbeiten digital erledigen zu können. Anfangs hatte Schulleiterin Vera Arndt sich noch über die technikaffinen Kollegen gefreut, die dabei helfen konnten. Andere Dinge - nämlich die Ausstattung - brauchten und brauchen weiter Zeit. So gab es zwar Ipads für die Schüler sowie Zubehör und entsprechende Ladestationen, um die Geräte aufzuladen und darin zu transportieren. Aber dann gab es Meldungen, dass die Ladestationen Feuer fangen könnten - sie dürfen nicht mehr genutzt werden. Und dann trifft im Oktober noch ein Cyberangriff Schwerin und den Kreis Ludwigslust-Parchim. Der IT-Dienstleister der Schulen seitdem voll mit anderen Dingen beschäftigt - die Digitalisierung der Schule kam ins Stocken, sagt Vera Arndt. Dienst-Laptops für Lehrer fehlen zum Beispiel immer noch. Frida Huber hat da bessere Erfahrungen gemacht - digitaler Unterricht funktioniere meistens gut, auch wenn einige Lehrer immer noch Haustelefone nutzen, um ihre Schüler zu erreichen.
"Schlimmer kann es nicht werden, nur besser!"
Mit Masken und den Hygiene- und Abstandsregeln fing es an. Es folgten Tests, an der Brecht-Gesamtschule sind es Tausende jede Woche und seit einem Jahr nun auch Impfungen. Zu Beginn der Pandemie gab es ständig neue Regeln und Vorschriften aus dem Bildungsministerium. Das sei konstanter geworden, sagt Vera Arndt. Manche Regeln sorgten trotzdem für Kopfschütteln. "Auf sehr großen Unmut stieß tatsächlich die Regelung für den Dezember, dass kein Sportunterricht in der Halle stattfinden durfte, dass also Sportunterricht nur in Alltagskleidung draußen stattfinden sollte, was in einer Situation Ende November Anfang Dezember nicht gerade leicht umsetzbar ist. Da spielt eher der Spaziergang eine Rolle, weil auch Theorieunterricht in einer Doppelstunde mit einer fünften oder sechsten Klasse kaum realisierbar ist. Die Begründung war, sie würden sehr eng im Umkleideraum sein. Ja, aber sie sitzen auch eng im Kassenraum."
"Resignation ist nicht angebacht"
Es bleibt die Hoffnung - das sagen sowohl Vera Arndt als auch Frida Huber; Hoffnung darauf, dass jeder seinen Job ausüben kann, gesund und glücklich ist, sagt die Schülerin. Sie würde gern mal wieder ohne Test essen gehen, die gesammelten Konzert-Tickets einlösen und sich mit Menschen treffen, ohne sich Gedanken machen zu müssen. Für Schulleiterin Arndt ist es eine gemeinschaftliche Aufgabe. Sie hofft, dass alle gemeinsam dem Virus den Schrecken nehmen können, auch durch Auffrischungsimpfungen wie bei der Grippe. Resignation sei nicht angebracht, schlimmer könne es schließlich nicht werden. Für Frida ist erstmal das Abi wichtig, der Abschluss in greifbarer Nähe. Vera Arndt hofft darauf, dass die Schulen offen bleiben - dieses Schuljahr ist ihr letztes vor der Pensionierung.
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