Russland-Affäre: Gelingt Schwesig die Flucht nach vorn?
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) hofft auf bessere Zeiten. Anfang nächster Woche - mit dem Start in den Wonnemonat Mai - soll es Klarheit in Sachen "Stiftung Klima und Umweltschutz MV" geben. Dann wollen Landesregierung und Landtag das im März in Auftrag gegebene Rechtsgutachten präsentieren, das helfen soll, die umstrittenen Stiftung aufzulösen.
Die Studie der Hamburger Stiftungsrechtsexpertin Prof. Birgit Weitemeyer liegt längst vor. Aus der Landesregierung heißt es, Weitemeyer sehe durchaus rechtliche Möglichkeiten, die Stiftung, die sich nur vordergründig mit dem Klimaschutz beschäftigt, deren Hauptzweck aber die Fertigstellung der russische Gaspipeline Nord Stream 2 war, abzuwickeln und aufzulösen.
Stiftung als Katalysator
Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieg ist die Stiftung ein Art Symbol für den Kuschel-Kurs Schwesigs und ihrer Landesregierung mit dem Kreml. Sie sollte dafür sorgen, dass im Rahmen einer "Win-Win-Situation" möglichst schnell russisches Gas durch die zweite Ostseeröhre fließt. Putin und sein Gazprom-Konzern setzten auf neue Millionen aus dem Westen, Schwesig pries das Gas als "Brückentechnologie" für das Gelingen der Energiewende. Die Stiftung war eine Art Katalysator. Seit den ersten Bomben auf die Ukraine will Schwesig sie lieber heute als morgen dichtmachen.
Sellering macht Schwesig das Leben schwer
Doch einer wehrt sich mit Händen und Füßen und juristischer Finesse. Ausgerechnet ihr "Entdecker" und "Förderer" - Ex-Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) - macht Schwesig das Leben schwer. Sie hatte ihren Vorgänger im Januar 2021 als Stiftungschef eingesetzt. Jetzt sorgt der Mann, der sie 2008 erst zur Sozialmininisterin in Schwerin machte und der ihr dann wegen seiner Krebserkrankung 2017 das politische Erbe übertrug, für einen langen politischen Leidensweg der Regierungschefin.
Gutachten bescheinigt Stiftung quasi ewiges Bestehen
Denn Sellering wehrt sich gegen die Auflösung - ebenfalls mit einem eigenen Rechtsgutachten. Die Bochumer Jura-Professorin Katharina Uffmann hat ihrem Auftraggeber bescheinigt, dass die Stiftung quasi ewig bestehen kann, jedenfalls so lange, bis das Stiftungskapital aufgebraucht ist. Das sind 20 Millionen Euro - überwiesen vom Konto der spendablen Gazprom-Filiale Nord Stream 2. Sellering verkündete am vergangenen Freitag in einer Pressekonferenz mit diebischer Freude: "Die Auflösung ist vom Tisch". Er könne da rechtlich nichts machen, denn auch wenn er zurücktreten sollte, müsste er ja im Amt bleiben - die Satzung verpflichte ihn dazu. Die scheint eine Art perpetuum mobile mit ihm am Steuer.
Sellering ein Polit-Pensionär, der sich nicht mehr an die Linie hält
In der Landesregierung und in der SPD fürchten sie Sellerings mangelnde Einsicht und beklagen einen Starrsinn. Was Ex-Kanzler Gerhard Schröder für die Bundes-SPD ist, das scheint Sellering für die MV-SPD zu werden. Ein Polit-Pensionär, der sich nicht mehr an die Linie hält. Konkret fürchten sie, dass der gelernte Verwaltungsrichter alle rechtlichen Register zieht, um seine umstrittene Stiftung über Wasser zu halten. Die Stiftungskasse ist gut gefüllt - das Geld reicht, um nach dem Landgericht die oberen Instanzen über die nächsten Jahre zu beschäftigen und eine vom Land möglicherweise verfügte Auflösung ins Leere laufen zu lassen.
Sellering lässt sich nicht in die Karten gucken
Sellering jedenfalls wird abwechselnd intellektueller Hochmut oder juristische Abgehobenheit attestiert - auch in Umgang mit den Medien. Journalistenfragen watscht er gerne mal ab. "Das geht sie gar nichts an", blaffte er die Presse an als nach den Kosten für das Rechtsgutachten gefragt wurde. Auch sonst kommt seine Stiftung geheimniskrämerisch um die Ecke - Sellering lässt sich nicht in die Karten gucken. Dabei will seine Stiftung doch an Kitas ("Buddeln für Bäume") und an den Schulen ("Anlegen von Hofbeeten") öffentlich viel Gutes tun - das erklärte Ziel scheint nur schwer mit dem sektrierischen Vorgehen in Einklang zu bringen.
Schwesig muss sich also auf Gegenwehr einstellen. Ihr Lage wird nicht einfacher. Schon jetzt wird sie bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit zu ihrem Russland-Kurs befragt. Beispiel: Generaldebatte zum Haushalt am Montag im Landtag. Sie und ihre Koalition verkauften die Segnungen von Ferienhort bis kostenfreier Kita, CDU und FDP stellten dagegen Frage zur Klimastiftung und verlangte Aufklärung von Schwesig.
Schwesig vergleicht sich mit Willy Brandt
In der SPD zieht allmählich eine Wagenburg-Mentalität ein. "Natürlich stecken wir in einer Krise", heißt es aus der Partei. Schwesig hat auf der Fraktionssitzung am vergangenen Montag ihre Lage - so berichten Teilnehmer - mit der des ehemaligen Bundeskanzlers und Friedensnobelpreis-Trägers Willy Brandt (SPD) verglichen. Der sei für seine Ostpolitik massiv kritisiert worden und habe das durchgestanden. Auch ihr werde das gelingen.
Doch was kommt noch?
Möglicherweise muss sich Schwesig demnächst Fragen gefallen lassen, warum Investoren aus den USA so einen weiten Bogen um Mecklenburg-Vorpommern machen. Intel ist lieber nach Magdeburg gegangen als nach Schwerin, Amazon hat dem Standort Grevesmühlen/Uppahl eine Absage erteilt und Catarpillar zieht sich aus Rostock zurück. Russland schien der Landesregierung wirtschaftspolitisch näher zu sein als der Partner Amerika. Auch das könnte den Untersuchungsausschuss des Landtags beschäftigen, der im Mai eingesetzt wird.