Nord-Stream-Lecks: "Sprengladung von mehreren Hundert Kilogramm"
Dänemark und Schweden gehen davon aus, dass zur Beschädigung der Nord-Stream-Pipelines mindestens zwei Explosionen herbeigeführt wurden, die einer Stärke von Hunderten Kilogramm Sprengstoff entsprechen. Die Auswirkungen für das maritime Leben in der Ostsee seien besorgniserregend.
Seismologische Institute hätten eine Stärke von 2,3 und 2,1 gemessen, was "vermutlich einer Sprengladung von mehreren Hundert Kilogramm" entspreche, teilten Dänemark und Schweden am Freitag in einem gemeinsamen Brief an den UN-Sicherheitsrat mit. Dieser befasste sich in einer Dringlichkeitsdebatte mit den Lecks in den Pipelines.
Gazprom: Noch kein Zeitplan für Reparatur
Ein per Video zugeschalteter Sprecher des russischen Staatskonzerns Gazprom sagte in dem UN-Gremium, dass es für die Reparatur der Lecks an den Erdgas-Pipelines noch keinen Zeitplan gebe. Der Konzern habe damit begonnen, nach "möglichen Lösungen zu suchen, um das System wieder funktionsfähig zu machen". Die Dauer der Reparatur könne derzeit aber noch nicht abgeschätzt werden. Die Aufgabe sei aus technischer Hinsicht "sehr überwältigend". Solche Lecks habe es zuvor nie gegeben, so Gazprom-Sprecher Sergej Kuprijanow.
Zuvor hatten Dänemark und Schweden bekräftigt, dass alle verfügbaren Informationen darauf hindeuten würden, dass die Explosionen an den Pipelines vorsätzlich herbeigeführt worden seien. Am Donnerstag war bekannt geworden, dass es insgesamt vier Lecks gibt. Zuvor war von nur drei Lecks ausgegangen worden.
Gas-Austrittsstellen mit Radien zwischen 200 und 900 Metern
Je zwei Lecks seien in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen der beiden skandinavischen Länder entstanden. Diese hatten zu blubbernden Gas-Teppichen auf der Wasseroberfläche geführt. In schwedischen Gewässern hätten diese einen Radius von rund 900 und 200 Metern gehabt, auf dänischer Seite von rund 555 beziehungsweise 680 Metern. Die schwedische Küstenwache teilte mit, dass sich der Gas-Austritt an einem Leck an Nord Stream 2 verringert habe. Bei einer Schadstelle an Nord Stream 1 gebe es hingegen keine Anzeichen einer Abschwächung. In dem dänisch-schwedischen Bericht heißt es, "die möglichen Auswirkungen auf das maritime Leben in der Ostsee ist besorgniserregend". Die Klimafolgen seien "wahrscheinlich sehr erheblich".
Gasaustritt könnte Sonntag enden
Der Betreiber von Nord Stream 1 sei zu der Einschätzung gekommen, dass der Gas-Austritt an der Pipeline bis zum 2. Oktober anhalten werde. Eine ähnliche Einschätzung zu Nord Stream 2 stehe noch aus. Ein Ende des Gasaustritts gilt unter Experten als Voraussetzung, um an den Schadstellen gründliche Untersuchungen durchführen zu können. Bekannt ist, dass die Röhren der beiden Ostseepipelines unterschiedlich dicke Wandstärken haben. Diese sind auf russischer Seite, wo das Druckniveau am höchsten ist, am stärksten und nehmen dann mit dem Druck zur deutschen Seite hin ab. Die Sprengungen sind in dem Gebiet registriert worden, wo die Wandstärken am dünnsten waren.
Wirtschaftsexpertin Kemfert warnt vor Energiekrieg
Wirtschaftexperten warnen unterdessen vor einem fossilen Energiekrieg. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sprach gegenüber dem NDR von einer "geostrategischen Waffe". Solche Angriffe auf kritische Infrastrukturen wie Kernkraftwerke, Stadtwerke oder Strom- und Versorgungsleitungen könnten ihrer Meinung nach zunehmen. Die Regierungen in ganz Europa seien in der Pflicht, den Schutz der europäischen Energie-Infrastruktur zu verstärken.
Putin annektiert ukrainische Gebiete - und macht Westen für Gas-Lecks verantwortlich
Derweil machte der russische Präsident Wladimir Putin am Freitag westliche Staaten für die Lecks verantwortlich. "Sie sind zu Sabotage übergegangen. Unglaublich, aber wahr. Indem sie Explosionen an den internationalen Gas-Leitungen Nord Stream organisiert haben, haben sie faktisch mit der Zerstörung der gemeinsamen europäischen Energie-Infrastruktur begonnen", sagte Putin in Moskau bei einer Zeremonie zur Annexion von vier ukrainischen Gebieten. Entsprechende Andeutungen hatten die USA bereits als "lächerlich" zurückgewiesen. Für Experten verdichteten sich zuletzt Hinweise auf Russland als Urheber der Lecks.