Linken-Kommunalpolitiker Tobias Hecht © Die Linke Mecklenburgische Seenplatte Foto: Die Linke Mecklenburgische Seenplatte

Neue Vorwürfe: In Neubrandenburg kungeln die Linken mit der AfD

Stand: 27.09.2022 11:44 Uhr

Der ehemalige Kreis-Chef der Linken an der Mecklenburgischen Seenplatte, Tobias Hecht, hat seinen Austritt aus der Fraktion verkündet. Bundesschiedskommission der Linken hat keine Parteiausschlussverfahren gegen Neubrandenburger Genossen eingeleitet. 

von Thomas Köhler, NDR 1 Radio MV

Der ehemalige Kreisvorsitzende (2018 bis 2021) der Partei Die Linke der Mecklenburgischen Seenplatte, Tobias Hecht, hat der Links-Fraktion im Kreistag den Rücken gekehrt und arbeitet ab sofort fraktionslos weiter. Seinen Austritt begründete der 45-Jährige mit den unhaltbaren Zuständen in der Linksfraktion der Stadtvertretung Neubrandenburg. Sie stellt mit Renate Klopsch (bis September 2022 Vorsitzende des Sozialausschusses des Kreises) und Dieter Kowalick (Geschäftsführer der Fraktion) auch im Kreistag einflussreiche Funktionäre.  

Bundesschiedskommission: Keine Ausschlussverfahren

Die Bundesschiedskommission der Linkspartei teilte unterdessen über einen Anwalt mit, dass es keine Parteiausschlussverfahren gegen Mitglieder der Linken in Neubrandenburg gebe.  

Zuvor hatte bereits die Co-Vorsitzende der Linkspartei des Kreises ihr Amt zur Verfügung gestellt. Amina Kanew trat zugleich aus der Links-Fraktion der Neubrandenburger Stadtvertretung aus. Offenbar dürften die Gründe in allen Fällen in der politischen Arbeit der Linken in der Stadtvertretung Neubrandenburg zu finden sein, die nach Auffassung unter anderem von Hecht und Kanew mehrfach gegen den Grundsatz verstoßen haben, "keine Stimme der AfD", wie Linken-Landeschef Peter Ritter formulierte.  

"Ostfriesen-Bündnis" aus Linken, CDU und AfD

Linken-Kommunalpolitiker Tobias Hecht © Die Linke Mecklenburgische Seenplatte Foto: Die Linke Mecklenburgische Seenplatte
Beklagt "schmutzige Geschäfte" und "nationalistische Tendenzen" bei Neubrandenburger Linken: Ex-Linke-Kreisvorsitzender Tobias Hecht.

Nachdem Linke und CDU in Neubrandenburg bei den Kommunalwahlen 2019 erstmals eine jahrzehntelange gemeinsame Mehrheit in der Stadtvertretung verloren hatten, bildete sich im Fortgang eine auch umgangssprachlich als "Ostfriesen-Bündnis" bezeichnete Mehrheit aus Linken, CDU und AfD. Hecht und Kanew gelten als linientreue Linke und sind überzeugt, dass es hinter den Kulissen dazu auch Absprachen gegeben habe.

Die rot-schwarz-blaue (Farben der ostfriesischen Fahne) Mehrheit erreichte einen Höhepunkt 2021 im Streit um den Wahltermin des Oberbürgermeisters. OB Silvio Witt (parteilos) war in mehreren Radio-Interviews vorgeprescht und hatte eine verbundene Wahl mit Bundes- und Landtag vorgeschlagen. Den Streit um den Termin gewannen CDU, Linke und AfD gemeinsam gegen SPD und Grüne, so dass nicht im September 2021, sondern im Januar 2022 gewählt wurde. Der Streit rutschte punktuell bis unter die Gürtellinie, als aus der Fraktion der CDU die Anmerkung kam, man habe "Respekt vor dem Amt des Oberbürgermeisters, nicht aber vor der Person", die dieses Amt bekleide. Gleichzeitig kursierten in den sozialen Medien Posts, die den Oberbürgermeister unter anderem als "Bob den Baumeister" hinstellten.

Wirbel um Witts Wiederwahl als OB

Nachdem sich nur ein Gegenkandidat aufstellen ließ, gewann Witt die Wahl mit 87,5 Prozent. Daraufhin gab es einen Einspruch, weil Witt unter anderem seine private Facebook-Seite mit der Telefonnummer des Rathauses versehen hatte. Nach der Stellungnahme Witts betrachtete der Einspruchsführer die Sache als erledigt. Nicht jedoch der vom Linken Dieter Kowalick geführte Wahlprüfungsausschuss, der ein Gutachten erstellen ließ, das die Rechtmäßigkeit der Wahl feststellte.

Dadurch konnte Witt seine zweite Amtszeit erst mit einmonatiger Verspätung antreten. Unmittelbar vor seiner Ernennung erhob sich in der Sitzung der Stadtvertretung die Vize-Präsidentin Renate Klopsch (Linke) und verlas in Namen der gesamten Stadtvertretung eine Erklärung über mobbing-ähnliche Zustände in der Neubrandenburger Rathausspitze, die den Festakt zur Ernennung des Oberbürgermeisters überlagerten und von den anwesenden Freunden und Familienmitgliedern Witts mit entsetzten Blicken quittiert wurden. Nur SPD und Grüne wussten vorab von dieser Erklärung nichts.

CDU-Fraktion zerbricht am Streit um OB Witt

Anschließend legte Stadtpräsident Dieter Stegemann (CDU) sein Amt nieder, die CDU-Fraktion zerbrach am Streit, ob es angemessen sei, sich bei Witt zu entschuldigen. Jene, die das nicht wollten, verließen die CDU-Fraktion und gründeten die Fraktion "Bürger für Neubrandenburg". Dieser Fraktion gehören unter anderem die Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses des Kreises, Diana Kuhk, der dienstälteste Ratsherr, der Malermeister Hans-Jürgen Schwanke und der Hotelier Marco Messner an. Gegen diese drei CDU-Mitglieder wurde vom Kreisvorstand ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Der aus der AfD-Fraktion ausgeschlossene parteilose Kurt Kadow ist jetzt Vize-Chef der Fraktion "Bürger für Neubrandenburg", die mit dem ehemaligen Leistungssportler Tim Großmüller (42) auch einen in Neubrandenburg gut vernetzten Unternehmer als sachkundigen Einwohner gewinnen konnte. Großmüller posierte in diesem Sommer am Vorabend des Landesparteitages der AfD gemeinsam mit dem von der AfD selbst als rechtsextrem eingestuften Andreas Kalbitz (parteilos) auf einem Werbefoto der AfD Vorpommern-Rügen.  

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OB Witt sieht Ansehen der Stadt geschädigt

Unterdessen wartet Oberbürgermeister Witt fünf Monate nach dem Eklat bei seiner Ernennung immer noch auf eine Entschuldigung. Weniger, weil er sich persönlich gekränkt fühle, sondern mehr, weil die Stadtvertretung dem Ansehen der Stadt erheblich geschadet habe. Die Frau aus der Rathausspitze, die angeblich gemobbt wurde, gab es den Ratsfrauen und -herren schriftlich, dass alle in den Raum gestellten Behauptungen nicht stimmen würden. 22 leitende Mitarbeiter des Rathauses gaben ihrer Spitze die schriftliche Versicherung, niemals Mobbing im Rathaus verspürt zu haben. Diese Informationen liegen den Fraktionen schriftlich seit fünf Monaten vor. Im November wollen sie sich in einer Kirche an einen runden Tisch setzen und Tacheles reden.  

Ex-Linken-Kreischef Hecht beklagt "schmutzige Geschäfte" und "nationalistische Tendenzen" bei den Linken

Dem nun aus der Linken-Kreistagsfraktion ausgetretenen Tobias Hecht dauerte diese Zeit des Schweigens und Nichtstuns zu lange, weil ihm die "schmutzigen Geschäfte" und "nationalistischen Tendenzen" der Neubrandenburger Parteigenossen zuwider seien. Die inzwischen aus der Linkspartei ausgetretene Renate Klopsch hatte erst kürzlich an Bundeskanzler Olaf Scholz in Donald-Trump-Manier gepostet: "German people first". Da wurden bei Hecht Erinnerungen an den Ruf der AfD-Bundessprecherin Alice Weidel wach: "Unser Land zuerst".


27.09.2022 11:40 Uhr

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung des Beitrags war von mehreren Parteiausschlussverfahren durch die Bundesschiedskommission die Rede. Nach einem anwaltlichen Schreiben der Linkspartei, wurde diese Passage angepasst.

 

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 26.09.2022 | 07:00 Uhr

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