Nach Applaus & Corona-Prämie: Wie geht es weiter mit der Pflege?
Steuert die Pflege auf eine Katastrophe zu? Beim NDR in MV war am Donnerstag Tag der Pflege. Wir berichten über Anerkennung, Bezahlung, Hintergründe. Experten haben Ihre Fragen beantwortet.
Mehr als 103.000 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern sind pflegebedürftig (Stand: 2019). Der größte Teil, rund 80.000 Kinder und Erwachsene, werden zu Hause von Angehörigen und ambulanten Pflegekräften versorgt, der kleinere Teil, rund 20.000 Personen wird in den fast 260 Heimen in Mecklenburg-Vorpommern von rund 17.000 Pflegekräften gepflegt.
Schlechte Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche
Die Pflegebranche kämpft seit Jahren mit den schlechten Arbeitsbedingungen: Die Gehälter gelten als niedrig, die Arbeitsbedingungen als hart. Zusätzlich kommen immer wieder Fälle ans Licht, bei denen Heimbewohner und Bewohnerinnen schlecht versorgt werden. Zuletzt berichtete der NDR MV von einer Einrichtung in Schwerin-Neumühle, der ein Bußgeld in Höhe von 10.000 Euro droht, weil das Haus überbelegt war. Mitarbeitende selbst waren an die Öffentlichkeit gegangen.
Die Probleme in der Pflege verschärfen sich
Mehrere Dinge verschärfen die Probleme im Bereich der Alten- und Krankenpflege: Fachkräftemangel gehört dazu, denn wegen der Arbeitsbedingungen zieht es immer weniger junge Menschen in die Pflege. Viele junge Erwachsene beenden außerdem ihre Ausbildung in den Pflegeberufen nicht. Mit mehr Geld für die Pflege ließe sich außerdem der Betreuungsschlüssel in den Einrichtungen verbessern.
Letzte Reform vor fünf Jahren: Das Pflegestärkungsgesetz
Die größte Baustelle im Bereich der Pflege ist und bleibt jedoch die Finanzierung. Mit der Reform der Pflege vor fünf Jahren, dem sogenannten Pflegestärkungsgesetz, hat sich daran kaum etwas geändert. Mit der im Pflegestärkungsgesetz geänderten Einstufung der Pflegebedürftigkeit gelten heute weit mehr Menschen als pflegebedürftig als zuvor. Beispielsweise fielen demente Personen zuvor durchs Raster, weil sie meist als körperlich fit galten. Seit der Reform wird differenzierter begutachtet, neben der Mobilität spielt zum Beispiel auch Kommunikationsfähigkeit eine Rolle.
Aus Pflegestufen wurden Pflegegrade, deren Kosten unabhängig vom Grad der Pflegebedürftigkeit anteilig von der Pflegeversicherung übernommen werden. Dieser Eigenanteil lag im vergangenen Jahr bei 1.606,79 Euro und soll im kommenden Jahr steigen. Damit werden die Kosten für die Unterkunft und die Verpflegung, die Ausbildungsumlage, die Investitionskosten und auch ein Teil der eigentlichen Pflegekosten gedeckt. Dem gegenüber steht die durchschnittliche Rente, die in Mecklenburg-Vorpommern bei rund 1.700 Euro liegt. Demnach bleiben einem Bewohner eines Pflegeheims nach Zahlung der Kosten für den Heimplatz nicht einmal mehr ganz 100 Euro im Monat. Mit mehr Geld für die Pflege ließe sich außerdem der Betreuungsschlüssel in den Einrichtungen verbessern.
Erste Schritte hat die Politik getan
Verschärft wurde die angespannte Situation in der Pflege zuletzt in der Corona-Pandemie. Pflegekräfte bekamen Beifall, einige Pflegekräfte haben in den vergangenen Monaten außerdem eine Corona-Prämie bekommen. Der Mindestlohn für Pflegekräfte ist erhöht worden. Wer sich für einen Job in der Pflege entscheidet, zahlt für die Ausbildung kein Schulgeld mehr. Mit dem Pflegeberufe-Gesetz von 2020 wurde auch die Ausbildung modernisiert.
"Steuern sehenden Auges auf eine Pflegekatastrophe zu"
Diese Maßnahmen würden aber nicht reichen, finden Fachleute. "Wir steuern sehenden Auges auf eine humanitäre Pflegekatastrophe zu", sagt Christine Vogler, die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, dem Dachverband der Branche. Sie fordert, das Pflegesystem in Gänze auf den Prüfstand zu stellen. Damit der Beruf eine Zukunft habe, brauche es unter anderem bessere Arbeitsbedingungen und erweiterte Kompetenzen für Pflegende.
Präsidentin des Deutschen Pflegerates: "erwarte konsequentes Handeln der Politik"
Bei NDR MV Live forderte Vogler unter anderem höhere Löhne für Pflegefachkräfte im Nordosten. Ein durchschnittliches Einstiegsgehalt von 1.900 Euro Brutto in Mecklenburg-Vorpommern würden dem Grad der Arbeitsbelastung und Verantwortung in dieser Branche nicht gerecht. Im Südwesten läge das Einstiegsgehalt teilweise um 1.200 Euro höher. Vogler sprach sich mit Blick auf das im Nordosten ebenfalls niedrigere Rentenniveau außerdem dafür aus, die Zuzahlung für Pflegebewohner zu deckeln.
Man müsse darüber diskutieren, ob der Kostenanteil der über dem Eigenanteil liege, dann von der Pflegeversicherung übernommen würde, oder wie eine mögliche Querfinanzierung aussehen könnte. Sie "erwarte ein konsequentes Handeln der Politik", das ausschließlich die "Versorgung der Menschen" in den Mittelpunkt stelle.
Pflegefachleute beim NDR Mecklenburg-Vorpommern
Diese Ansprechpartner waren bei uns im Studio:
- Diane Hollenbach, Leiterin des Geschäftsbereichs Pflegeversicherung im Medizinischen Dienst MV
- Andreas Nath, Sozialberater Pflegestützpunkt Güstrow
- Kerstin Ehlert, Pflegeberaterin aus dem Pflegestützpunkt Ludwigslust
