Im Hafen von Mukran auf Rügen lagern noch Rohre für die Ostseepipeline Nord Stream 2. © dpa-Bildfunk Foto: Stefan Sauer/

MV bringt Stiftung für Nord Stream 2 auf den Weg

Stand: 06.01.2021 17:34 Uhr

Im zweiten Anlauf soll es klappen: Mit einer Landesstiftung will Mecklenburg-Vorpommern die Nord Stream 2 Pipeline zu Ende bauen lassen - und drohende US-Sanktionen ins Leere laufen lassen.

von Stefan Ludmann, NDR 1 Radio MV

Mit fast anderthalb Monaten Verspätung kommt sie jetzt doch: Die rot-schwarze Landesregierung will mit einer landeseigenen Stiftung "Klimaschutz MV" die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 vor dem Aus bewahren. Erste Pläne dazu wurden bereits Ende November öffentlich, dann aber wieder überraschend schnell zu den Akten gelegt. Die Ministerrunde unter Leitung von Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) hat die Stiftung am Mittwochnachmittag auf den Weg gebracht, damit sie dann am Donnerstag vom Landtag beschlossen werden kann - in einer Sondersitzung zur aktuellen Corona-Lage.

USA drohen beteiligten Firmen mit Sanktionen

Mit der Stiftung unternimmt die Landesregierung einen erneuten Rettungsversuch, denn es wird eng für das fast fertiggestellte deutsch-russische Röhren-Projekt. Die USA drohen allen beteiligten Firmen massive Sanktionen und Strafmaßnahmen an. Eine Drohung, die wirkt: Aktuell hat sich ein norwegisches Unternehmen aus dem Projekt zurückgezogen. Es kontrollierte die Verlegung der Rohre und zertifizierte die Arbeiten. Das ist wichtig für die Zulassung der Pipeline. Jetzt machen die Norweger nicht mehr mit. Die geplante Stiftung soll den USA den Wind aus den Segeln nehmen, ihre Androhungen sollen ins Leere laufen.

Stiftung soll Baumaterial kaufen und dann weitergeben

In den vergangenen Wochen haben vor allem Staatskanzleichef Heiko Geue und Energieminister Christian Pegel (beide SPD) an der Idee gebastelt. Danach soll die Stiftung wichtige Bau-Materialen und Waren wie Maschinen selbst einkaufen und den beteiligten Firmen für den Weiterbau der Pipeline dann zur Verfügung stellen. Pegel sprach am Mittwochnachmittag in einer Pressekonferenz von einer "Baumarktregal-Variante". Über diesen Umweg eines Zentraleinkaufs sollen die Firmen rechtlich vor Sanktionen geschützt werden, denn sie würden die Waren nicht selbst erwerben. Ob das funktioniert, scheint fraglich. Pegel sagte, ob mit der Stiftung tatsächlich die Pipeline zu Ende gebaut werden könne, "liegt nicht in ihrer Hand". Allerdings wird davon ausgegangen, dass nicht alle Firmen unter verhängten Sanktionen leiden, da sie keine Geschäfte mit den USA oder US-Firmen machen.

An einen direkten Einstieg der Stiftung in Bau und Betrieb des 11-Milliarden Euro schweren Pipeline-Projekts ist nicht gedacht. Das bleibt in der Hand des Nord Stream 2 Konsortiums mit dem russischen Energie-Konzern Gazprom. Ministerpräsidentin Schwesig warb für das Vorhaben. Die Stiftung könne zur Fertigstellung beitragen. Die Frage bleibt, warum die Russen nicht selbst ein ähnlichen "Sanktions-Schutzschirm" auf den Weg bringen.

Gas als wertvolle "Brückentechnologie"

Das Stiftungskapital aus Landesmitteln beträgt 200.000 Euro. Das Nord-Stream-2-Konsortium schießt nach Angaben aus Fraktionskreisen ein Vielfaches dazu - insgesamt geht es um rund 60 Millionen Euro für Umwelt- und Klimaschutz-Vorhaben. Der Umwelt- und Klimaschutzgedanke gehört zur Leitidee der Stiftung. In einem Koalitions-Antrag für den Landtag werden allerdings keine konkrete Vorhaben benannt, die Ziele werden eher vage formuliert. Die Pipeline wird dabei als besonderer Beitrag zur Energiesicherung und "Brückentechnologie" herausgestellt. So soll der Stiftungszweck - die Fertigstellung der Pipeline - begründet werden. Die Argumentation ist: Solange erneuerbare Energien nicht ausreichend zur Verfügung stehen, ist eine Art Absicherung der Energieversorgung nötig - durch das Gas aus der Pipeline. Mit dieser Absicherung im Rücken könne der Ausbau vor allem von Wind- und Solarstrom vorangetrieben werden. Außerdem müsse verhindert werden, dass vor den Landesgrenzen eine Investitionsruine entstehe - wenn die Pipeline nicht zu Ende gebaut wird.

Bund will sich heraushalten

Der Bund soll seine Bedenken gegen die Stiftung aufgegeben haben. Allerdings, so heißt es aus der Koalition, werde die Bundesregierung das Projekt auch nicht vorantreiben. Es bleibt bei einem Alleingang des Landes. Das zeigt auch die Personalauswahl für die Leitung: Ehrenamtlicher Stiftungsvorsitzender wird Ex-Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), im Vorstand arbeiten auch der ehemalige CDU-Europaabgeordnete Werner Kuhn und die Greifswalder Unternehmerin Katja Enderlein.

Scharfe Kritik von Umwelthilfe und BUND

Das Vorhaben der Koalition stößt inzwischen auf deutliche Kritik. Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner, bezeichnete die Stiftung als "Tarnorganisation", die nur dem Weiterbau der Pipeline diene. Schwesig mache sich damit zur "Gaslobbyistin". Sie besitze außerdem die "Frechheit", die Stiftung mit dem Begriff Klimaschutz zu verschleiern, obwohl sie mit Klimaschutz nichts zu tun habe. Die Stiftung sei kein Klimaschutz-Projekt, sondern sie feuere die Klimakrise weiter an.

Weitere Kritik kommt vom Landesverband des BUND. Die Verknüpfung einer Klimaschutz-Stiftung mit dem Bau einer Erdgaspipeline sei ein "Widersprich an sich", so Landesgeschäftsführerin Corinna Cwielag. Die Landesregierung müsse endlich aktiv etwas für den Klimaschutz unternehmen. Heizungen in Gebäuden müssten viel mehr mit erneuerbaren Energien betrieben werden, da spiele Gas noch eine zu große Rolle.

Grüne: "Fast verlogenes" Projekt

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Claudia Müller aus Stralsund nannte die Stiftung eine "Mogelpackung". Unter dem Deckmantel des Klimaschutzes eine Pipeline zu fördern, die auf fossile und umweltschädliche Energieträger setze, sei "fast verlogen". Die jetzigen Kapazitäten würden für die Energiesicherheit ausreichen, die Pipeline sei nicht nötig. Fraglich sei, warum die Landesregierung hier die Interessen eines großen Konsortiums wahrnehme, so Müller.

AfD: Pipeline sei notwendig

Anders reagierte die AfD: Der Chef der Landtagsfraktion, Nikolaus Kramer, erklärte, Gas sei wichtig, der Energiebedarf könne durch Wind- oder Solarstrom nicht abgedeckt werden. Deshalb sei auch die Pipeline nötig. Ob die geplante Stiftung der richtige Weg sei, deren Fertigstellung abzusichern, "wage ich zu bezweifeln", erklärte Kramer. Er sieht rechtliche Probleme, außerdem habe die Landesregierung ihre Pläne "intransparent" über die Bühne gebracht.

SPD im Landtag verteidigt das Vorhaben

Die SPD-Landtagsfraktion verteidigte dagegen das Vorhaben. Es sei wichtig, dass der Umwelt- und Klimaschutz vorangebracht werde, so der parlamentarische Geschäftsführer Jochen Schulte. Seine Fraktion unterstützte das Vorgehen von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. "Wichtig ist zudem, dass auch unsere am Bau beteiligten Unternehmen gegen die völkerrechtswidrigen und weitreichenden US-Sanktionsandrohungen geschützt werden", heißt es mit einem USA-kritischen Unterton.

Zustimmung von CDU und Linksfraktion

CDU-Fraktionschef Wolfgang Waldmüller äußerte sich zurückhaltender. Waldmüller stellte fest, dass der Bau der Pipeline ein "erklärtes Ziel des Landes" sei. Eine Stiftung, die dazu beiträge, den Pipelinebau vor Sanktionen zu schützen, nannte er "einen konsequenter Schritt." Beifall kommt auch von der Linksfraktion. Deren Energieexpertin Mignon Schwencke erklärte, Gas als "Brückentechnologie" sei auf dem Weg zu 100 Prozent erneuerbarer Energien nötig. Deshalb müsse auch die Pipeline fertig werden. "Wenn das durch die Gründung einer Stiftung gelingt, dann wird die Linksfraktion diesen Weg mitgehen."

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Mittagsschau kompakt | 06.01.2021 | 12:00 Uhr

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