Lösung im Streit um Corona-Listen für Polizei in MV?
von Stefan Ludmann, NDR 1 Radio MV

Nach heftiger Kritik an der Weitergabe von Listen mit Corona-Infizierten an die Polizei deutet sich ein Umsteuern der Behörden an. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte, es gebe noch einmal Beratungen der beteiligten Ministerien für Gesundheit und Inneres mit den Kommunen. Auslöser ist eine Anweisung von Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) an die Gesundheitsämter der sechs Landkreise und der kreisfreien Städte Rostock und Schwerin, Adressen und Wohnorte von Corona-Infizierten an die beiden Polizeipräsidien weiterzuleiten. Es gehe um Gefahrenabwehr und den Schutz der Beamten im Einsatz, so die Begründung.
Verschiedene Vorschläge werden diskutiert
Das Thema spielte auch im Kabinett eine Rolle - offenbar war Schwesigs Staatskanzlei nicht in das Vorgehen der beiden CDU-geführten Ressorts eingebunden. Schwesig meinte danach: "Es ist wichtig den Schutz der Polizisten zu garantieren, dafür gibt es verschiedene Vorschläge, die gerade diskutiert werden". Es sei gut, dass diese Beratungen weitergingen.
Verstoß gegen ärztliche Schweigepflicht?
Schwesig reagiert mit der Äußerung auch auf massive Kritik: Der Präsident der Ärztekammer in Mecklenburg-Vorpommern, Andreas Crusius, zweifelt an dem Sinn der Anweisung. Die Amtsärzte seien rund um die Uhr zu erreichen. Wenn die Polizei dringend Auskunft brauche, lasse sich das im Einzelfall erledigen. Crusius sieht in dem Vorgehen vor allem einen Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht. Es sei kein gesetzlicher Notstand ausgerufen, der das rechtfertigen würde. Der Ärztekammer-Präsident verweist außerdem auf den großen bürokratischen Aufwand. Die Gesundheitsämter hätten anderes zu tun als jetzt aufwendig Patientenlisten zu erstellen.
Auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Reinhold übt Kritik
Kritisch sieht die Praxis auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Hagen Reinhold aus Barth. Reinhold ist selbst an Covid-19 erkrankt gewesen. Er warnte davor, Krankheitsangaben einfach weiterzugeben. "Wenn wir heute mit Covid-19 anfangen, was kommt als nächstes?", fragte Reinhold. Der Bundestagsabgeordnete sieht eine Gefahr der Stigmatisierung der Betroffenen in der Öffentlichkeit: "Den Ball dürfen wir nicht lostreten."
Hansestadt Rostock will Weisung nicht umsetzen
Die Hansestadt Rostock wird die Order Glawes nicht umsetzen. Gesundheitssenator Steffen Bockhahn (Die Linke) sagte, die Anweisung sei rechtswidrig, weil sie ein Auskunftsersuchen für eine Gruppe stelle, dieses Auskunftsersuchen sei aber nur für einzelne Personen möglich, so Bockhahn. Er erinnerte an Vorgänge aus der Vergangenheit: Auf dem Höhepunkt der HIV-Infektionen in den 80iger Jahren seien Patientendaten öffentlich verbreitet worden. "Dieser Missbrauch hat ganz viel persönliches Leid verursacht, wir sollten genau überlegen, ob wir so etwas noch mal wollen."
Listen von Influenzapatienten werden nicht weitergereicht
Bockhahn erklärte, in Einzelfällen seien die Gesundheitsämter jederzeit auskunftsbereit, auch um Fragen der Polizei zu beantworten. Er könne den Wunsch der Beamten zwar verstehen, jedes Ansteckungsrisiko zu vermeiden. Es gebe aber andere meldepflichtigen Infektionen die, wie das Corona-Virus, über den gleichen Weg - Tröpfchen - übertragen würden, beispielsweise Influenza oder Masern. Auch in diesen Fälle würden keine Patienten-Listen an die Polizei weitergereicht.
Auch keine Daten aus Ludwigslust-Parchim
Bedenken hat auch der Landrat von Ludwigslust-Parchim, Stefan Sternberg (SPD). Sein Landkreis gibt vorerst keine Patienten-Daten an die Polizei weiter. Sternberg sagte, es gebe Gespräche für eine "gute Lösung", die die Rechte des Einzelnen wahre und der Polizei "im Risikofall" die Möglichkeit gebe, die Lage abschätzen zu können. Sein Landrats-Kollege in Vorpommern-Rügen, Stefan Kerth (SPD), wird die Anweisung ebenfalls nicht befolgen - er sieht die Gefahr, dass sich Infizierte nicht mehr bei den Ärzten melden, um eine Datenweitergabe an die Polizei zu vermeiden.
Datenschutzbeauftrager ist für Datenweitergabe
Landes-Datenschützer Heinz Müller verteidigte noch einmal seine Zustimmung zu der Praxis. Der Schutz der Patientenrechte sei dabei gegen die "lebenswichtigen Interessen der Beamten" im Einsatz abgewogen worden. "Vom Grundsatz her ist die Übermittlung der Daten an die Polizei zulässig." Man müsse sich einmal vorstellen, so Müller, ein Polizist infiziere sich im Einsatz, nur weil er über eine Erkrankung seines Gegenübers nicht informiert war. Die Entscheidung sei ihm nicht leichtgefallen, und Bedenken bleiben auch bei Müller: Die Polizei müsse schon darauf gucken, dass die Listen "nicht in der Straßenbahn rumliegen". Die Listen der Corona-Infizierten gehen gehen per E-Mail an einen vergleichsweise großen Verteiler - an die Einsatzleitstellen der Polizeipräsidien.
Keine landesweit einheitliche Regelung
Das soll vorerst auch so bleiben. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums bestätigte zwar, dass es zu der Regelung noch einmal Gespräche geben werde, bis dahin aber gelte die Anweisung weiter. Das Ministerium beruft sich auf das Sicherheits- und Ordungsgesetz, danach sei ein Austausch von personenbezogenen Daten zwischen den Ordnungsbehörden möglich. Landkreise wie Nordwestmecklenburg, die Mecklenburgische Seenplatte oder der Landkreis Rostock sehen sich an die Anweisung gebunden und geben die Daten weiter. Eine einheitlich landesweite Regelung ist damit nicht gegeben.
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