Die rätselhafte Frau Kirakosjan
Sie wäre die nächste Nachrückerin für die SPD im Landtag in Schwerin gewesen, jetzt aber verzichtete Gayane Kirakosjan auf ihren Listenplatz. Denn wie Recherchen des NDR ergaben, zeigte sie in sozialen Netzwerken offen Sympathien für russische Autokraten und armenische Nationalisten. Interessiert hat das anscheinend aber niemanden bei den Sozialdemokraten Mecklenburg-Vorpommerns. Wie konnte sie zur Landtagskandidatin aufsteigen?
Gayane Kirakosjan, Jahrgang 1967, habe beste Beziehungen zur SPD-Spitze in Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere zu Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, sagt uns ein sozialdemokratischer Kommunalpolitiker, der anonym bleiben möchte. Schwesig halte "die Hand schützend über sie". Die ganze Geschichte sei mysteriös, Kirakosjan sei irgendwann einmal in Schwerin aufgetaucht, wie aus dem Nichts. Auch ein weiterer renommierter Schweriner Kommunalpolitiker meint, dass die "Frau nicht sauber" sei. Auf jeden Fall war die Politikerin mit armenischen Wurzeln sehr aktiv bei Instagram oder auch auf Facebook. Dort hatte sie sogar zwei Profile - eines als SPD-Politikerin und ein privates. Vor allem in letzterem postete sie seit 2014 Fotos und Kommentare, die aus heutiger Sicht brisant waren.
Brisante Facebook-Kommentare
Die Betonung liegt auf "waren", denn am vergangenen Sonnabend löschte Kirakosjan die Einträge ganzer Jahre aus ihrem privaten Facebook-Profil. Nach einer Anfrage des NDR löscht sie dann auch ihr komplettes Instagram- und ihr Facebook-Profil als SPD-Politikerin. Dem NDR liegen aber Screenshots vor, die erklären könnten, warum sie nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine viele Postings lieber vergessen machen wollte. Unter anderem Fotos von ihr selbst im Gespräch mit Ex-Kanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder, Geburtstagsgrüße für den russischen Außenminister Sergej Lawrow oder sarkastische Kommentare zum Auftritt des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko.
Gut vernetzt
In Deutschland engagiert sie sich zunächst bei der CDU, Fotos zeigen sie mit Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel oder dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Sie ist aber auch bei Treffen des "Elite Clubs" zu sehen. Laut Eigenbeschreibung ist der Club "eine der führenden internationalen Luxus-Business-affinen Netzwerkgruppen herausragender Persönlichkeiten mit klaren Visionen und philanthropischen Missionen." Die Mitglieder seien Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kunst, die sich privat oder öffentlich hervorgetan hätten. Typisch sozialdemokratisch wirkt ihr Umfeld in den Jahren 2014 bis 2017 jedenfalls nicht. Mitte des Jahres 2017 wechselt sie dann plötzlich von der CDU zur SPD. Es folgen jede Menge Fotos, die Gayane Kirakosjan zusammen mit Manuela Schwesig zeigen. Wange an Wange beim Selfie, zusammen am Wahlkampfstand, nebeneinandersitzend auf Parteitagen und anderen Veranstaltungen, beim Anschneiden einer Torte.
Wahlkampf in MV und Armenien
Schwesig wird im Juli 2017 als Nachfolgerin von Erwin Sellering Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Sie habe Kirakosjan persönlich in die Partei geholt, sagt uns der SPD-Kommunalpolitiker, verstanden habe er das nie: "Ich finde das alles sehr undurchsichtig und habe auch nicht geglaubt, was sie (Kirakosjan, Anm. der Redaktion) über ihre Person erzählt hat. In den sozialen Medien konnte man ja auch ganz offen etwas über ihre widersprüchlichen Angaben nachlesen."
2021 schafft sie es als Kandidatin für den Landtag auf Platz 27 der SPD-Landesliste und kommt nur knapp nicht ins Parlament - hätte jetzt aber als Nachrückerin doch noch einziehen können, wenn ein sozialdemokratischer Abgeordneter verstorben wäre oder sein Mandat aufgegeben hätte. Wahlkampf hat sie im vergangenen Jahr aber nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern betrieben, sondern auch in ihrem Heimatland Armenien. Dort unterstützte sie bei der Parlamentswahl einen umstrittenen Ex-Präsidenten und Nationalisten, gibt dazu ein Interview in einem armenischen Nachrichtenportal. Das Volk habe verstanden, dass es "einen starken Führer an der Spitze des Staates" brauche, so wird sie dort zitiert. Und Kirakosjan erklärt auch, warum sie 2017 von der CDU zur SPD wechselte - Schuld daran sei der Skandal rund um die inzwischen verstorbene CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz, die von Aserbaidschan bestochen worden sein soll. Aserbaidschan und Armenien sind seit Jahrzehnten verfeindet und liefern sich immer wieder blutige Kriege.
Deutsch-russische Partnerschaft
Aber nicht nur für Armenien und die SPD engagiert sich Kirakosjan. Auch im Verein "Deutsch-Russische Partnerschaft MV" von Erwin Sellering wird sie aktiv und verteidigt Ende Januar auf Facebook den Bau der Pipeline Nord Stream 2 mit den Worten des Alt-Ministerpräsidenten. Für Russland hegt sie ganz offensichtlich eine tiefe Sympathie - regelmäßig gratuliert sie in dem sozialen Netzwerk dem russischen Volk zum Nationalfeiertag, oder auch an besonderen Gedenktagen der russischen Armee und deren "Verteidigern des Vaterlandes". Für Vitali Klitschko, den Ex-Box-Champion und Kiewer Bürgermeister, der gerade in seiner Stadt gegen die russischen Invasoren kämpft, hat sie dagegen in der Vergangenheit nur Spott und Hohn übrig. 2014 postet sie nach dem Abschuss des Fluges MH 17 mit fast 300 Toten über der Ukraine durch eine russische Flugabwehrrakete ohne weiteren Kommentar die Stellungnahme von Wladimir Putin zu dem Vorfall in ihrem Facebook-Profil.
Verstummen nach der Invasion
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verstummt Kirakosjan in den sozialen Netzwerken zunächst für einige Tage. Dann löscht sie die problematischen Facebook-Beiträge in ihrem Profil und kündigt an, dass sie erst einmal nichts mehr posten wolle. Sie leide unter "Kopfschmerzen und (…) unerklärlichen Rückenschmerzen in meiner Brust." Kurz nachdem der NDR sie mit ihren inzwischen gelöschten Aussagen konfrontiert, gibt sie auf Instagram bekannt, dass sie "aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik" zurücktrete.
Alles ganz normal?
Ein Interview möchte sie dem NDR nicht geben, sie sei krank, sagt sie uns. Bei einem Telefonat äußert sie sich dann doch zu den Vorgängen, in gebrochenem Deutsch. Nein, ein besonders enges Verhältnis zu Frau Schwesig habe sie nicht, aber anlässlich ihres Eintritts in die SPD habe sie ein persönliches Gespräch mit ihr geführt. Schwesig war damals noch Bundesfamilienministerin in Berlin, das wäre ein zumindest sehr ungewöhnlicher Vorgang. Aus der CDU sei sie wegen der sogenannten "Aserbaidschan-Connection" einiger CDU-Abgeordneter ausgetreten, wiederholt Kirakosjan auch uns gegenüber. Sie habe von den Bestechungsvorwürfen gegen Karin Strenz schon gehört, bevor sie in Deutschland publik wurden. Quellen in Armenien hätten ihr davon berichtet, doch da sie keine Beweise gehabt hätte, sei sie damit nicht an die Öffentlichkeit gegangen. An ihren Postings zu Russland kann sie nichts Verwerfliches erkennen - das sei doch deutsche Diplomatie in diesen Jahren gewesen, so Kirakosjan. Derzeit studiert sie nach eigenen Angaben Rechtswissenschaften an einer russischen Fernuniversität.
SPD gibt sich ahnungslos
Auch der SPD-Landesverband kann nichts Dramatisches in dem Fall erkennen. Auf Anfrage des NDR erklärt Steffen Wehner, der Landesgeschäftsführer der Partei, schriftlich: "Wie viele andere auch, hat Frau Kirakosjan wiederholt um Selfies (mit der Ministerpräsidentin, Anm. d. Redaktion) gebeten. Jenseits dieser öffentlichen Begegnungen besteht kein Verhältnis und erst recht kein Vertrauensverhältnis zwischen Frau Schwesig und Frau Kirakosjan." Schwesig habe auch keine Informationen zum Fall Strenz von ihr erhalten, von der Armenienreise Kirakosjans und russlandfreundlichen Postings wisse die Partei nichts. Inzwischen habe sie gegenüber der Landeswahlleiterin ihren rechtsverbindlichen Rücktritt von der Wahlliste erklärt, heißt es in der Antwort des SPD-Landesgeschäftsführers. Das stimmt. Einen Tag nach der NDR Anfrage ging das Schreiben bei der Behörde ein. Ein persönliches Statement von Manuela Schwesig zu dem Fall gibt es nicht. SPD-Landesgeschäftsführer Wehner: "Frau Schwesig befindet sich in der Nachsorgephase einer OP. Vor diesem Hintergrund nimmt sie keine Termine wahr und gibt keine Interviews."
